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Bericht vom Fachgespräch des Gunda-Werner-Instituts zu Individualbesteuerung

Individualbesteuerung - die bessere Wahl für Geschlechtergerechtigkeit?

Bericht über ein Fachgespräch des Gunda-Werner-Instituts der Heinrich-Böll-Stiftung am 18.02.2009


Bei dem Fachgespräch des Gunda-Werner-Instituts wurde die Individualbesteuerung als Alternative zur bisherigen Regelung, dem Ehegattensplitting diskutiert. Daran beteiligten sich Expertinnen und Experten aus der Politik, der Wissenschaft und aus Bundesministerien. Die überwiegende Mehrheit in der Runde fand gute Argumente dafür, dass die Individualbesteuerung, wenn sie mit einem geeigneten Modell eingeführt würde, zu mehr Geschlechtergerechtigkeit und mehr Erwerbsbeteiligung von Frauen auf dem Arbeitmarkt führen würde. In der Diskussion ging es um verschiedene Modelle der steuerlichen Veranlagung von Ehepaaren und die Frage nach den jeweiligen Durchsetzungschancen unter den gegenwärtigen politischen Mehrheiten.

Die Diskussion wurde vorbereitet durch die fachlichen Inputs die Vorträge von Dr. Katharina Wrohlich (DIW) und Prof. Miriam Beblo (FHW Berlin), die darstellten, welche Veränderungen die Einführung der Individualbesteuerung in Deutschland mit sich bringen würden.
Die wissenschaftlichen Beiträge bezogen sich auf die Steuertarife und die Frage, welche Effekte die Einführung einer Individualbesteuerung und die Ablösung des Ehegattensplittings auf die Frauenerwerbstätigkeit hätten. Ausgeklammert wurde das Lohnsteuerkartenverfahren und die Lohnsteuerklassen III und V, die die negativen Effekte auf die Erwerbsbeteiligung von Frauen noch verstärken.
Zunächst wurde von Dr. Katharina Wrohlich und Prof. Dr. Miriam Beblo eine Bestandsaufnahme des Ehegattensplittings vorgenommen, wie es auch Ulrike Spangenberg in ihrer Gender Lecture am 8.12.2008 vorgestellt hat.

Ausgangslage: Das Ehegattensplitting

Demnach werden Ehepaare gemeinsam veranlagt, die Grundfreibeträge zusammengelegt. Haben beide Eheleute das gleiche Einkommen, so hat das Splitting keinen Effekt. Sobald eine Person ein wesentlich niedrigeres oder kein Einkommen hat, stellt sich der Effekt ein, dass das höhere Einkommen (meist des Ehemannes) relativ niedrig besteuert wird, weil der Steuertarif für zwei Personen berechnet wird und beiden Freibeträge zur Geltung kommen. Bei der erneuten Arbeitsaufnahme, z.B. nach einer Erwerbsunterbrechung wegen Kindererziehung oder der Pflege von Angehörigen entsteht häufig der Eindruck, dass das zweite Einkommen sich nicht lohnt. Dies kommt daher, dass das geringe Einkommen vom ersten Euro mit dem relativ hohen Progressionssatz des höheren Einkommens besteuert wird, da der Freibetrag schon für das hohe Einkommen geltend gemacht wurde. Die zusätzlichen Einnahmen werden zudem häufig mit neu entstehenden Betreuungskosten verrechnet. Durch das Ehegattensplitting entgehen dem Fiskus etwa 22 Mrd Euro.

Was verändert Individualbesteuerung?

Dr. Katharina Wrohlich betonte in ihrem Vortrag die Vielzahl der in der Politk gegenwärtig diskutierten Modelle und präsentierte Berechnungen für ein Realsplitting, ein Familiensplitting und schließlich ein Individualbesteuerung, wie sie auch in Österreich eingeführt wurde und in den meisten europäischen Staaten üblich ist.

Beim Real- und Familiensplitting bleiben die Freibeträge übertragbar. Beim Familiensplitting kommt eine besondere Berücksichtigung der Zahl der Kinder hinzu. Beide Modelle würden aber nach Dr. Wrohlichs Berechnungen keine Verhaltensänderung bewirken, da die niedrige Besteuerung eines hohen Einkommens beibehalten würde. Die Individualbesteuerung ist demnach das einzige Modell, dass echte Wirkungen auf das Arbeitskräfteangebot hätte. Weil in diesem Modell der hohe Verdienst stärker besteuert würde und die niedrigeren Verdienste einen niedrigeren Eingangssteuersatz hätten, wäre der Anreiz zur Arbeitsaufnahme für das Zweiteinkommen höher. Den Berechnungen zufolge würde das Arbeitsangebot der Frauen ausgeweitet, und zwar um 5 Prozentpunkte, die Arbeitszeit der Frauen würde um 11 Prozen steigen, während beides bei den Männern geringfügig zurück ginge (1-2 Prozentpunkte).

Die Haushalte würden nach einer Einführung der Individualbesteuerung im Westen 150 Euro pro Monat weniger zur Verfügung haben (Medianwert) und in den neuen Bundesländern betrüge die Differenz nur 17 Euro, da die Einkommensunterschiede hier geringer sind. Das Splitting kostet gegenwärtig etwa 22 Mrd. Euro, was aber wohl nicht bedeutet, dass bei einer Änderung auch genau so viel Geld zur Verfügung stünde.

Prof. Dr. Miriam Beblo berechnete in ihrem Vortrag die Wirkungen der Einführung von Individualbesteuerung innerhalb der Ehepaare und kam zu dem Schluß, dass 45 % der Frauen mehr Arbeitsstunden anbieten würden und 10 % der Männer weniger. Dadurch würden 34 % der Frauen in der Ehe mehr Geld zur Verfügung stehen als vorher.

Die politischen Chancen der Individualbesteuerung

Im zweiten Teil wurden die politischen Möglichkeiten der Einführung von Individualbesteuerung diskutiert. Klaus Brandenburg berichtete aus der Perspektive des Bundesministeriums für Finanzen, dass unter Minister Steinbrück begonnen wurde, Finanz- und Steuerpolitik ergebnisorientiert zu steuern. Ein wesentliches Ziel sei dabei die Erhöhung der Frauenerwerbstätigkeit. Für diese Umorientierung wurde ein Referat in der Grundsatzabteilung eingerichtet. Dieses ist bestrebt, alle für die Vereinbarung von Familie und Beruf relevanten Leistungen zu erfassen, ihre Kosten zu beziffern und ihre Wirkung im Hinblick auf die Zielstellung zu evaluieren. Es läge die Vermutung nahe, dass das Ehegattensplitting eher negative Wirkungen entfalte. Allerdings sei es politisch schwer durchzusetzen, das Splitting abzuschaffen, da dies auf eine Steuererhöhung von 22 Mrd. Euro hinausliefe.

Die Grüne Bundestagsabgeordnete Britta Haßelmann empfahl die Abschaffung des Ehegattensplittings aus familienpolitischen, verteilungspolitischen und vor allem geschlechterpolitischen Gründen. Denn es fördere Ehe statt Kinder, begünstige Vielverdienende gegenüber Wenigverdienenden und steht der wirtschaftlichen Selbständigkeit vieler Frauen im Wege. Die Einführung der Individualbesteuerung könne aber im Grunde nur der Anfang sein. Auch andere Formen familiärer Mitversorgung und Abhängigkeit wie die Bedarfsgemeinschaft bei Hartz IV und die Mitversicherung bei den Krankenkassen müssten abgeschafft werden. Aber dafür sei die Zeit noch nicht reif.


Weiterführende Literatur:


erstellt von Administrator zuletzt verändert: 02.01.2010 20:06