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Kurzbericht zur Podiumsdiskussion: "Gleichstellung in der Privatwirtschaft –quo vadis?"

Podiumsdiskussion zum Status Quo und Perspektiven der Vereinbarung zur Förderung der Chancengleichheit von Frauen und Männern in der Privatwirtschaft, Mittwoch, 23. Februar 2005, Festsaal des Abgeordnetenhauses

 
Wie steht es um die Gleichstellung in der Wirtschaft? Wie ist der Status Quo und wie sind die Perspektiven der Vereinbarung zur Förderung der Chancengleichheit von Frauen und Männern in der Privatwirtschaft?

Diese Fragen wurde am 23.Februar im Festsaal des Berliner Abgeordnetenhauses von einem vielfältig besetzten Podium und einem kompetenten Publikum kontrovers diskutiert. Eingeladen hatten die Überparteiliche Fraueninitiative Berlin, die interfraktionelle Frauengruppe des Bundestages und das GenderKompetenzZentrum.

In die Thematik leitete Anke Domscheit ein, Mitglied der ÜPFI und Vorstandssprecherin der Regionalgruppe Berlin-Brandenburg des European Womens Management Development Network: Die freiwillige Vereinbarung zwischen der Wirtschaft und der Bundesregierung, die 2001 statt eines Gesetzes getroffen wurde, ist 2003 als erfolgreich bilanziert wurde. In der Praxis zeigt sich jedoch, dass das nicht genügt.

Prof. Susanne Baer als Direktorin des GenderKompetenzZentrums führte dazu aus: Hinsichtlich aller Dimensionen der Gleichstellung – von Repräsentation über Lebenslagen und Ressourcen bis hin zu den heimlichen Normen - gebe es Defizite, die sie mit Beispielen untermauerte. Was sind die adäquaten Reaktionen darauf? Der Ruf nach einem Gleichstellungsgesetz sei verkürzt und nicht ausreichend: Es gebe zahlreiche rechtliche Regelungen gegen Diskriminierung, die eigentlich ausreichen müssten. Die Frage sei, warum sie in der Praxis bisher so wenig bewirkt haben. Warum hapert es an der Umsetzung? Gender Mainstreaming sei eine Strategie, systematisch Gleichstellungshindernisse herauszufinden und abzubauen. Da liege auch für die Wirtschaft Zukunftspotenzial. (Das Impulsreferat von Prof. Susanne Baer können Sie hier als PDF-Datei herunterladen.)

Dr. Renate Ortlieb vom Institut für Management an der Freien Universität Berlin, Mitautorin des 1. Berichts zur Umsetzung der freiwilligen Vereinbarung, berichtete von der Befragung von 500 Unternehmen zu deren Gleichstellungsmaßnahmen. 13% der Unternehmen führten keine Maßnahme durch. Bei den anderen wird am häufigsten Maßnahme die Arbeitszeit flexibilisiert, und darüber hinaus ist meist nichts geplant. Auch an geschlechterdifferenzierten Daten z.B. über hierarchische Segregation und Verdienstunterschiede fehlt es. (Den Beitrag von Dr. Renate Ortlieb können Sie als PDF-Datei herunterladen.)

Ingrid Hofmann vom Präsidium der Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände (und dort nebenbei einzige Frau) hob als persönliche Zielsetzung die Vereinbarkeit von Beruf und Familie hervor. Ihr Unternehmen habe bei 5000 MitarbeiterInnen eine Frauenquote von 34%, von denen die Hälfte Kinder habe. Es gebe also durchaus Beispiele für Best Practice. Es seien ernsthafte Bemühungen erkennbar, so dass nicht immer sofort Gesetze nötig seien, zumal die wirtschaftliche Situation momentan nicht so einfach sei.

Brigitte Unger-Soyka ist Leiterin der Abteilung Gleichstellung im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Sie erinnerte an die Situation vor der freiwilligen Vereinbarung, in der es zum Thema Chancengleichheit keine Gesprächsebene zwischen Politik und Wirtschaft gegeben habe. Diese wie in der "Allianz für Familie" zu etablieren sei ein Erfolg der Vereinbarung. Es gebe zugegebenermaßen Defizite. Allerdings hänge dies auch mit der schwierigen Datenbasis zusammen. Eine Bilanzierung nach 2 Jahren sei zu knapp, 5 Jahre seien vielleicht eher angemessen. (Hier finden Sie das Statement von Frau Unger-Soyka als PDF-Datei.)

Die Bereichsleiterin Frauen- und Gleichstellungspolitik beim IG Metall-Vorstand Christiane Wilke bilanzierte: Die Befürchtung der Gewerkschafterinnen sei eingetreten, dass Freiwilligkeit zur Erreichung von Chancengleichheit kein erfolgreiche Strategie sei. Sie unterstrich die Forderung nach einer gesetzlichen Regelung, da ohne sie das Ziel nicht erreicht werden könne. Engagierte Betriebsräte seien wichtige Initiatoren für betriebliche Gleichstellungsmaßnahmen. Sie würden durch die Gewerkschaften mit zahlreichen Angeboten unterstützt, z.B. sei im Fortbildungsangebot das Thema Chancengleichheit integraler Bestandteil. Dennoch seien noch viele Maßnahmen nötig. Dazu gehöre auch ein effektives Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft. (Das Statement von Frau Christiane Wilke können Sie hier herunterladen.)

Die Debatte auf dem Podium moderierte Bascha Mika, die Chefredakteurin der tageszeitung: Wenn bekannt sei, welche Instrumente greifen, warum würden sie dann nicht angewendet?

Unger-Soyka verwies darauf, dass Gender Mainstreaming Strukturen verändere, was schwierig sei und nicht von heute auf morgen geschehen könne. Renate Ortlieb erinnerte an den Befund ihrer Studie: Die Bemühungen seien nicht bis zu den Unternehmen durchgesickert; sei kein Imagegewinn zu erwarten, gebe es kein Interesse. Auch die Aufklärungsarbeit über unternehmerische Vorteile brauche Zeit, wandte Hofmann ein. In diesem Kontext wurde auf die Unterschiedlichkeit zwischen den eher offenen großen Unternehmen und den Kleinen und Mittleren Betrieben hingewiesen.

Mika stieß die Diskussion über Teilzeitarbeit als Vereinbarkeitsinstrument an. Flexibilisierung und Verlängerung der Arbeitszeit stünden den Interessen der Beschäftigen entgegen, meinte Wilke, und wichtig sei, auch in Führungspositionen eine Arbeitszeitreduzierung zu ermöglichen. Hofmann widersprach, denn das gehe dort nicht und man solle den Frauen diesbezüglich keine Illusionen machen. Die Vereinbarkeit hänge eng mit der Arbeitsteilung im Haushalt zusammen, warf Unger-Soyka ein, denn dort müssten Männer mehr Arbeit übernehmen und das führe auch zur Frage der Männern in Teilzeit-Arbeitsverhältnissen als einer Machtfrage, die bisher in der Gleichstellungspolitik nicht aufgeworfen werde. Überhaupt solle eine Karriere nicht in nur 10 bis 15 Jahre gepackt, sondern zeitlich entzerrt werden. Ortlieb verwies darauf, dass anscheinend positive Entwicklungen oft nicht auf gleichstellungspolitische Erfolge zurückgingen: So sei die Entgeltangleichung oft ein Bildungseffekt und die Erhöhung eines Frauenanteils hänge häufig am überproportionalen Ausscheiden von Männern. In den Instrumenten der Tarifverträge werde zudem strukturelle Diskriminierung festgeschrieben. Bis 2006 würden die BAT-Tarifverträge geschlechtergerecht gestaltet, kündigte Unger-Soyka an.

In den gerade von Politikerinnen vorgebrachten Stellungnahmen aus dem Publikum überwogen die kritischen Stimmen:

Irmingard Schewe-Gerigk nannte die freiwillige Vereinbarung gescheitert, und ohne Ausgangsdaten sei eine echte Bilanz nicht möglich.

Christa Lippmann sah in der Vereinbarung einen Bremsversuch und war nicht überrascht, dass sich Strukturen nicht freiwillig veränderten.

Sie sei zu alt, um geduldig zu sein, ärgerte sich Sybill Klotz: Neben einer Debatte über Leitbilder seien Sanktionen nötig, um Veränderungen zu erreichen. Das Ziel solle Wahlfreiheit sein, die verschiedene Lebensvisionen ermöglicht. Frauen hätten nicht alle die gleichen Wünsche.

Diskutiert wurde auch das Verbandklagerecht: Sollten Frauenverbände es einfordern, damit Gesetze tatsächlich umgesetzt werden?

Ina Lemke wies auf die Notwendigkeit hin, das Ehegattensplitting abzuschaffen.

Ein Beispiel aus Norwegen zog schließlich Anke Domscheit heran: Schon durch die Androhung eines Gleichstellungsgesetzes habe sich dort den Frauenanteil in den Vorständen der börsennotierten Unternehmen von sechs auf 22% gesteigert.



Über folgende Links können Sie die Redemanuskripte der Veranstaltung als PDF-Dateien herunterladen:


erstellt von Administrator zuletzt verändert: 10.05.2012 09:22