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Finanzen: Gender-Aspekte familienbezogener Steuern

Finanzen: Gender-Aspekte familienbezogene Steuern

Familienlastenausgleich: Der Familienlastenausgleich (im engeren Sinne) gewährt abhängig vom Einkommen Kinderfreibeträge oder Realtransfers in Form von Kindergeld. Dies kollidiert allerdings mit der finanzpolitischen Aufgabe der Umverteilung und der vertikalen und horizontalen Steuergerechtigkeit. Sogenannte Besserverdienende werden durch den progressiven Steuersatz bei der Anrechnung des Kinderfreibetrages implizit gegenüber unteren und mittleren Einkommensbeziehenden begünstigt. Die absolute steuerliche Entlastung steigt mit zunehmendem Einkommen und übersteigt sogar die maximal mögliche Auszahlung von Kindergeld. Im Jahr 2001 ist für ein verheiratetes Paar mit einem Kind bereits ab einem Einkommen von mehr als 108.648 DM (ca. 55.550,84 €) die Steuerersparnis durch den Kinderfreibetrag höher als die mögliche Gesamtsumme durch Kindergeld (Schratzenstaller 2002). Gender Mainstreaming trägt durch die gleichstellungsorientierte Analyse derartiger Maßnahmen dazu bei, sozial ungerechte Umverteilungen zu vermeiden.

Geschlechtsrollenzuweisung: Wer finanzpolitisch die Ehe als Lebensform einer ungleichen Aufgabenverteilung fördert, weist Geschlechterrollen mit benachteiligender Wirkung zu. Untersuchungen zeigen, dass diese Wirkung auch durch das Ehegattensplitting erzeugt wird: Der Splittingvorteil ist bei einer am traditionellen Ernährermodell ausgerichteten Lebensweise am größten. Zusätzlich tragen erwerbstätige Ehefrauen meistens - gemessen am Bruttolohn - die eheliche Hauptlast der Steuerzahlungen, da sie auf Grund des geschlechtsspezifischen Lohngefälles auf dem Arbeitsmarkt ein geringeres Einkommen erwirtschaften. Durch den verringerten Grenznutzen, bzw. erhöhte Opportunitätskosten der Erwerbstätigkeit bei Einstufung in Lohnsteuerklasse V verzichten viele Frauen auf Erwerbstätigkeit um die finanziellen Zugewinne für die eheliche Gemeinschaft durch das Ehegattensplitting zu maximieren.

Segregation des Arbeitsmarktes: Das Ehegattensplitting fördert implizit die geschlechtsspezifische Segregation des Arbeitsmarktes und das geschlechtsspezifische Lohngefälle. Männern und Frauen wird durch das Steuersystem eine Förderung der traditionellen geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung vermittelt, wodurch Frauen und Männer z.B. andere Bildungswege einschlagen (Schratzenstaller 2003). Frauen wählen häufig bestimmte Berufe, die als vereinbar mit der traditionellen Arbeitsteilung erscheinen, gleichzeitig aber am unteren Ende der Lohnskala stehen. Umgekehrt wählen eine überwiegende Zahl von Männern Berufe, mit denen eine abhängige Familie ernährt werden kann. Das führt zu einer Perpetuierung der traditionellen Arbeitsteilung.

Pluralisierung von Lebensentwürfen:Im deutschen Steuersystem wird der zunehmenden Modernisierung und Pluralisierung von individuellen Lebensentwürfen nicht Rechnung getragen. Die größten familienbezogenen Steuervorteile werden durch das Ehegattensplitting gewährt, bei dem nicht Elternschaft, sondern eben der Familienstatus steuermindernd wirkt. In der Steuerpolitik gilt der Grundsatz der Gleichbehandlung identischer Einkommen und der Grundsatz, finanzielle Leistungsfähigkeit zu beachten. Gender Mainstreaming heißt, Lebensformen in ihrer Vielfalt anzuerkennen und kann dazu führen, unverheiratete Paare und eingetragene Lebensgemeinschaften gegenüber Ehepaaren nicht zu benachteiligen.

Unabhängigkeit: Eine eigenständige Absicherung verheirateter Frauen wird durch das Steuersystem konterkariert. Um sozial voll abgesichert zu sein bedarf es sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung, die nicht unterbrochen wird. Das Ehegattensplitting fördert durch vorübergehende finanzielle Vorteile die Entscheidung einer der verheirateten Personen aus dem Arbeitsmarkt auszuscheiden, und fehlende, eigenständige soziale Absicherung in Kauf zu nehmen. Die als ausgleichend gedachten abgeleiteten Ansprüche und Absicherungen (wie z.B. Krankenversicherung) greifen nur begrenzt und kumulieren eher noch in einer sich gegenseitig verstärkenden Unterstützung des traditionellen Ernährermodells (Schratzenstaller 2003).

Machtverhältnisse: Durch das Ehegattensplitting kann die innerfamiliäre Machtverteilung zu Ungunsten von Frauen verschärft werden. Durch den steuerbedingten unterschiedlichen Beitrag zum Haushaltseinkommen bei Alleinverdienendenhaushalten oder Haushalten mit sehr unterschiedlichen Erwerbseinkommen, sind Frauen als Hauptträgerinnen der ehelichen Steuerlast bei ihrem Nettoeinkommen unterproportional am ehelichen Einkommen beteiligt. Durch den oberflächlich gesehen geringeren Einkommensbeitrag verlieren Frauen an Macht und können von ihrem Ehemann finanziell abhängig werden (Schratzenstaller 2003).

Kinderfreibetrag: Kinder werden bei verheirateten Paaren automatisch der Besteuerung des Hauptverdienenden angerechnet, was, bedingt durch das geschlechtsspezifische Lohngefälle am Arbeitsmarkt, in der überwiegenden Zahl Männer sind. Dies ist einer steuerlichen Benachteiligung von Ehefrauen gleichzusetzen, obwohl gerade sie in den meisten Fällen die Kindererziehung übernehmen und deshalb ebenfalls ein Anrecht auf diese steuerliche Berücksichtigung hätten.

Vertikale Steuergerechtigkeit: Der durch das Ehegattensplitting ermöglichte Splittingvorteil wächst mit zunehmendem Haushaltseinkommen besonders für Haushalte mit einer alleinverdienenden Person an. Hier werden spezifische Gruppen von Ehepaaren, nämlich spitzenverdienende Alleinverdienerhaushalte, gegenüber Ehepaaren, die nicht zu den Spitzenverdienenden zählen, bessergestellt (Schratzenstaller 2003). Das ist nicht nur sozial ungerecht, sondern widerspricht auch vertikaler Steuergerechtigkeit.

Elternzeit: Die überwiegende Einteilung von Ehepaaren in die Lohnsteuerklassen (LSK) III und V kommt einer "automatischen Elternzeit-Hinderung" des LSK III-Inhabenden gleich. Dies sind in der überwiegenden Zahl die Ehemänner. LSK V-Inhabende behalten in der Regel ihre LSK V, wenn die LSK III-Inhabende Person Elternzeit nimmt. Das liegt daran, dass sie nur in die steuerlich bessere LSK III wechseln können, wenn sie das offizielle Bruttoeinkommen des bisherigen LSK III-Inhabenden überschreiten. Da das Erziehungsgeld in den meisten Fällen erheblich niedriger als das Nettoeinkommen liegt, würden verheiratete Eltern erhebliche Einkommenseinbußen hinnehmen müssen. Verheiratete Väter, die Elternzeit beanspruchen wollen, würden somit in den meisten Fällen in gravierender Weise den Lebensstandard der Familie gefährden, was einer Elternzeit-Hinderung gleichkommt. Gender Mainstreaming trägt dazu bei, das Steuersystem von impliziten Behinderungen zu befreien und eine gleichberechtigte Teilhabe der Eltern - unabhängig vom Einkommen - an Erziehungs- und Erwerbsarbeit zu ermöglichen.

Armutsrisiken: Aus der sozialwissenschaftlichen Forschung zur Wohlstandsverteilung in der Bundesrepublik ergeben sich Hinweise auf geschlechtsspezifische Armutsrisiken. So bewirkt das Zusammenspiel von Familien- und Steuerrecht für Männer und für Frauen z.B. Unterschiedliches, wenn sie heiraten. So hat eine Scheidung geschlechtsspezifische Auswirkungen, da regelmäßig eine finanzielle Schlechterstellung von Frauen ausgelöst wird (Andreß/Borgloh/Güllner 2003). Desgleichen zeigt sich ein Armutsrisiko für Alleinerziehende, also empirisch ebenfalls überwiegend Frauen, da fehlende Kinderversorgungsstrukturen auch die Chancen auf Erwerbstätigkeit einschränken. Wie können also Armutsrisiken mittels Steuerrecht oder staatlichen Unterstützungsleistungen gemindert werden?


Weiterführende Literatur:

  • Andreß, Hans-Jürgen/Borgloh, Barbara/Güllner, Miriam: Wenn aus Liebe rote Zahlen werden - über die wirtschaftlichen Folgen von Trennung und Scheidung, Wiesbaden 2003.

  • BMFSFJ/Destatis (Hg.): Wo bleibt die Zeit? Die Zeitverwendung der Bevölkerung in Deutschland 2001/02. Wiesbaden 2003.
  • Dackweiler, Regina-Maria/Hornung, Ursula (Hg.): frauen - macht - geld. Münster 2003.

  • Färber, Christine / Spangenberg, Ulrike / Stiegler, Barbara: Umsteuern - Gute Gründe für ein Ende des Ehegattensplittings, WISO direkt - Analyse und Konzepte zur Wirtschafts- und Sozialpolitik, Friedrich-Ebert-Stiftung August 2008.

  • Schratzenstaller, Margit: Steuer- und transferpolitische Aspekte aktueller Familienpolitik. In: Maier, Friederike/Fiedler, Angela (Hg.): Gender Matters. Feministische Analysen zur Wirtschafts- und Sozialpolitik. Berlin 2002, S. 181-209.

  • Schratzenstaller, Margit: Frauen und Männer im deutschen Steuersystem. In: Wrede, Brigitta (Hg.): Geld und Geschlecht. Tabus, Paradoxien, Ideologien. Opladen 2003, S. 103-120.

  • Spangenberg, Ulrike: Grafik zum Ehegattensplitting: Profit mit nur einem Einkommen, Hans-Böckler-Stiftung, 2005.

  • Spangenberg, Ulrike: Grafik zu: Individualsteuern schaffen Ausgleich, Hans-Böckler-Stiftung, 2005.

  • Spangenberg, Ulrike: Neuorientierung der Ehebesteuerung: Ehegattensplitting und Lohnsteuerverfahren, Hans-Böckler-Stiftung 2005.
erstellt von Administrator zuletzt verändert: 02.01.2010 20:05