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Gesetzesfolgenabschätzung bei der EU

Folgenabschätzung in der Europäischen Union

Die Europäische Union steht vor großen Herausforderungen. Die Bürgerinnen und Bürger von Europa erwarten einerseits Lösungen von der europäischen Ebene für die global wirkenden Probleme der Zeit, wie Massenarbeitslosigkeit, globale Umweltfragen, Umbrüche in den sozialen Sicherungssystemen, Lebensmittelsicherheit etc.. Andererseits herrscht auch große Skepsis gegenüber der EU, die oft als bürgerfern, bürokratisch und unwirksam in ihrem Handeln wahrgenommen wird. Auf Grund dessen hat die Europäische Kommission Anfang 2001 beschlossen, das europäische Regieren zu reformieren. Für den Bereich der europäischen Rechtsetzung wurde u. a. im Weißbuch „Europäisches Regieren“ der Anspruch formuliert, die Qualität und Effizienz der Regulierungsmaßnahmen zu verbessern und diese einfach und verständlich zu formulieren. Die Akzeptanz europäischer Rechtsetzung und Politik hänge u.a. von „guten“ europäischen Gesetzen ab: Eine bessere Politik brauche bessere Regeln, um zu besseren Ergebnissen zu führen.
Vor diesem Hintergrund und auf der Grundlage des Mandelkern-Berichts hat die Kommission u.a. einen Aktionsplan zur „Vereinfachung und Verbesserung des Regelungsumfelds“ sowie eine „Mitteilung über Folgenabschätzung“ veröffentlicht.

Sollen Regelungen tatsächlich zu besseren Ergebnisse führen, dann ist es notwendig, die möglichen Auswirkungen im Vorhinein zu ermitteln und zu bewerten. Eine Regelung, die nicht wie beabsichtigt wirkt, kann nicht zu besseren Ergebnissen führen. Mit dieser Sichtweise rückt neben der Rechtmäßigkeit die Wirksamkeit einer Regelung verstärkt ins Blickfeld und somit die Abschätzung möglicher Folgen.

Die Europäische Kommission hat daher 2003 begonnen, ein integriertes Verfahren zur Folgenabschätzung (FA) einzuführen, welches sich in der Europäischen Union im Gegensatz zur nationalen Gesetzesfolgenabschätzung (GFA) nicht nur auf Rechtsetzung, sondern auch auf politische Programme wie Weißbücher, Aktionspläne sowie auf Finanzierungsprogramme bezieht. Mit Hilfe dieses Verfahrens sollen systematisch die wirtschaftlichen, sozialen und umweltbezogenen Folgen neuer EU-Vorhaben abgeschätzt werden. Seit 2005 ist die FA als Standardverfahren eingeführt. Hier finden Sie einen Überblick über die bisherigen Folgenabschätzungen der Kommission. Dieses Verfahren ersetzt die bis dahin einzeln verwendeten Folgenabschätzungen wie z.B. für Unternehmen, hinsichtlich Umweltverträglichkeit, für handelspolitische Maßnahmen sowie auch bezogen auf Gender bzw. Gender Equality.

Zur Erleichterung der Umsetzung hat die Kommission im Juni 2005 „Impact Assessment Guidelines“ veröffentlicht. Gleichstellungsauswirkungen werden in diesen Leitlinien unter dem Punkt Soziale Auswirkungen behandelt.
Unter „Step 1: Identify environmental, economic and social impacts of a policy, why they occur and who is affected“ heißt es dort:

„Impacts on existing inequalities. You should for instance compare regional, gender and ethnic impacts of the proposed action to see if the latter is likely to leave existing inequalities unchanged, aggravate them, or help to reduce them. This is not a simple matter: for example, differences between male and female lifestyles may mean that a proposal which is apparently neutral as regards gender equality will in practice have different impacts on men and women.“

Bei den „key questions“ bezogen auf „social impacts“ finden sich folgende Fragen, die sich ausdrücklich mit Gender bzw. Gender Equality beschäftigen:

„Does the option affect gender equality?
Does the option entail any different treatment of groups or individuals directly on grounds of e.g. gender, race, colour, ethnic or social origin…?“

Bisher wurde von der Europäischen Kommission zur Ermittlung von Auswirkungen auf das Geschlechterverhältnis der „Leitfaden zur Bewertung geschlechtsspezifischer Auswirkungen“ verwendet. Dieser kann auch weiterhin ergänzend herangezogen werden, da er z.B. bei der Bewertung geschlechtsspezifischer Auswirkungen ausführlichere Hinweise gibt als der oben genannte integrierte Leitfaden.

Die Europäische Kommission hat die Mitgliedstaaten dazu aufgefordert, selbst Folgenabschätzungen vorzunehmen, wenn sie das Initiativrecht bei der Rechtsetzung nutzen, z.B. bei Justiz und inneren Angelegenheiten. Auch bei Entwürfen nationaler Regelungen, über die die Mitgliedstaaten die Kommission informieren, sollte eine systematische Folgenabschätzungsanalyse vorgelegt werden.

Die Kommission hat ein starkes Interesse, gemeinsam mit den Mitgliedstaaten Standards für Folgenabschätzung zu entwickeln und anzuwenden. Europäisches Recht muss nämlich grundsätzlich in nationales Recht umgesetzt werden. Ist das nationale Gesetz nicht gut, d.h. in diesem Zusammenhang nicht folgenbewusst, ist die europäische Richtlinie nicht gut umgesetzt und wird wahrscheinlich die beabsichtigte Wirkung nicht erreichen. Die Wirksamkeit von europäischer Rechtsetzung hängt demnach von der Umsetzung der Mitgliedstaaten in nationales Recht ab. Wenn sich nur die Kommission zur systematischen Folgenabschätzung verpflichtet oder diese nach gänzlich anderen Kriterien als die Mitgliedstaaten durchführt, bleibt die Wirkung der Methodik FA letztendlich sehr begrenzt.
Hat z.B. die EU Kommission bei der Erarbeitung eines Richtlinienentwurfs diesen mit Hilfe einer Folgenabschätzung hinsichtlich des Geschlechterverhältnisses gleichstellungsorientiert gestaltet, so gilt es, diese Erkenntnisse auch im Rahmen der nationalen Umsetzung durch eine darauf aufbauende geschlechterdifferenzierte Gesetzesfolgenabschätzung zu nutzen.

Auch wenn die institutionelle Verankerung der Methodik Folgenabschätzung gerade erst begonnen hat und wie bei jeder Veränderung sich auch Probleme ergeben und ergeben werden, lässt sich doch schon heute sagen, dass Folgenabschätzung zu einem internationalen Standard geworden ist, an dem sich Gesetzgebungsverfahren – sei es in der EU, sei es in Deutschland – messen lassen müssen. Systematische Folgenabschätzung ist ein Mittel der Qualitätssicherung für Gesetzgebungsverfahren, welches nicht mehr wegzudenken ist.

SL

Weiterführende Literatur

Literatur:
  • Karpen, Ulrich: Gesetzesfolgenabschätzung in der Europäischen Union, in: Archiv des öffentlichen Rechts, Bd.124, 1999, S. 400 - 422.
  • Lange, Christian: Gesetzesfolgenabschätzung auf der Ebene der Europäischen Union, in: Zeitschrift für Gesetzgebung (ZG) 2001, S. 269 - 278.
  • Leitfaden zur Bewertung geschlechterspezifischer Auswirkungen, 1998.
  • Smeddinck, Ulrich: Optimale Gesetzgebung im Zeitalter des Mandelkern-Berichts, Deutsche Verwaltungsblätter (DVBl.) 2003, S.641 – 646.

Mitteilungen der Kommission:
  • Europäisches Regieren – Ein Weißbuch, Brüssel, 25.07.2001, KOM(2001)428 endgültig.
  • Europäisches Regieren: Bessere Rechtsetzung, Brüssel, 06.06.2002, KOM(2002)275 endgültig/2.
  • Aktionsplan „Vereinfachung und Verbesserung des Regelungsumfelds“, Brüssel, 05.06.2002, KOM(2002)278 endgültig.
  • Folgenabschätzung, Brüssel, 05.06. 2002, KOM(2002)276 endgültig.
  • European Commission: Impact Assessment Guidelines, 15. Juni 2005, SEC(2005) 791.
erstellt von Administrator zuletzt verändert: 02.01.2010 20:05