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Einschätzungen zur estnischen Gleichstellungspolitik

Einschätzungen zur estnischen Gleichstellungspolitik

Wissenschaft

Mit dem Gleichstellungsgesetz aus dem Jahr 2004 hat die Estland die rechtlichen und institutionellen Voraussetzungen für eine umfassende Umsetzung von Gleichstellung als Querschnitt geschaffen. Der Prozess der Umsetzung steht allerdings noch am Anfang, so das Resümee von Mara Kuhl in ihrer Dissertation über GM in Estland. Beispielsweise das Einrichten einer interministeriellen Arbeitsgruppe – grundlegend für den Querschnittsansatz - sei bis dato nicht gelungen. Dieses Scheitern führt sie auf den fehlenden Top-Down-Rückhalt innerhalb der Regierung zurück, dem Parlament bescheinigt sie eine „tendenziell gleichstellungsfeindliche“ Haltung, gesellschaftlich sei das Thema Gleichstellung marginalisiert. Bisherige Erfolge seien dem bottom-up-Druck einzelner Akteur/-innen in der Ministerialverwaltung zu verdanken. Ihnen ist es gelungen, punktuell gemeinsam mit Frauenverbänden die - durch die internationalen Beziehungen aufgestoßenen - „Windows of Opportunities“ zu nutzen, etwa bei der Verabschiedung des Gleichstellungsgesetzes im Vorfeld des EU-Beitritts.
Insgesamt ist der politische Einfluss der Gleichstellungsabteilung aber als gering einzustufen, so Kuhl, deren Ressourcen zu gering. Die bisherigen Aktivitäten zu Gender Mainstreaming seien ohne die Zusammenarbeit und ohne die Finanzierung internationaler Organisationen wie der Vereinten Nationen und der Europäischen Union nicht denkbar gewesen. Eine eigenständige nationale Finanzierung der Umsetzungsaktivitäten ist bislang nicht erfolgt, lediglich die Ko-Finanzierung der Kooperationsprojekte. Mit dem Beitritt zur EU versiegen Geldquellen aus Beitrittförderungsprojekten wie beispielsweise Twinning, was sich deutlich bemerkbar macht. Ob das Engagement internationaler Organisationen und der Rückenwind der EU ausgereicht haben, um den nationalen Demokratisierungsprozess in Estland nachhaltig in Schwung zu bringen, müsse sich noch zeigen (Kuhl 2007: 170 ff, 211ff, 227ff).

NGOs

Auch die Frauenverbände kommen zu einer kritischen Einschätzung über den Stand der Umsetzung von Gender Mainstreaming: Sie begrüßen zwar das Gleichstellungsgesetz, allerdings sei zu wenig getan worden, um es in der Öffentlichkeit bekannt zu machen. Es fehle der politische Wille sowie die Kompetenz in den Verwaltungen, um die Gleichstellung der Geschlechter voranzubringen, bemängeln die Frauenverbände in ihrem Schattenbericht zur Umsetzung der Konvention zur Beseitigung der Benachteiligung von Frauen, den sie im Sommer 2007 vorgelegt haben. In der fachlichen Arbeit sei GM noch nicht angekommen: Unterm Strich werde in Politikprogrammen oder Aktionsplänen eine Genderperspektive nicht ausreichend berücksichtigt oder geplante Maßnahmen sind finanziell nicht abgesichert: Zwar sieht beispielsweise der mittelfristige Haushaltsplan für die Jahre 2008 bis 2011 Instrumente wie Gender Mainstreaming und Maßnahmen wie eine Strategie gegen häusliche Gewalt und einen Aktionsplan gegen Frauenhandel vor – allerdings sind für das Jahr 2008 keine Mittel vorgesehen, bemängeln die NGOs. Auch geschlechterdifferenzierte Gesetzesfolgenabschätzungen werden noch nicht durchgeführt. Die Frauenverbände fordern, weiterhin Gender-Trainings für die Verwaltungsangestellten anzubieten – nach dem EU-Beitritt 2004 sei die Anzahl der Seminare und Workshops in diesem Bereich stark zurückgegangen.

Auf heftige Kritik seitens der Frauenverbände stößt die geringe Ausstattung der institutionalisierten Akteure: Die personelle Ausstattung des Gender Equality Commissioners sei mit zwei Personen zu klein, als dass er seine vielfältigen Aufgaben ausfüllen könne. Neben dem Überwachen, ob dem Gleichstellungsgesetz auf allen Ebenen entsprochen wird, gehört dazu sein Rolle als Beschwerdestelle für Diskriminierungen. Zudem soll der Gender Equality Commissioner nach einem Gesetzesentwurfs der Regierung zukünftig auch für Diskriminierungen aufgrund der Herkunft, des Alters, der sexuellen Orientierung, der Religion oder einer Behinderung zuständig sein, was eine weitere Verschärfung der Situation bedeuten würde. Die Aufgaben der ohnehin kleinen Gleichstellungsabteilung im Sozialministerium wurden im Juni 2007 um den Bereich Familienpolitik erweitert – Gleichstellung droht damit an den Rand gedrängt zu werden, befürchten die Frauenverbände (CEDAW-Schattenbericht 2007: 4ff).

UN

Auch der UN-Ausschuss für die „Beseitigung der Diskriminierung der Frau“ hat seiner Stellungnahme zum 4. CEDAW-Bericht der estnischen Regierung Fortschritte im Bereich des Rechts gelobt, jedoch den Handlungsbedarf beim Erreichen tatsächlicher Gleichstellung angemahnt. Der UN-CEDAW-Ausschuss teilt die Bedenken der estnischen Frauenverbände, dass die nationale Gleichstellungs-Infrastruktur nicht mit ausreichenden Ressourcen ausgestattet ist. Er mahnt eine personelle und finanzielle Aufstockung an und spricht sich für erweiterte Kompetenzen aus. Zudem haben die Regierungsparteien bislang keine konsistente und nachhaltige Umsetzung einer Gleichstellungsorientierung in Politikfelder und -programme erkennen lassen, so die Kritik von internationaler Seite. Die „tiefverwurzelten, patriarchalen“ Stereotype über die Zuständigkeiten von Frauen und Männern in Familie und Gesellschaft seien besorgniserregend, da sie Auswirkungen auf die Situation von Frauen auf dem Arbeitsmarkt, ihre Berufswahl und ihre Partizipation am politischen Leben und an Entscheidungspostionen haben. Der Ausschuss legt der estnischen Regierung insbesondere ans Herz, Maßnahmen zu ergreifen um das Pay-Gap zu verringern (UN-CEDAW-Ausschuss 20071ff.).

MH
erstellt von Administrator zuletzt verändert: 02.01.2010 20:06