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Ziele und Politikfelder von Gleichstellungspolitik in den Niederlanden

Ziele und Politikfelder von Gleichstellungspolitik

Hintergrund

Die Forschung zu Wohlfahrtsstaaten bietet ein reichhaltiges Instrumentarium für den Ländervergleich. In Abgrenzung zur Forschung des Schweden Gösta Esping-Andersen, auf den die Typologie des konservativen, sozialdemokratischen und liberalen Wohlfahrtregimes zurückgeht (Esping-Andersen 1990), hat die feministische Forschung die Typologie der Geschlechterregime entwickelt . Diese beschreiben das institutionelle Ensemble sozialer Leistungen im Zusammenspiel von Markt, Familie und Staat und damit einhergehende symbolisch-normative Zuschreibungen und stratifizierende Wirkungen im Geschlechterverhältnis. Nach Esping-Andersens Typologie können die Niederlande dem sozialdemokratischen und Deutschland dem konservativen Wohlfahrtregime zugeordnet werden. Quer dazu weisen beide Länder eine starke Orientierung am männlichen Ernährermodell auf, während beispielsweise Schweden am Individual-Modell ausgerichtet ist (Lewis/Ostner 1994). Nach neueren Forschungen sind die Niederlande einem dritten Typus der „getrennten Geschlechterrollen“ zuzuordnen, da Mütter unabhängig vom Ehestand an die Fürsorgearbeit anknüpfende Leistungen erhalten (Sainsbury 1999, Forschungsüberblick bei Kulawik 2005 5ff.).

Entwicklung seit den 70er Jahren

Seit den 70er Jahren hat die niederländische Regierung anhand von Programmen die Linien ihrer Gleichstellungspolitik festgelegt (1977, 1985, 1992, 2000). Von Anfang an folgte sie einem zweigleisigen Ansatz: Zum einen lancierte sie spezifische Maßnahmen, um die Situation von Frauen zu verbessern – besonders mit Blick auf ihre Arbeitsmarktbeteiligung. Zum anderen folgte sie dem Ansatz, Gleichstellungspolitik als Querschnitt in verschiedenen Themenfeldern zu verankern.

Das erste Gleichstellungs-Programm „Emanzipation: ein Prozess des Wandels und Wachstums“ („Emancipation: a Process of Change and Growth“) veröffentlichte die Regierung 1977. Es zielte darauf, die individuelle Wahlfreiheit zwischen verschiedenen Lebensentwürfen zu erleichtern. Ansatzpunkt der damaligen Politik war ein Mentalitätswandel, der weg von traditionellen Geschlechterstereotypen führen sollte, erläutert die Regierung 1992 rückblickend in ihrem ersten Bericht darüber, wie sie die Konvention zur Beseitigung der Diskriminierung der Frau (CEDAW) umsetzt (1. CEDAW-Bericht 1992: 50).

Anfang der 80er Jahre erweiterte sich der Blick hin zur Lage von Frauen am Arbeitsmarkt und in den sozialen Sicherungssystemen. Mit dem Emanzipations-Programm aus dem Jahr 1985 erfolgte eine Verlagerung hin zu einem strukturellen Ansatz: Gesellschaftliche (Macht-)Strukturen müssen verändert werden, damit die soziale Ordnung nicht länger die ungleichen Chancen zwischen den Geschlechtern reproduziert. Die tatsächlichen politischen Maßnahmen konzentrierten sich jedoch darauf, die ökonomische Unabhängigkeit von Frauen zu erhöhen (Verloo/van Lamoen 2003: 11).

Das Emanzipations-Programm aus dem Jahr 1992 „Mit dem Blick auf 1995“ („With a view to 1995“) untermauerte die Ziele von 1985. Als weitere dringliche Aktionsfelder stellte es in den Vordergrund
  • den Anteil von Frauen in sozialen und politischen Entscheidungspositionen erhöhen,
  • unbezahlte Arbeit neu zwischen den Geschlechtern zu verteilen
  • sowie die traditionelle Wahrnehmung von Weiblichkeit und Männlichkeit abzubauen.
In der praktischen Umsetzung dieser Ziele konzentrierte sich die Regierung erneut auf den Schwerpunkt Erwerb und ökonomische Unabhängigkeit und legte ein größeres Augenmerk auf die Kombination von bezahlter und unbezahlter Arbeit. Gleichzeitig erfolgte eine gewisse Verknüpfung mit dem Konzept der Diversity, denn seit Mitte der 90er Jahre richtete sich Gleichstellungspolitik zunehmend auch auf Migrantinnen bzw. Frauen aus ethnischen Minderheiten (Verloo/van Lamoen 2003: 5).

Im Jahr 2000 verabschiedete die Regierung ein Mehr-Jahres-Emanzipations-Programm. Der Plan legte in den fünf Bereichen
  • Erwerb, Fürsorgearbeit und Einkommen,
  • Alltagsroutinen,
  • Teilhabe an Macht und Entscheidungen,
  • Frauenrechte als Menschenrechte
  • sowie der Wissensgesellschaft
konkrete Ziele und Maßnahmen fest, die bis 2010 umgesetzt bzw. erreicht werden sollen. Im Mittelpunkt stand weiterhin, die Gleichberechtigung von Frauen am Arbeitsmarkt zu fördern und dadurch die Zahl ökonomisch unabhängiger Frauen zu erhöhen. 2005 legte die niederländische Regierung eine Zwischenbilanz vor. Sie hielt an den 2000 festgelegten Zielen fest, ergänzte jedoch den Politikbereich „Soziale Teilhabe“ und beschloss, die Belange von Migrantinnen noch stärker zu berücksichtigen.

Aktuelle Ziele der Gleichstellungspolitik

Im Jahr 2002 wurde die seit 1994 regierende links-liberale Koalition unter dem Sozialdemokraten Wim Kok (Partei der Arbeit) von einer Mitte-Rechts-Koalition mit Jan Peter Balkenende (Christlich-Demokratischer Appell) als Regierungschef abgelöst. Seit Februar 2007 regiert eine Koalition aus Christ- und Sozialdemokraten sowie der Christen Union (CU). Balkenende ist weiter Premierminister.

Diese große Koalition verabschiedete im September 2007 das Emanzipations-Programm „Mehr Chancen für Frauen“ („Meer kansen voor vrouwen“) für die Jahre 2008-2011. Dies löst das vorherige Mehr-Jahres-Emanzipations-Programm 2000-2010 vorzeitig ab. Die Zuständigkeit für die Gleichstellungspolitik wechselte vom Sozial- ins Bildungsministerium. Sie erfuhr eine gewisse Aufwertung, da die Verantwortung nun beim Minister liegt und nicht länger auf der Ebene des Staatssekretärs angesiedelt ist, wirkt auf andere aber auch institutionell geschwächt, da sie nunmehr Stabstellenfunktion hat. Bildungsminister Ronald Plasterk (Partei der Arbeit) setzt angesichts der Stagnation im Emanzipationsprozess, welche etwa die Evaluierung des GM-Prozesses deutlich gemacht habe, nun auf „neue Impulse“, so Plasterk im Vorwort des Politikprogramms.

Das zentrale Thema der niederländischen Gleichstellungspolitik ist weiter eine stärkere Partizipation von Frauen am Arbeitsmarkt. Angestrebt ist eine Frauen-Beschäftigungsrate von 74 Prozent im Jahr 2016. Ein neuer Akzent liegt darauf, eine höhere Erwerbsbeteiligung beider Geschlechter anzuvisieren und die Anzahl von Frauen in Führungspositionen weiter zu steigern. Das Programm adressiert allerdings explizit deutlicher Frauen als Männer oder gar Geschlechterverhältnisse.

Weitere Kernthemen der Gleichstellungspolitik zwischen 2008 und 2011 sind in den Niederlanden:
  • Frauen und Mädchen aus ethnischen Minderheiten (Arbeitsmarkt, Stereotype, Männer),
  • Gewalt gegen Frauen (häusliche Gewalt, Prostitution, Genitalverstümmelung)
  • sowie Frauenrechte im internationalen Kontext.
Abstand genommen wurde von dem Ziel, Männer stärker an Fürsorgearbeit zu beteiligen, wie es noch im Mehr-Jahres-Emanzipations-Programm 2000-2010 formuliert war. Ziel von Gleichstellungspolitik sei nicht, die private Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern vorzugeben, sondern Frauen wie Männern eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu ermöglichen. Inwiefern das angesichts der tradierten Arbeitsteilung tatsächlich Veränderungen zeitigt, ist offen.

Institutionell ist jedes Ministerium aufgefordert, die übergeordneten Ziele des Emanzipation-Programms auf die eigene Facharbeit herunter zu brechen und für die eigene Arbeit gleichstellungspolitische Ziele der nächsten vier Jahre definieren. Diese unterliegen – je nach politischen Interessen – einer parlamentarischen Kontrolle.

MH
erstellt von Administrator zuletzt verändert: 02.01.2010 20:06