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Ziele und Politikfelder von Gleichstellungspolitik

Ziele und Politikfelder von Gleichstellungspolitik

Hintergrund

Gleichstellung war vor dem Umbruch Ende der 80er Jahre in den sozialistischen Ländern kein Thema, da die Frauenfrage als „gelöst“ galt. Die staatliche Politik und staatliche Betriebe unterstützen das Leitbild der vollerwerbstätigen Mutter durch betriebliche soziale Leistungen, ein die Vereinbarkeit förderndes Betriebsklima, finanziell gestützten Elternurlaub und und ein breit ausgebautes Kinderbetreuungsangebot (Betzelt 2007: 29). Das wohlfahrtsstaatliche Arrangement von Geschlechterverhältnissen, in Anlehnung an die Forschung zu Wohlfahrtsstaaten das „Geschlechterregime“ genannt, ähnelte mit dieser Ausrichtung am Zwei-Verdienste-Modell somit auf den ersten Blick dem egalitär orientierten skandinavischen Modell (Einen Überblick zu Wohlfahrtsstaaten und Geschlechterregime gibt Kulawik 2005).

Allerdings gab es einen entscheidenden Unterschied: Die traditionelle Arbeitsteilung im Privaten blieb unangetastet. Denn es fehlte ein Veränderungsdruck seitens der Zivilgesellschaft, der bis ins Private gewirkt hätte, wie er in den skandinavischen Ländern zu beobachten war. Insofern muss von einem getrennten Geschlechterregime im öffentlichen und privaten Bereich gesprochen werden, das zu einer Mehrfachbelastung von Frauen führte: Neben der vollen Erwerbstätigkeit die Verantwortung für Familienarbeit und Haushalt zu tragen. Ob die hohe Arbeitslosigkeit und reduzierte öffentliche Unterstützungsstrukturen im Zuge der Systemwechsels zu einer Re-Traditionalisierung oder zu der Ausbildung eines neues Geschlechtermodells führen, wird in der Forschung kontrovers diskutiert (Betzelt 2007: 29).

Das heutige Estland ist aus wissenschaftlicher Sicht bislang noch nicht als spezifisches Geschlechterregime beschrieben (Kuhl 2007: 32). Die Beobachtungen von Voormann weisen jedoch in die Richtung einer Re-Traditionalisierung von Geschlechterverhältnissen: Die ökonomische und kulturelle Rechtfertigung, zu Hause zu bleiben, sei für Frauen in der post-sozialistischen Ära gewachsen. Aus dem Erwerbsleben auszusteigen werde nicht als Verstärkung von Geschlechterungleichheit gesehen, sondern in Abgrenzung zum sowjetischen Bild der erwerbstätigen Frau als neue Freiheit empfunden (Voormann 2005: 317+322f.).

Aktuelle Ziele und Politikfelder

Mit der „Konferenz der estnischen Frauen“ wurde 1989 erstmals die breite Diskussion über die Gleichstellung der Geschlechter angestoßen, berichtet das estnische Sozialministerium auf seiner Homepage (www.sm.ee). Das Politikfeld Gleichstellung ist seitdem durch eine Gleichzeitigkeit von Schritten gekennzeichnet, die sich in den alten Mitgliedstaaten über einen längeren Zeitraum entwickelten: das Schaffen einer nationalen Gesetzesgrundlage, der Aufbau institutioneller Strukturen und inhaltliche Arbeit wurden parallel geleistet (Kuhl 2007: 165). Ein Grund hierfür sind nicht zuletzt internationale Verpflichtungen:

Mit der Ratifizierung der Konvention zur Beseitigung der Benachteiligung von Frauen (CEDAW) 1991 ist Estland Verpflichtungen im Bereich Gleichstellung eingegangen.

Estland ist 2004 der Europäischen Union beigetreten. Im Vorfeld lag ein Schwerpunkt der estnischen Gleichstellungspolitik darauf, den rechtlichen Gleichstellungs-Acquis der EU – also die einschlägigen europäischen Richtlinien im Gleichstellungsbereich – in nationales Recht umzusetzen und institutionalisierte Strukturen von Gleichstellungspolitik zu schaffen. Pünktlich zum EU-Beitritt am 1. Mai 2004 verabschiedete das estnische Parlament ein modernes Gleichstellungsgesetz (www.sm.ee).

Ebenfalls im Jahr 2004 ist ein Elterngeld-Gesetz in Kraft getreten. Dieses sieht eine hundertprozentige Lohnersatzleistung während der einjährigen Elternzeit vor. Das Elterngeld beläuft sich maximal auf 1.003 Euro – das entspricht dem dreifachen durchschnittlichen Monatseinkommen – und mindestens auf 141 Euro. Die ersten sechs Monate können allerdings nur von der Mutter in Anspruch genommen werden. Im Jahr 2004 gingen mit 98,3 Prozent die Mütter mit überwältigender Mehrheit in die Elternzeit (Open Estonia Foundation 2005: 10+31).

Ein weiterer Schwerpunkt der estnischen Gleichstellungspolitik liegt auf dem Kampf gegen Frauenhandel und häusliche Gewalt. Estland hat sich an der Nordisch-Baltischen Kampagne gegen Frauenhandel in den Jahren 2002 und 2003 beteiligt, um in einem ersten Schritt das Ausmaß von Frauenhandel und Prostitution abzustecken. Nach weiteren Projekten hat Estland dann den „Nationalen Aktionsplan gegen Menschenhandel“ für die Jahre 2006 bis 2009 verabschiedet. Richtlinien für die Prävention, die Rehabilitierung der Opfer und die Verfolgung der Menschenhändler sind Bestandteile des Aktionsplans, für dessen Umsetzung das Justizministerium verantwortlich zeichnet. Grundlage für die politische Arbeit im Bereich Schutz gegen häusliche Gewalt ist eine repräsentative Studie, welche das Sozialministerium 2001 durchführen ließ. Ein nationaler Aktionsplan gegen häusliche Gewalt ist für 2008 geplant (Council of Europe 2006: 3ff).

MH
erstellt von Administrator zuletzt verändert: 02.01.2010 20:06