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Private Krankenversicherungen

Gender-Aspekte in privaten Krankenversicherungen

Menschen (z.B. Selbstständige, Studierende oder Angestellte mit einem Einkommen über 3.825 € monatlich), die sich nicht in der gesetzlichen Krankenkasse versichern müssen, können private Krankenversicherungen abschließen. Diese beruhen auf privatrechtlichen Verträgen und nicht auf einem solidarischen Umlageprinzip. Unternehmen differenzieren ihre Tarife nicht nach Einkommen, sondern nach Risikogruppen. Dazu gehört neben Alter und Vorerkrankungen auch das Geschlecht. Als Folge der geschlechtsspezifischen Differenzierung müssen Frauen derzeit erheblich höhere Beiträge zahlen als Männer.

Der Risikobegriff privater Krankenversicherungen behandelt Geschlecht als biologische und nicht als gesellschaftlich hergestellte Kategorie (soziales Geschlecht). Er blendet somit die soziale Vielfalt von Frauen und Männern aus. Dies lässt sich anhand der Begründungen der privaten Versicherungswirtschaft für die höheren Tarife für Frauen zeigen:
  • Höhere Lebenserwartung von Frauen: da ältere Menschen im Durchschnitt häufiger krank sind als jüngere, würden den Krankenversicherungen durch ältere Frauen höhere Kosten entstehen als durch ältere Männer. Auch hier stellt sich die Frage, weshalb in den Sterbetafeln der Krankenversicherungen nach Geschlecht differenziert wird. Ausschlaggebend für die durchschnittlich höhere Lebenserwartung von Frauen sind nicht biologische Unterschiede, sondern vielmehr spezifische Lebensbedingungen und Verhaltensweisen. Soziales Geschlecht ist aber bestenfalls ein Indikator für aussagekräftigere Risikofaktoren . Dazu gehören z.B. der ausgeübte Beruf, die sozioökonomische Situation oder das Ernährungsverhalten der Versicherten. Sachgerecht wäre es - und diskriminierungsfrei - Versicherte hier differenzierter einzuschätzen.
  • Unterschiedliche Leistungsinanspruchnahme: Nach Angaben der Verbandes der privaten Krankenversicherung (PKV) verursachen Frauen um 40% höhere Kosten als Männer. Dreiviertel davon würden z.B. durch eine stärkere Inanspruchnahme von Vorsorgeuntersuchungen oder einem höheren Arzneimittelgebrauch resultieren. Um vergleichen zu können, wie häufig eine bestimmte Verhaltensweise auftritt, müssen die Vergleichsgruppen zuvor festgelegt werden. In diesem Falle geht es also ausdrücklich um soziale Verhaltensweisen. Anstelle aufgrund des Merkmals Geschlecht könnte sachgerechter nach den entsprechenden Faktoren differenziert werden.
  •  „Gebärrisiko“: Das letzte Viertel der höheren Aufwendungen von Frauen im Vergleich zu Männern beruhe aufgrund von medizinischen Leistungen für Schwangerschaft und Entbindung. Das Männer - mit Ausnahme weniger künstlicher Befruchtungen - gleichermaßen an einer Zeugung beteiligt sind, wird dabei nicht berücksichtigt. Die möglichen Kosten werden nicht gleichermaßen auf alle potentiellen Eltern verteilt, sondern einseitig auf alle Frauen. Differenzen zwischen Frauen, wie z.B. dass nicht alle Frauen Kinder bekommen wollen oder können, werden ausgeblendet; der Anteil von Männern wird nicht angemessen reflektiert.
Private Krankenversicherungen sind nur mittelbar an das Diskriminierungsverbot gebunden. Geschlechtsunabhängige Tarife sind also gefordert, wenn Leistungen aus der gesetzlichen Krankenkasse ausgelagert werden. Sollten in diesem Falle private Zusatzkrankenversicherer keine Unisextarife anbieten, wäre eine echte Wahlfreiheit für Frauen nicht mehr gewährleistet.

Europarechtlich sind hier allerdings Veränderungen vorgenommen worden. Am 13. Dezember 2004 ist die EU-Richtlinie 2004/113/EG zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichberechtigung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen in Kraft getreten. Ab Ende 2007 gestattet diese Richtlinie für neu abgeschlossene Versicherungsverträge in privaten Krankenversicherungen nur noch geschlechterdifferenzierte Prämien, wenn die Versicherungen nachweisen können, dass eine Differenzierung nach Geschlecht auch dann relevant ist, wenn die durch Schwangerschaft und Geburt verursachte Kostenunterschiede nicht berücksichtigt werden:
  • Artikel 5 (2)  „Unbeschadet des Absatzes 1 können die Mitgliedstaaten vor  dem 21. Dezember 2007 beschließen, proportionale Unterschiede bei den Prämien und Leistungen dann zuzulassen, wenn die Berücksichtigung des Geschlechts bei einer auf relevanten und genauen versicherungsmathematischen und statistischen Daten beruhenden Risikobewertung ein bestimmender Faktor ist. (...)“.

  • Artikel 5 (3) „Kosten im Zusammenhang mit Schwangerschaft und Mutterschaft dürfen auf keinen Fall zu unterschiedlichen Prämien und Leistungen führen.“
Aufgrund der Berechnungen eines im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend erstellten Gutachtens zur Differenzierung privater Krankenversicherungstarife nach Geschlecht liegt die Vermutung nahe, dass „Geschlecht als „entscheidender Faktor“ der Prämienberechnung nicht nachzuweisen sein wird und damit die Einführung von Unisextarifen auch für die private Krankenversicherung verpflichtend wäre.

Gender Mainstreaming bedeutet für Krankenversicherungen, bei der Berechnung von Tarifen systematisch unterschiedliche Lebenslagen von Frauen und Männern unterschiedlichen Alters, Hintergrundes usw. zu berücksichtigen und in der Tarifgestaltung Diskriminierungen zu unterbinden. GM bedeutet für die Versicherungsaufsicht und den Gesetzgeber, der Steuerung des Versicherungswesens Gender-Analysen und geschlechterdifferenzierte Folgenabschätzungen zugrunde zu legen, um auf dieser Ebene zur Gleichstellung beizutragen.

Literaturhinweise:

Zentrum für Sozialpolitik: Differenzierung privater Krankenversicherungstarife nach Geschlecht: Bestandsaufnahme, Probleme, Optionen. Gutachten für das BMFSFJ, Universität Bremen 2005.

Baer, Susanne/Wrase, Michael: Unterschiedliche Tarife für Männer und Frauen in der privaten Krankenversicherung - ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Grundgesetzes? In: Neue Juristische Wochenschrift (23) 2004, S. 1623 - 1627.

Schmidt, Claudia: Die Frauenprämie in der privaten Krankenversicherung im Lichte des Gleichberechtigungsgrundsatzes, Saarbrücken 1989.

Sahmer, Sybille: Anti-Diskriminierungsrichtlinie. Gleichbehandlung von Frauen und Männern in der privaten Krankenversicherung - Position des Verbandes der privaten Krankenversicherer (PKV), in: Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (Hg.): Bericht aus Brüssel, (42) 2003, S. 1-3.

Helmert, Uwe: Der Einfluss von Beruf und Familienstand auf die Frühsterblichkeit von männlichen Krankenversicherten, in: ebenda/Bammann, Karin/Voges, Wolfgang/ Müller, Rainer (Hg.): Müssen Arme früher sterben? Soziale Ungleichheit und Gesundheit in Deutschland, Weinheim/München 2000, S. 243-248.

erstellt von Administrator zuletzt verändert: 02.01.2010 20:05