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Daten über die Entwicklung von Gleichstellung in Estland

Daten über die Entwicklung von Gleichstellung

Ökonomische Unabhängigkeit

Die Frauenerwerbsquoten lagen in den sozialistischen Ländern des Ostblocks mit 70 bis 80 Prozent ähnlich hoch wie die der Männer, die staatliche Politik unterstützte das Leitbild der vollerwerbstätigen Mutter durch ein breit ausgebautes Betreuungsangebot ab dem frühesten Kindesalter und durch soziale Leistungen (Betzelt 2007: 28f.). Seit der Unabhängigkeit Estlands 1991 und dem Transformationsprozess vom Sozialismus zum Kapitalismus hat sich der Arbeitsmarkt jedoch zu Lasten von Frauen verändert: Zwar sank für Frauen und Männer die Beschäftigungsquote, bei Frauen allerdings in einem stärkeren Maß. Während 1989 noch 71 Prozent der Frauen im erwerbsfähigen Alter zwischen 15 und 69 Jahren einer Arbeit nachgingen, waren es 1999 nur noch 61 Prozent. Bei den Männern sank die Beschäftigungsquote im gleichen Zeitraum von 82 auf 74 Prozent (Voormann 2005: 317).

2006 konnte Estland dennoch einen Anteil der Frauen an den Beschäftigen von insgesamt 50 Prozent vermelden. Das ist europaweit der höchste Wert. Gründe sind einmal die schlechte Gesundheit und geringere Lebenserwartung von Männern, zum anderen die hohe Arbeitsmarktbeteiligung älterer Frauen, die sogar die der gleich alten Männer übertrifft: von den 87.000 Beschäftigen in der Gruppe der 55-64-Jährigen waren 50.000 Frauen (www.stat.ee). Zudem ist zu vermuten, dass Frauen eher bereit sind, auch schlecht bezahlte Arbeit anzunehmen: Eine Untersuchung aus dem Jahr 2005 zeigte, dass 62,7 Prozent der arbeitslosen Männer im Schnitt ein Gehalt von 5.000 Estnischen Kronen (EEK) erwarteten, während 37,7 Prozent der Frauen bereit waren, bereits für 3.000 EEK im Monat zu arbeiten, 26,2 Prozent für wenigstens 4.000 EEK. Nur 28 Prozent der Frauen gaben 5.000 Kronen als Mindestmaß an (Council of Europe 2006: 7). Ausdifferenzierte Daten, die auch Unterschiede zwischen Frauen bzw. Männern nach ihrer ethnischen Herkunft, Bildung oder Behinderung aufweisen würden, liegen nicht (auf englisch) vor.

Weitere Herausforderung für die Gleichstellung ist auch in Estland die Lohndiskriminierung: Die Lohnschere öffnet sich in Estland seit der Unabhängigkeit immer weiter. 1992 betrug das durchschnittliche Einkommen von Frauen im Verhältnis zu dem der Männer noch 80 Prozent, der „Pay-Gap“ lag also bei 20 Prozent (Voormann 2005: 325). 2005 war dieser Einkommensunterschied sogar auf 25 Prozent angestiegen, womit Estland und Zypern gemeinsam das Schlusslicht in der europäischen Statistik waren. Im EU-Durchschnitt liegt die geschlechtsspezifische Lohndifferenz bei 15 Prozent (EU-KOM 242: 325).

Arbeitsteilung

Die Segregation der Erwerbsarbeit, also die geschlechtsspezifische Präsenz und Bewertung von unterschiedlichen Tätigkeiten, ist in Estland ebenfalls belegt. Auch vor der Wende ging die hohe Erwerbsbeteiligung von Frauen in Estland nicht mit einer Gleichstellung der Geschlechter am Arbeitsmarkt oder einer partnerschaftlichen Aufteilung der Arbeit für Familie und Haushalt einher, resümiert der estnische Soziologe Rein Voormann: Die Verantwortung für Haushalt und Familie werden den Frauen zugewiesen, der Mann gelte als Familienernährer. Das habe sich auch in der postsozialistischen Ära nicht geändert. Ganz im Gegenteil: Die ökonomische und kulturelle Rechtfertigung für Frauen, aus dem Erwerbsleben auszusteigen, sei – mit allen negativen Folgen - leichter geworden. Gänzlich zu Hause zu bleiben werde nicht als Verstärkung von Geschlechterungleichheit gesehen, sondern in Abgrenzung vom sowjetischen Bild der erwerbstätigen Frau als neue Freiheit empfunden (Voormann 2005: 317+322f.). Die Daten des statistischen Bundesamtes in Estland untermauern die Verantwortung von Frauen für Haushalt und Familie: Frauen wandten 2000 im Durchschnitt pro Tag 4 Stunden und 47 Minuten für Arbeiten in diesem Bereich auf, Männer dagegen nur 2 Stunden und 41 Minuten. Am größten ist diese Differenz in der Altersgruppe der 15–44-Jährigen. Hier verbringen Frauen 5 Stunden und 17 Minuten mit unbezahlter Arbeit in Haushalt und Familie, Männer dagegen nur 2 Stunden und 47 Minuten (www.stat.ee).

Teilzeitarbeit ist in Estland – wie in den anderen Transformationsstaaten auch – relativ wenig verbreitet: 11 Prozent der estnischen Frauen und knapp fünf Prozent der estnischen Männer gingen 2006 in Teilzeit arbeiten. Im EU-Durchschnitt liegt die Teilzeitquote von Frauen bei 31 und von Männern bei knapp acht Prozent (EU-Komm 242: 27). Ein Drittel der Frauen mit Kindern unter drei Jahren übt in Estland eine Erwerbstätigkeit aus. Bei Müttern, deren Kinder zwischen 4 und 14 Jahre alt sind, steigt diese Rate auf 79 Prozent.

Auch mit Blick auf Branchen ist der Arbeitsmarkt in Estland deutlich zwischen den Geschlechtern aufgeteilt: 72 Prozent der erwerbstätigen Frauen übten eine Arbeit im Dienstleistungssektor aus, 51 Prozent der Männer dagegen im agrarischen und industriellen Sektor (European Council 2006: 6). Die Daten des europäischen Statistikamtes Eurostat zur durchschnittlichen Differenz des Frauen- und Männeranteils in allen Berufen weisen für Estland mit 32 Prozent den am stärksten nach Geschlecht segregierten Arbeitsmarkt in der Europäischen Union aus. (EU-Komm 242: 29).

Partizipation in Bildung, Wirtschaft und Politik

Auch die Bildungsabschlüsse spiegeln den nach Geschlechterlinien aufgeteilten Arbeitsmarkt wider: Männer schlagen tendenziell einen beruflichen Bildungsweg ein, während Frauen eine weiterführende Schule besuchen. 2003 entschieden sich deutlich mehr Jungen (11.322) als Mädchen (5.798) nach der neunjährigen Basisschule für eine berufliche Ausbildung. Immer mehr Schüler und Schülerinnen besuchen eine weiterführende Schule. Im Jahr 2002/2003 waren es 70,8 Prozent, die nach der neunten Klasse weiter zur Schule gingen, davon 81,3 Prozent Mädchen. In Fächern wie Pädagogik, Kunst und den Geisteswissenschaften sind Frauen deutlich überrepräsentiert (4. CEDAW-Bericht 2005: 51). Über die Einkommenserwartungen, die mit diesen beruflichen Bildungsentscheidungen verknüpft sind, liegen jedoch keine Angaben vor. In Führungspositionen der Wirtschaft sind Frauen in Estland mit vier Prozent jedenfalls deutlich unterrepräsentiert (Estonian Ministry of Foreign Affairs 2004: 2).

Im Hinblick auf die Politik zeigen sich wechselnde Dynamiken. Nachdem sich in der Zeit des Umbruchs Ende der 80er Jahre zunächst viele Frauen politisch in der Freiheitsbewegung engagierten, zogen sie sich danach wieder aus der Politik zurück (Voormann 2005: 317). Der Anteil von Frauen im Parlament ist dennoch in den vergangenen Jahren stetig angestiegen: Während 1995 noch 11,9 Prozent der Abgeordneten Frauen waren, lag dieser Anteil 2003 bei 18,8 Prozent (Council of Europe 2006: 5). Zur Zeit sind von den 101 Sitzen im estnischen Parlament, dem riigikogu, 21 mit Frauen und 80 mit Männern besetzt (www.riigikogu.ee). Damit bewegt sich Estland knapp unter dem EU-Durchschnitt von 23 Prozent Frauen in den Parlamenten. In der seit April 2007 amtierenden sozial-liberal-konservativen Regierung unter dem liberalen Ministerpräsident Andrus Ansip sind 2 Frauen und 12 Männer im Kabinett vertreten (www.valitsus.ee). Dieser Frauenanteil von 16,6 Prozent liegt deutlich unter dem EU-Schnitt von 23 Prozent Frauen bzw. 77 Prozent Männern in den Regierungen.

MH
erstellt von Administrator zuletzt verändert: 02.01.2010 20:06