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Einschätzungen zur niederländischen Gleichstellungspolitik

Die Niederlande sind eines der wenigen Länder, die den GM-Prozess eigens evaluieren lassen. 2004 berief der damalige Minister für Soziales und Beschäftigung, Aart Jan de Gues (Christlich-Demokratischer Appell, CDA) das „Komitee zur Überwachung der Emanzipation in den Niederlanden“ (Netherlands Emancipation Review Committee, VCE) mit dem Auftrag, bis 2007 den GM-Prozess zu begutachten, zu bewerten und zu stimulieren. In dem Abschlussbericht „A little better is not good enough“ (2007, niederländisch) zieht das Komitee eine sehr kritische Bilanz:

  • Seit den 90ern ist kein Fortschritt, sondern ein besorgniserregender Rückgang in der Qualität von Gleichstellungspolitik zu verzeichnen;
  • in den Ministerien mangelt es an Engagement für beziehungsweise Fachwissen über Gleichstellungspolitik;
  • gute Instrumente wie das Gender Impact Assessment (GIA) oder Gender Budgeting (GB) werden nur selten angewandt;
  • insgesamt ist eine Fragmentierung von Gleichstellungspolitik zu beobachten. Institutionelle Mechanismen, um dieser Zersplitterung entgegenzuwirken, fehlen.

Bereits in dem Zwischenbericht „Koordination von Gleichstellungspolitik und Gender Mainstreaming auf Ebene der nationalen Regierung“ („Coordination of gender equality policies and gender mainstreaming at the level of the national government“) aus dem Jahr 2005 kam das VCE zu dem Schluss, dass zwischen den Ministerien ein großer Bedarf nach mehr Koordination besteht.

Wissenschaft

Auch wenn die Niederlande seit den 70er Jahren daran arbeiten, im Sinne eines Querschnittsansatzes Gleichstellung in die regulären Politikbereiche zu integrieren, waren diese Anstrengungen insgesamt nicht erfolgreich. Zu dieser Einschätzung kommt die Politikwissenschaftlerin Dr. Mieke Verloo von der Universität Nijmegen. Zudem fehle ein konzeptioneller Rahmen. Verloo hat das europäische Forschungsprojekt mageeq – Mainstreaming Gender Equality – geleitet und 2003 zusammen mit Ilse van Lamoen den niederländischen Länderbericht zum Status Quo der Erfahrungen mit der Strategie des Gender Mainstreaming erstellt. Sie kommen zu einer kritischen Einschätzung des Erreichten:

  • GM in den Niederlanden ist durch eine zu starke Ausrichtung auf organisatorische Aspekte geprägt; trotz des frühen (institutionellen) Querschnittsansatzes wurde dieser nicht mit Leben gefüllt,
  • ein fundiertes, kohärentes Gleichstellungskonzept als Grundlage von GM fehlt.
  • Beispiel: Der Aktionsplan GM aus dem Jahr 1998 hat zwar jedes Ministerium auf drei konkrete Gleichstellungsprojekte verpflichtet, doch fehlte diesen ad-hoc-Maßnahmen eine langfristige Vision als Rahmen.
  • Die starke Ausrichtung der Gleichstellungspolitik auf die Partizipation von Frauen am Arbeitsmarkt hat Männer zu spät in den Blick genommen; Folge: der Arbeitsmarkt hat sich zu einem Anderthalb-Verdienenden-Modell entwickelt, in dem Frauen weiter für Fürsorgearbeit zuständig sind und in Teilzeit arbeiten.
  • Als grundsätzlich falsch bewerten Verloo und Lamoen die Abkehr von einem strukturellen Ansatz, der mit dem Mehr-Jahres-Emanzipations-Programm 2000 – 2010 erfolgte. Die eigentliche Chance von Gender Mainstreaming, gesellschaftliche Geschlechterverhältnisse zu verändern, sei damit nicht einmal in den Blick genommen worden (Verloo/van Loemen 2003: 1ff.).

NGOs

Auch einige niederländische NGOs der Frauenbewegung üben in dem von ihnen verfassten 2. Schattenreport (2006) zum 4. CEDAW-Bericht der Regierung scharfe Kritik:

  • Unter dem Label von Gender Mainstreaming sei Gleichstellungspolitik zum Verschiebebahnhof geworden. Der zuständige Minister verlagere im Namen von GM das Thema Gleichstellung in den Verantwortungsbereich anderer Ministerien. Unter dem Deckmantel von Dezentralisierung werde Verantwortung auf lokale Institutionen abgewälzt.
  • Es sei Aufgabe der Regierung zu überwachen, ob Ziele erreicht werden und gegebenenfalls gegenzusteuern, fordern die knapp 30 beteiligten Frauenverbände im 2. Schattenreport. Die Emanzipationsabteilung der Regierung, das DCE, komme seiner Rolle als Koordinator nicht nach und vernachlässige zudem seine Funktion als Stimulator und Initiator.
  • Zudem bemängeln die Frauenverbände eine Engführung von Gleichstellungspolitik auf die Integration von Frauen mit Migrationshintergrund (2. Schattenreport 2006: 11ff.).

UN

Der UN-Ausschuss für die „Beseitigung der Diskriminierung der Frau“ zeigte sich im Februar 2007 besorgt über den Stand der Umsetzung von GM in den niederländischen Ministerien. Die Koordination und das Controlling über die Art und Weise, wie Gleichstellung als Querschnitt in den Politikfelder der verschiedenen Ministerien verwirklicht werde, sei nicht sichergestellt, bemängelte der CEDAW-Ausschuss in seiner abschließenden Bewertung des 4. CEDAW-Berichts der niederländischen Regierung. Der Ausschuss empfahl, die Verantwortung für das Koordinieren, Überwachen und Bewerten des GM-Prozesses in die Hand eines federführenden Ministeriums zu legen. Darüber hinaus bemängelte das UN-Gremium, dass die tatsächliche Gleichstellung in vielen gesellschaftlichen Gebieten noch nicht genügend Fortschritte gemacht habe: Die weiterhin starke Präsenz von Geschlechterstereotypen spiegele sich in dem hohen Anteil von Frauen an Teilzeitarbeit oder ihrer geringen Partizipation am öffentlichen Leben oder in Führungspositionen wider. Insbesondere die Mehrfachdiskriminierung von Frauen mit Migrationshintergrund in Bildung, Beschäftigung, Gesundheit und Gewaltschutz sei besorgniserregend (UN-CEDAW-Ausschuss 2007: 3ff.).

MH 
erstellt von Administrator zuletzt verändert: 09.05.2012 13:47