Sie sind hier: Startseite Veranstaltungs-, Publikations- und News Archiv Fachtagungen "Diskriminierungsfreie Arbeitsbewertung"
Navigation
  • Anmelden
  • Registrieren
 

"Gender Mainstreaming in der Personalentwicklung - Diskriminierungsfreie Arbeitsbewertung und Eingruppierung im öffentlichen Dienst"


Die achte Fachveranstaltung des GenderKompetenzZentrums fand am 29. Mai 2006 von 10.00 bis 16.00 Uhr im Senatssaal der Humboldt-Universität zu Berlin statt. Es trafen sich Vertreterinnen und Vertreter der Bundesministerien und einiger nachgeordneten Behörden sowie von Landesverwaltungen. Die Fachtagung wurde vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend finanziert.

Im Kontext der Verhandlungen um eine neue Bewertung von Arbeit und Eingruppierung im öffentlichern Dienst wurden sowohl Anregungen aus der Wissenschaft und Erfahrungen aus anderen europäischen Ländern als auch Erfahrungen der praktischen Umsetzung diskutiert. Im Mittelpunkt stand die große Bedeutung einer diskriminierungsfreien Vorgehensweise. Die Beseitigung von Diskriminierung ist nicht nur ein rechtliches Ziel, sondern auch für den Erfolg der Reform des öffentlichen Dienstes eine wichtige Bedingung. Die Vorträge und Diskussionen zeigten zum einen, dass Entgeltungleichheit zwischen Frauen und Männern in der Bundesrepublik weiterhin Realität ist und der öffentliche Dienst gehalten ist, weiterhin eine Vorreiterrolle bei der Beseitigung zu übernehmen. Zum andern herrschte unter den Fachexpertinnen und -experten Einigkeit darüber, dass die analytische Arbeitsbewertung eine notwenige Voraussetzung für eine diskriminierungsfreie Arbeitsbewertung darstellt. Eine analytische Vorgehensweise ist nicht nur rechtlich begründet, sondern auch aus personalwirtschaftlichen Gründen gerechtfertigt, was nicht zu letzt auch das Unternehmensbeispiel zeigt. Die Analytik erhöht das Organisationswissen über notwendige Aufgaben und kann so zu einer systematischen Organisations- und Personalentwicklung beitragen. Sie lässt sich daher auch sehr gut in die Umsetzung von Gender Mainstreaming als Organisationsentwicklungsstrategie integrieren.

Prof. Dr. Susanne Baer, Vizepräsidentin der Humboldt-Universität zu Berlin und Direktorin des GenderKompetenzZentrums begrüßte die Teilnehmenden und wies auf das große Interesse an der Fachtagung hin. Mit den Fachtagungen, so führte sie weiter aus, möchte das Zentrum den Transfer Theorie und Praxis leisten und damit Gender Mainstreaming ein konkretes Gesicht geben. Zudem betonte Sie, dass dem Thema zwar aktuelle politische Aufmerksamkeit zukommt, im Rahmen der Tagung dem Thema aber in erster Linie ein Raum gegeben werden sollte, um kontrovers, sachkundig und der Komplexität aus wissenschaftlicher Betrachtungsweise angemessen zu diskutieren.

Die Unterabteilungsleiterin der Abteilung Gleichstellung im BMFSFJ
Renate Augstein wies in ihren einführenden Bemerkungen auf die große Bedeutung einer diskriminierungsfreien Arbeitsbewertung und Eingruppierung für das Erreichen von Gleichstellung hin. Mit Hilfe einer gerechten Bewertung müssten nicht nur Lohnunterschiede abgebaut sondern auch der geschlechtsspezifischen Aufteilung des Arbeitsmarktes und der Führungspositionen entgegen gewirkt werden. Bei der Bewertung von Arbeit geht es aus ihrer Sicht um zentrale Weichenstellungen für die Personalentwicklung. Dem Zentrum dankte sie für seine Arbeit an hoch aktuellen Gleichstellungsthemen, wie auch die aktuelle Fachtagungen verdeutlicht. Die Fachveranstaltungen sind zu einem wichtigen Erfahrungsaustausch innerhalb der Bundesverwaltung und darüber hinaus geworden und tragen dazu bei, Gender-Kompetenz auf allen Ebenen und in allen Bereichen zu verbreiten.

Dietrich Englert vom GenderKompetenzZentrum stellte in seinem Vortrag „Geschlechterstereotype in der Arbeitsbewertung und Eingruppierung“ die aktuelle Diskussion dazu vor. Einleitend zeigte er an Hand des aktuellen Gleichstellungsberichts der EU [Link], dass die Entgeltunterschiede zwischen Frauen und Männern in der Bundesrepublik zwischen 1999 und 2004 um fast 5 Prozentpunkte auf 23% zugenommen haben. Er wies darauf hin, dass Geschlechterstereotype zu unterschiedlichen Bewertungen von typischen Frauen- bzw. Männertätigkeiten beitragen, da sie Zuschreibungen von Eigenschaften allein auf Grund der Zugehörigkeit zu einem Geschlecht ermöglichen. Aktuell ist der traditionelle Sexismus weitgehend von einer moderneren Variante verdrängt worden. Diskriminierungen werden weitgehend geleugnet und Merkmalszuschreibungen erfolgen nicht nur negativ. Im Personalmanagement hat sich dafür auch der Begriff „women are wonderfull“ eingeprägt. Diese Prozess hat, wie die Entgeltungleichheit zeigt, nicht zu einem Abbau von Benachteiligungen geführt, sondern neue Rechtfertigungsgründe für die ungleiche Behandlung von Frauen und Männern hervorgebracht. Bei der Arbeitsbewertung komme es daher darauf an, transparente und reflexive Systeme zu etablieren, um den Einfluss von Geschlechterstereotypen zu kontrollieren und sukzessive abzubauen.

Im Anschluss daran stellte Dr. Regine Winter, Rechtsreferentin am Europäischen Gerichtshof und Arbeitsrichterin in Frankfurt/Oder „Rechtliche Grundlagen diskriminierungsfreier Arbeitsbewertung“ vor. Hierzu verwies sie auf den Artikel 141 EG und die Entgeltgleichheits-Richtlinie 75/117/EWG sowie auf § 612 Absatz 3 BGB. Sie vertiefte die rechtliche Anforderungen an Hand der Schlüsselbegriffe Entgelt, gleiche und gleichwertige Arbeit sowie unmittelbarer und mittelbarer Diskriminierung. Mittelbare Diskriminierung liegt vor, wenn vermeintlich neutrale Regelungen, Personen eines Geschlechts in der Durchführung ungerechtfertigter Weise benachteiligt. Weiter zeigte sie vom Europäischen Gerichtshof anerkannte Rechtfertigungsgründe auf und leitete daraus Anforderungen an zukünftige Entgeltsysteme ab. Ungeeignete Rechtfertigungsgründe sind bisher Haushaltserwägungen, Kostenargumente sowie allgemeine Behauptungen ohne konkrete Anhaltspunkte. Aus den juristischen Grundlagen leitete sie fünf Anforderungen an Entgeltsysteme ab. Sie müssen durchschaubar sein, „objektive“ Differenzierungskriterien enthalten, für Frauen und Männer müssen gemeinsame Kriterien gelten, die Differenzierungskriterien müssen diskriminierungsfrei ausgelegt und das „Wesen der Arbeit“ berücksichtigt werden. Hierzu führte sie einige Urteile des EuGH kurz aus.

In ihrem Vortrag „Analytische Arbeitsbewertung als Bedingung für eine diskriminierungsfreie Differenzierung der Grundentgelte“ gab Prof. Dr. Gertraude Krell von der Freien Universität Berlin einen Überblick über Verfahren der Arbeitsbewertung mit Blick auf die rechtlichen Maßstäbe und leitete daraus Konsequenzen für diskriminierungsfreie Bewertung ab. Analytische Arbeitsbewertung erfüllen die rechtlichen Vorgaben besser als summarische Rangfolge- oder Entgeltgruppenverfahren. In Ländern, in denen die Debatten um diskriminierungsfreie Arbeitsbewertung (Comparable-Worth-Debatte) weiter fortgeschritten sind, wird Analytik daher empfohlen oder sogar gesetzliche vorgeschrieben (USA, UK, Kanada). Aus ihrer Sicht stellt nur dieses Verfahren sicher, dass für alle Tätigkeiten gleiche und durchschaubare Maßstäbe angewandt werden. Analytische Verfahren sind jedoch nicht prinzipiell vor Diskriminierung gefeit. Die verwendeten Kriterien und die Gewichtung müssen zudem der Art der Arbeit angemessen sein und in ihrer Auslegung diskriminierungsfrei erfolgen. So werden im öffentlichen Dienst in Großbritannien beim Kriterium Arbeitsbedingungen auch der „Lärm durch Menschen“ erfasst und zu den emotionalen Belastungen zählen auch, die durch Menschen verursachten unangenehmen Störungen. Die Ausführungen von Frau Krell zeigten deutlich, dass bei der Arbeitsbewertung die Gefahr der Stereotypisierung besonders dann sehr hoch ist, wenn transparente Kriterien und systematische Bewertungsverfahren fehlen.

Die Umsetzung eines analytischen Verfahrens stellte Dr. Edeltraud Ranftl von der Universität Linz in ihrem Vortrag „Entgeltgleichheit – Erfahrungen aus Österreich“ am Beispiel der Volkshilfe Ober-Österreich dar. Mit Hilfe des Projekts FABA sollte ein Arbeitsbewertungssystem entwickelt werden, das zu einer höheren Transparenz bei der Bewertung, Stellenbeschreibung und Berufsbildern beiträgt. Zudem sollten bei der Umsetzung von FABA Diskriminierungselemente identifiziert werden. Der Wohlfahrtsverband wollte mit dem Projekt sein Image als innovativer Arbeitgeber stärken und die Transparenz der Organisation für die Mitarbeitenden erhöhen. Durch das Verfahren werden die Tätigkeiten in vier Kategorien analytisch bewertet und daraus eine Gesamtpunktzahl ermittelt. Die Neubewertung hat zu einer deutlichen Aufwertung sogenannter weicher Anforderungen geführt. Als zentrale Erfolgsfaktoren haben sich der partizipative Charakter der Umsetzung und die transparente Informationspolitik erwiesen. Zudem wurde eine Organisationsentwicklungsprozess in Gang gesetzt, der bis heute anhält.

Dr. Andrea Jochmann-Döll von GEFA Forschung+Beratung stellt in ihrem Vortrag „Diskriminierungsfreie Bewertung und Eingruppierung“ zwei sogenannte Mischmodelle aus der Praxis vor. Aus ihrer Sicht gibt es im öffentlichen Dienst einen erheblichen Reformbedarf, der vor allem daher rührt, dass die bisherigen Regelungen den Anforderungen in rechtlicher wie arbeitswissenschaftlicher Hinsicht nur ungenügend entsprechen. Es gäbe unterschiedliche Regelungen für Beschäftigte, es fehlten ausreichende Kriterien und es würden unterschiedliche Kriterien herangezogen. Es fehle folglich an der erforderlichen Transparenz wie an der adäquaten Beschreibung der Tätigkeiten. In der Praxis erweisen sich analytische Verfahren jedoch oft als nicht durchsetzbar. Daher ist es beispielsweise im Einzelhandel in Baden-Württemberg zu einem Mischsystem gekommen ist. Wesentliche Merkmale hiervon sind die getrennte Bewertung von Anforderungskriterien auf der Basis von überschneidungsfreien Kriterien, welchen den Charakter der Tätigkeiten erfassen sowie möglichst messbare Anforderungsstufen. Zudem hängt die Eingruppierung nicht nur an der Bewertung sondern an der Ausgestaltung der Entgeltgruppen und der Entgeltlinie und an der gleichstellungsorientierten Ausgestaltung des Verfahrens. Für Frau Jochmann-Döll ist der Weg für eine diskriminierungsfreie Bewertung klar konturiert, wenn gleich es in der Praxis oft an der Umsetzung hapert.

In seinem Vortrag „Abakaba – Instrument zur diskriminierungsfreien Arbeitsbewertung“ hat Dr. Christian Katz von Katz und Baitsch Partner für Salärsysteme ein analytisches Verfahren vorgestellt, das in der Schweiz, Österreich, Deutschland und Luxemburg bereits vielfach umgesetzt worden ist. Das Verfahren gilt derzeit als einziges Funktionsbewertungsverfahren im deutschsprachigen Raum, das die EU-Rechtsnormen erfüllt. Es wurde 1994/95 im Auftrag des Eidgenössischen Büros für die Gleichstellung von Frau und Mann entwickelt. Wesentliche Elemente sind die Festlegung von Kriterien und deren Messung, die Einstufung der Tätigkeiten in Bezug auf die festgelegten Kriterien sowie die Gewichtung der Kriterien. Traditionelle Verfahren haben bei allen vier Komponenten ein hohes Maß an Intransparenz, wodurch geschlechterspezifischen Verzerrungen Tür und Tor geöffnet wird. Die analytische Bewertung von Arbeitstätigkeiten nach Katz und Baitsch setzt demgegenüber auf ein Höchstmaß an Offenheit und Beteiligung. Tätigkeiten werden an Hand von vier Merkmalsbereichen mit Hilfe einer groben Skale bewertet. Die Einstufung erfolgt über einen internen Kommunikationsprozess ohne Bezug zu möglichen Punkteskalen oder Lohngruppen. Auch die Gewichtung der Merkmalsbereiche erfolgt separat von der Analyse der Tätigkeiten. Sie erfolgt meist nach unternehmenspolitischen Zielsetzungen und ist daher für geschlechtsbezogene Verzerrungen anfällig. Anderseits lassen sich unbegründete Gewichtungen auf Grund der hohen Transparenz relativ schnell erkennen und problematisieren. Neben der hohen Durchschaubarkeit zeichnet sich das Verfahren vor allem durch eine analytische Trennung der Beschreibung der Tätigkeiten und der Bewertung sowie Überführung in eine Lohnstruktur aus. Ein weiterer Vorteil liegt in der hohen Anpassungs- und Veränderungsfähigkeit des Systems.

Wie sich diese positiven Eigenschaften von ABAKABA in der Praxis auszahlen, hat Magnus Manhillen von der Eurohypo AG im abschließenden Vortrag erläutert. Die Eurohypo Bank nutzte das System der analytischen Stellenbewertung nach Zusammenschluss der drei Hypothekentöchter der Commerzbank, Deutsche Bank, Dresdner Bank zur Harmonisierung der Vergütungssysteme insbesondere der außertariflich Beschäftigten. Die neugegründete Arbeitsgruppe sah in ABAKAB eine Möglichkeit, Fach- und Führungskarrieren auch bei geringeren Aufstiegmöglichkeiten abzubilden und so transparente Anreize für hochqualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu schaffen. Für die Bewertung der Stellen wurde eine paritätisch besetzte Kommission eingesetzt. Die Zuordnung der Stellen auf Vergütungsgruppen erfolgte durch eine Gewichtung der vier Merkmalsbereiche, wobei intellektuelle Anforderungen und Belastungen mit 65%, psychosoziale mit 10%, physische mit 5% und Führungsverantwortung und Verantwortung mit 20% gewichtet wurden. Nach Einschätzung von Herrn Manhillen hat das transparente Verfahren in einer schwierigen Fusionsphase ein systematisches Personalmanagement nachhaltig unterstützt. Insbesondere sei es gelungen neben der Führungsverantwortung auch die Fachverantwortung zu integrieren, wodurch jetzt Fachkarrieren mit entsprechenden finanziellen Anreizen berücksichtigt werden können. Zudem werden Benachteiligungen weitgehend vermieden, was nicht zu letzt durch die erwartete Umsetzung der Antidiskriminierungsrichtlinien auch für die Eurohypo AG an Bedeutung gewinnt. Die Bank sieht sich hier bereits vor der gesetzlichen Verankerung sehr gut aufgestellt.

Die Präsentationen waren von zahlreichen Diskussionen begleitet, die sich einerseits um die konkrete Umsetzung drehten, anderseits die tatsächliche Ausgestaltung der diskriminierungsfreien Arbeitsbewertung in den Blick nahmen. Es zeigte sich, dass analytische Verfahren zwar wesentlich besser geeignet sind, Diskriminierungen zu vermeiden, als summarische, dass aber situativen Faktoren eine wichtige Rolle zukommt. Der Erfolg, so zeigen die Praxisbeispiele, hängt nicht nur vom „richtigen“ Verfahren sondern auch vom konkreten Umsetzungsprozess ab. Der sollte in einem modernen Personalmanagement die Beteiligung der Mitarbeitenden ebenso beinhalten wie eine umfassende Informationspolitik. Alles in allem zeigte sich, dass die öffentliche Verwaltung vor großen Herausforderungen steht. Es wird sich zeigen, ob die Fachtagung zu deren Bewältigung einen kleinen Beitrag leisten wird.

erstellt von pdimitrova zuletzt verändert: 10.05.2012 09:24