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Gleichstellungspolitik heute – Bilanz und Herausforderungen

 

Zusammenfassung der Jubiläumstagung des

GenderKompetenzZentrums am 29.10.2008

Das GenderKompetenzZentrum an der Humboldt-Universität zu Berlin wird seit fünf Jahren von der Bundesregierung gefördert. Es hat die Aufgabe, den Prozess der Umsetzung von Gender Mainstreaming zu unterstützen, also die Einbeziehung einer Gleichstellungsperspektive in alle Politiken zu fördern. Es ist ein kleines, aber in Europa einzigartiges Forschungs- und Beratungszentrum zu Themen, die von höchster gesellschaftspolitischer Bedeutung sind.

Das Jahr 2008 eignet sich besonders gut dafür, einen Blick auf das Erreichte in der Gleichstellungspolitik zu werfen. Denn, 2008 steht für eine Reihe von gleichstellungspolitischen Jubiläen: 100 Jahre Frauenstudium, 90 Jahre Frauenwahlrecht und 60 Jahre Grundgesetz. Auch die Einführung der Strategie Gender Mainstreaming jährt sich:
In den Vereinten Nationen wird die Strategie seit fast 15 Jahren umgesetzt. Die Europäische Union blickt nach der Ratifizierung des Amsterdamer Vertrages auf fast 10 Jahre der Implementierung zurück. Seit der Verankerung von Gender Mainstreaming in der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien in Deutschland sind 8 Jahre vergangen.

Der Einladung des GenderKompetenzZentrums, Gleichstellungspolitik auch kritisch zu diskutieren, sind hochrangige Vertreterinnen und Vertreter aus der Europäischen Kommission, dem europäischen Ausland, aus der Bundes- und Landespolitik, den Bundes-, Landes- und Kommunalverwaltungen sowie aus der Wissenschaft und von NGOs gefolgt. Mehr als 70 Gäste tauschten sich über den aktuellen Stand von Gleichstellungspolitik sowie über zukünftige Herausforderungen aus. Thema waren inhaltliche Schwerpunktsetzungen der Gleichstellungspolitik. Welche thematischen Prioritäten setzt das BMFSFJ, vertreten durch Abteilungsleiterin Eva Maria Welskop-Deffaa, welche die Europäische Kommission, vertreten durch Laurent Aujean und auch EU-Kommissar
Vladimír Špidla? Welche Handlungsbedarfe stellen sich aus Sicht der an den CEDAW-Schattenberichten beteiligten NGOs, vertreten durch Brigitte Triems, stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Frauenrats?

Zudem ging es um strukturelle Fragen der Gleichstellungspolitik. Welche Steuerungsstrukturen und Ressourcen sind nötig, um Gleichstellung politisch zu gestalten? Ein von verschiedenen Akteur_innen gewählter Weg ist die Bündelung von gleichstellungspolitischen Zielen und Maßnahmen in umfassenden Gleichstellungsprogrammen. So berichtete Almuth Nehring-Venus, Staatssekretärin der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Technologie und Frauen, vom Berliner Modell des Gleichstellungspolitischen Rahmenplans, und Vibeke Abel, stellvertretende Staatsekretärin im Gleichstellungsministerium Dänemark, stellte dänische Erfahrungen mit Aktionsplänen vor.

Aus einer externen Perspektive warf Prof. Dr. Christine Färber einen Blick auf den Stand der Implementierung von Gender Mainstreaming und Gender Budgeting; sie plädierte für stärkere Strukturen mit umfassenden Ressourcen. Jochen Geppert und Sandra Smykalla entwickelten aus den Erfahrungen der Arbeit des GenderKompetenz-
Zentrums Herausforderungen für Gleichstellungspolitik und betonten die Notwendigkeit von klaren gleichstellungspolitischen Zielsetzungen und Steuerungsstrukturen.

Mit dem Austausch zwischen unterschiedlichen Akteur_innen trug die Jubiläumstagung dazu bei, die programmatische Debatte über Gleichstellungspolitik voranzubringen und Herausforderungen klarer zu markieren. Im Folgenden finden Sie ausführlichere Informationen
zu den einzelnen Panels, Vorträgen und Diskussionen.

Vorträge und Panels der Jubiläumstagung

Dr. Karin Hildebrandt, Geschäftsführerin des GenderKompetenzZentrums, begrüßte die Teilnehmenden der Jubiläumstagung und stellte die Arbeit des GenderKompetenz-
Zentrums vor. Sie verwies dabei auf den an diesem Tag frisch erschienenen 4. Band zu Gleichstellungspolitiken in Europa („Between success and disappointment. Gender Equality Policies in an Enlarged Europe“), den das GenderKompetenzZentrum im Rahmen seiner Schriftenreihe „Gender kompetent“ im Kleine Verlag herausgegeben hat.

Prof. Dr. Susanne Baer, LL.M., Direktorin des GenderKompetenzZentrums und Professorin an der Juristischen Fakultät und in den Gender Studies an der Humboldt-Universität
zu Berlin, eröffnete die Tagung mit einem kursorischen Rückblick auf die Eröffnung des GenderKompetenzZentrums vor fünf Jahren. Während damals „Gender” häufig auf „Frauen” und „Frauenförderung” reduziert wurde, sei doch ein qualitativer Sprung zu verzeichnen; eine Herausforderung bestehe heute darin, Lebenslagen von Frauen und Männern unter Berücksichtigung der Interdependenzen verschiedener Ungleichheiten zu thematisieren. Zudem habe sich die Rolle des Staates verändert: Der Staat sei nun als handelnder und handlungsfähiger, als gewährleistender Staat gefragt. Hier stellen sich Fragen der Governance, also nach Zielen im Zusammenwirken mit Instrumenten, Steuerungsstrukturen und Verantwortlichkeiten. Wo es gute Kooperationen und Steuerungsstrukturen gibt, kann die Strategie des Gender Mainstreaming konsequent und engagiert mit Leben gefüllt werden. Dazu trägt mit der Herstellung einer soliden Wissensgrundlage auch das GenderKompetenzZentrum im Sinne einer wissenschaftlichen
Politikberatung bei.

Vladimír Špidla, Europäischer Kommissar für Beschäftigung, soziale Angelegenheiten und Chancengleichheit, gratulierte dem GenderKompetenzZentrum in einer Videobotschaft. Er benannte einige aus Sicht der Europäischen Kommission zentrale gleichstellungspolitische Themen. Špidla adressierte besonders die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, bei der einige Fortschritte erkennbar seien, sowie das Lohngefälle, das nicht akzeptiert werden könne. Besonders betonte er die Wichtigkeit eines umfassenden
Diskriminierungsschutzes und wies auf die entsprechenden Bemühungen und auch die Verantwortung Deutschlands hin.

Der erste Teil der Fachtagung eröffnete verschiedene Perspektiven auf Gleichstellungspolitik heute. Positionen bezogen die Bundesregierung, die Europäische Kommission sowie der Deutsche Frauenrat.

Eva Maria Welskop-Deffaa, Abteilungsleiterin der Abteilung Gleichstellung im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), beglückwünschte das GenderKompetenzZentrum zum Jubiläum und bedankte sich für seine Unterstützung des BMFSFJ. Welskop-Deffaa skizzierte die Perspektive der Bundesregierung auf die Gleichstellungspolitik in Deutschland. Auch wenn es Erfolge gebe, sei
Deutschland vom Ziel Gleichstellung noch weit entfernt. Dies
verdeutlichen zahlreiche Indikatoren beispielsweise zu Frauen in
Führungspositionen und zur Entgeltungleichheit. Für das BMFSFJ
stehen deshalb drei Themen im Zentrum: die gleiche Teilhabe
von Frauen und Männern im Erwerbsleben, der Kampf gegen
Gewalt gegen Frauen und geschlechtsbedingte Notlagen sowie
die Erweiterung tradierter Rollenmuster, auch wenn dies bekanntlich auf Ängste und Vorbehalte treffe. In strategischer Hinsicht verfolgt das BMFSFJ zwei Ausrichtungen: Zum einen werde auf dem Fundament von Milieuforschung bei der Lebensrealität und den Bedürfnissen der Bevölkerung angesetzt. Zum anderen werde im Sinne des Gender Mainstreamings Gleichstellung als Querschnittsaufgabe gesehen. Dies sei kein „Zauberwerk”, sondern müsse eigentlich einleuchten, sei aber dennoch auf heftige Kritik und Vorwürfe gestoßen. Deshalb werden neue Wege der Kommunikation gesucht, um Gender Mainstreaming auch in der Bevölkerung verstanden zu wissen und zu verhindern, dass Menschen auf den Aufklärungsgestus der Medienpolemiken herein fallen. In der Neuausrichtung der Querschnittsaufgabe spielt auch die schon in der Gemeinsamen Geschäftsordnung angelegte Spannung der Ressort-zuständigkeiten zu Gleichstellung eine Rolle. Hier blickt Welskop-Deffaa „mit Neid” auf das Land Berlin, wo die Dinge schon weiter fortgeschritten sind. Es gehe darum, Gleichstellungs- und Familienpolitik nicht mehr zu polarisieren, sondern in ihrer Verknüpfung zu sehen, Win-Win-Situationen anzustreben und zudem Gleichstellung als Wert zu bewerben.

Laurent Aujean von der Generaldirektion für Beschäftigung, soziale Angelegenheiten und Chancengleichheit der Europäischen Kommission, sprach über europäische Gleichstellungspolitiken
und die Beiträge der Mitgliedstaaten. Er benannte also die Eckpfeiler
der Gleichstellungspolitik auf EU-Ebene. Gleichstellungspolitik sollte nicht als ein – bei erster Gelegenheit einzusparender – Aufwand gesehen werden, sondern als eine Investition in die Zukunft. Aujean skizzierte das langjährige Engagement der Europäischen Union für Gleichstellung sowie die aktuellen Programme, wie den Fahrplan für die Gleichstellung 2006-2010 und den Gleichstellungspakt, mit dem die Mitgliedstaaten ihren Willen zur Umsetzung von Gleichstellungspolitik festgehalten haben. Beispielhaft verdeutlichte Aujean das gleichstellungspolitische Vorgehen anhand der Beschäftigungspolitik. Er rief die Situation in den Mitgliedsstaaten ins Gedächtnis – mit Statistiken zur Erwerbstätigkeitsquote (mit und ohne Kinder), zur Teilzeitquote, zu bezahlter und unbezahlter Arbeit, zur Lohnungleichheit sowie zur Kinderbetreuung – und bilanzierte, dass in den Mitgliedsstaaten ein sehr gemischtes Bild herrsche. Notwendig seien auf nationaler Ebene drei Ansatzpunkte: Die Förderung des  Doppelverdienstmodells bzw. der individuellen Sicherung, der Kampf gegen Diskriminierung und Stereotype, um Segregation abzubauen, sowie die Implementierung von Gender Mainstreaming in allen arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen, besonders unter Rückgriff auf das entsprechende Handbuch der Europäischen Union. Zudem müsse die Vereinbarkeit zwischen Arbeit und Leben verbessert werden, wozu zentral ein Ausbau der Kinderbetreuungsstruktur gehöre. Auch zur Bekämpfung der Entgeltungleichheit benannte Aujean gute Beispiele der Mitgliedsstaaten wie Gesetzgebung, Einbezug der Sozialpartner und diskriminierungsfreie Arbeitsbewertungssysteme.

Brigitte Triems, stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Frauenrats und Präsidentin der European Women's Lobby, beleuchtete die deutsche Gleichstellungspolitik aus der Perspektive der UN-Konvention zur Beseitigung der Diskriminierung der Frau (CEDAW). Der Deutsche Frauenrat erstellte mit einer Allianz von 28 Frauenverbänden einen Schattenbericht zum aktuellen deutschen Staatenbericht. Triems bilanzierte, dass es im Bereich der gesetzlichen Regelung, der Institutionalisierung von Gleichstellungspolitik und der Datenlage über Gleichstellung in Deutschland einen immensen Fortschritt gegeben habe, doch die faktische Gleichstellung von Frauen und Männern noch auf sich warten ließe. Probleme seien Lohnungleichheit, niedrige Beteiligung von
Frauen an Entscheidungspositionen, Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben, mangelnde Existenzsicherung u.v.m.. Nötig sei eine Doppelstrategie, um die tatsächliche Gleichstellung zu erreichen: Auf der einen Seite ist es nach wie vor nötig, temporäre Sondermaßnahmen wie z.B. Frauenförderpläne einzurichten. Auf der anderen Seite ist die Durchsetzung des Gender Mainstreaming von Nöten. Gender Mainstreaming, kritisierte Triems, wird von der Bundesregierung nicht mehr angewendet, vielmehr werde im Staatenbericht der angeblich schwer vermittelbare Anglizismus als Vorwand genutzt, sich von der Strategie zu verabschieden. Darauf folge aber keine gezielte Gleichstellungspolitik, was beispielsweise die schon vorher prognostizierten negativen Gleichstellungseffekte der Hartz-Gesetze illustrierten. Auch die in der CEDAW- Konvention geforderte höhere
Beteiligung von Frauen an Entscheidungspositionen und die bessere Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben seien längst nicht umgesetzt. „Es gilt die Rahmenbedingungen grundlegend zu verändern
– nur so kann Chancengleichheit erreicht werden,“ lautete Triems zentrale Botschaft. Abschließend wünschte Triems dem GenderKompetenzZentrum ein „langes und erfülltes Leben”.

Um Gleichstellungspolitik klarer politisch steuerbar zu machen und transparente, planbare Wirkungen zu erzielen, werden auf verschiedenen Ebenen gleichstellungspolitische Aktions- und Rahmenpläne eingesetzt. Der zweite Teil der Fachtagung brachte zwei zentrale Personen aus Dänemark und dem Land Berlin zusammen, um
über das jeweilige Vorgehen und die Erfahrungen zu sprechen.

Almuth Nehring-Venus, Staatssekretärin in der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Technologie und Frauen Berlin, berichtete vom gleichstellungspolitischen Rahmenprogramm des Landes Berlin. Es ist in einem Prozess mit breiter öffentlicher Beteiligung entstanden und wurde vom Berliner Senat im April 2008 beschlossen. Darin
werden gleichstellungspolitische Ziele für die in der Koalitionsvereinbarung festgelegten prioritären Politikfelder
benannt: Bildung, existenzsichernde Beschäftigung, Demographie, soziale Gerechtigkeit und Integration. Die Grundlage dafür bildet die Erkenntnis, dass ohne Gender den jeweiligen Herausforderungen
nicht begegnet werden kann. Aufbauend auf das Rahmenprogramm
wird bis Anfang 2009 ein Masterplan Gleichstellung erstellt. Er beinhaltet abrechenbare Ziele und Fristen und wird mit konkreten Maßnahmen und Projekten aus den Fachaufgaben unterlegt.
Unter Federführung der jeweils zuständigen Senatsverwaltung und in Kooperation mit der für Gleichstellungspolitik zuständigen Fachverwaltung werden dann Vorstellungen zur Erreichung der Ziele entwickelt. Das gleichstellungspolitische Rahmenprogramm ist auch für Berlin Neuland – jedoch kann es auf langjährige Erfahrung aus der Umsetzung von Gender Mainstreaming zurückblicken. So kann die aufgebaute Gender-Kompetenz genutzt werden. Gender Mainstreaming wird als ein zentrales Analyse- und Steuerungsinstrument klar mit politischen Zielsetzungen in prioritären Politikfeldern verbunden.
Die systematische Koordination erfolgt in einem Staatssekretärsausschuss Gleichstellung, so dass auch politischer Wille erkennbar ist. Auf diese Weise könne – analog zu den Erfahrungen mit Gender Mainstreaming in Berlin – langfristig von einer positiven Identifikation ausgegangen werden; schon jetzt seien Widerstände nicht mehr in alter Massivität erkennbar.

Die dänischen Erfahrungen mit Gleichstellungs-Aktionsplänen stellte Vibeke Abel vor, stellvertretende Staatssekretärin und Leiterin der Abteilung Gleichstellung im dänischen Gleichstellungsministerium.
In Dänemark gibt es aktuell gleich vier Aktionspläne: zu Gender Mainstreaming, zu Menschenhandel, zu häuslicher Gewalt sowie den jährlichen Bericht, der jeweils mit einem Aktionsplan für das
nächste Jahr schließt. Dieser Aktionsplan enthält ab 2008 auch Gleichstellungsziele jedes Ministeriums sowie Indikatoren, die den Erfolg messen. Zentral für diese ambitionierten Selbstverpflichtungen
ist eine gesetzliche Verankerung: Die Rechtsgrundlage ist das Gleichstellungsgesetz (Gender Equality Act), das 2000 in Kraft trat. Auch nach dem Regierungswechsel 2001 sei Gleichstellungspolitik
ein Politikfeld wie jedes andere auch geworden. Es gebe einen relativ breiten Konsens über die Ziele, dass nämlich Gleichstellung
ein Grundwert in Dänemark sei, aber verschiedene Vorstellungen von den Wegen, sie zu erreichen. Abel zeigte sich äußerst überrascht von der deutschen Medienpolemik gegen Gender Mainstreaming
und Gleichstellungspolitik – in Dänemark werde Gender Mainstreaming als Instrument zur Erreichung von Gleichstellung gesehen, das gut oder schlecht funktionieren könne, hätte aber kein Empörungspotential.

Die Beiträge zeigten, dass Rahmen- und Aktionspläne eine vielversprechende Gestaltungsoption in der Gleichstellungspolitik bieten. Sie können zu mehr Kohärenz in der Gleichstellungspolitik beitragen und damit zum Abbau von Inkonsistenzen und Zersplitterung
beitragen, an der Gleichstellungspolitik leidet. So ließe sich auch auf Kritik an Gender Mainstreaming reagieren, denn es werde in einen neuen Rahmen gestellt und deutlicher mit Zielen verbunden.

Mit der Frage der institutionellen Mechanismen und Strukturen befasste sich der letzte Teil der Fachtagung.

Prof. Dr. Christine Färber, Hochschule für angewandte Wissenschaften Hamburg, präsentierte eine kritische Einschätzung vom Rückblick und Stand von Gender Mainstreaming und Gender Budgeting. Sie blickte zurück auf die Versuche von Frauenpolitikerinnen und Feministinnen, wirkliche Gleichstellung umzusetzen, nicht nur den Anspruch auf Chancengleichheit, sowie auf die Widerstände, mit denen sie zu kämpfen hatten. Gender Mainstreaming – sowie Gender Budgeting als dessen finanzpolitische Teilstrategie – sei dann ein intelligentes
Konzept gewesen, diese Widerstände zu versachlichen und sie auf einer fachpolitischen Ebene bearbeiten zu können, auch wenn die Steuerung einer Querschnittsaufgabe eine der schwierigsten Aufgaben in der Politik sei. Anfangs sei der Implementierungsprozess sehr erfolgreich gewesen: Die Interministerielle Arbeitsgruppe Gender Mainstreaming wurde eingerichtet, Pilotprojekte durchgeführt, Beschäftigte geschult, Genderbeauftragte in allen Ressorts benannt, Arbeitshilfen erstellt, Öffentlichkeitsarbeit betrieben etc., und nicht zuletzt wurde 2003 das GenderKompetenzZentrum eingerichtet. Leitend war die Erkenntnis: „Nur wenn wir systematisch grundlegend und von vornherein die politischen Handlungen auf Gleichstellung ausrichten, können wir Gleichstellung erreichen, das ist Segen und Fluch der Querschnittsaufgabe.” Erreicht wurde, dass Gleichstellung nun von vielen Ministeriumsbeschäftigten als Querschnittsaufgabe verstanden wird, dass in vielen Ministerien Kerngruppen mit Gender-Kompetenz entstanden und dass bereits aktive Ressorts ihr Handeln systematisierten und vertieften. Nicht erreicht wurde, dass Gleichstellung ein systematischer, durchgängiger Gestaltungsaspekt der Fachpolitiken der Bundesregierung ist. Heute sieht sie, dass Strukturen abgebaut werden, die Arbeitshilfen nicht sinnvoll angewendet werden, der politische Wille nicht mehr erkennbar ist. Gleichzeitig werde Gender Mainstreaming und Gender Budgeting in Bundesländern und europäischen Nachbarländern erfolgreich implementiert. Dort seien Gleichstellungsziele konkret operationalisiert, es gebe klare Top-Down-Prozesse und gezielte Organisationsentwicklungsmaßnahmen. Färber sieht Gleichstellung in Deutschland unterinstitutionalisiert: Nötig wäre nicht nur ein GenderKompetenzZentrum, sondern eine dauerhaft verankerte, stark institutionalisierte „Behörde für Gleichstellung”. Gleichstellung sei eine Daueraufgabe, für die es nötig ist, Ziele zu entwickeln, was zwar nicht konfliktfrei sei, aber auf viele frauenpolitische überparteiliche Konsense zurückgreifen könne. Bei allem Spielraum für unterschiedliche Konzepte und politische Antworten sei aber die Strategie Gender Mainstreaming selber unverzichtbar.

Jochen Geppert und Sandra Smykalla, wissenschaftliche Mitarbeitende am GenderKompetenzZentrum, stellten in ihrem Vortrag Herausforderungen an Gleichstellungspolitik zusammen, die sich aus der wissenschaftlichen Auswertung und den Erfahrungen aus der Implementierung von Gender Mainstreaming ergeben. Sie sehen
diese Herausforderungen auf den Ebenen der Ziele, der Strategien und der Wirkungen. Auf der Ebene der Ziele liegt die Herausforderung besonders darin, politische Ziele zu setzen und diese dann in operative Ziele für die Facharbeit und die interne Steuerung herunterzubrechen. Gerade die politischen Ziele seien im Rahmen des bisherigen Gender
Mainstreaming Prozesses eher unterbelichtet gewesen. Auf der Ebene der Strategien besteht eine Herausforderung darin, mit der institutionellen Schwäche umzugehen, die jeder Querschnittsaufgabe eigen ist. Das betrifft Fragen der fehlenden und/oder sich überschneidenden Zuständigkeiten sowie der Widerstände. Für gleichstellungspolitische Akteure seien Schwerpunkte und Kompetenzen besonders wichtig, neben der Fachkompetenz auch die Vermittlungskompetenz, strategisches Wissen und Prozess-Know-How. Um eine Querschnittsaufgabe steuern zu können, müssen die Handlungsmöglichkeiten erweitert werden, es bedarf der Strukturen für Gestaltung und Koordination, entsprechender Ressourcen und auch anderer Akteure. Auf der Ebene der Wirkungen besteht die Herausforderung besonders darin, sichtbare, messbare und nachhaltige Ergebnisse zu erzielen. Strukturelle Wirkungen seien durch Kontinuität in der strategischen Linie und Flexibilität in der konkreten Gestaltung erzielbar. Wird die fachliche Relevanz von Gleichstellung deutlich, kann ein „Aha-Erlebnis” individuell wirken. Gesellschaftliche Wirkungen werden erzielt, wenn Erfolge sichtbar werden und für die Akzeptanz von Gleichstellungspolitik bürgen.  Zudem stellt sich auf einer anderen Ebene die „Herausforderung Vielfalt”, also die Gestaltung einer Gleichstellungspolitik, die neben Geschlecht auch weitere Kategorien in den Blick nimmt und auf den Abbau mehrdimensionaler Ungleichheiten abzielt: Eine auch in diesem Sinne „integrative Gleichstellungspolitik”. Eine zukunftsfähige Gleichstellungspolitik könne Macht und Mitbestimmung durch verantwortungsbewusstes und konsequentes Handeln erreichen.

Die Jubiläumstagung beschloss Prof. Dr. Susanne Baer, LL.M., mit einigen Reflexionen auf die Beiträge und Perspektiven des Tages. Sie fasste nochmals die Themen zusammen, die heute auf der Agenda standen. Zunächst ging es um die Vereinbarkeit – besonders im Sinne der Vereinbarkeit von Erwerbs- und Privatleben, mit der nachdrücklichen Forderung nach Verbesserung der Kinderbetreuung,
und Familienpolitik für alle Konstellationen, in denen Kinder sind. Daneben stand die Erwerbsarbeit – mit einem Konsens über die
Wichtigkeit von Lohngleichheit, als Frage der Gleichheit oder der Diskriminierung, und mit dem Ziel von  mehr Frauen in Führungspositionen. Bei allen Themen müssten selbstverständlich die
Erkenntnisse der Debatten um Interdependenzen sowie Queer Theory ernstgenommen werden: Es geht nicht um Geschlecht im Sinne von „den Frauen” und „den Männern” als homogene Gruppen, und auch nicht „nur” um die Kategorie Geschlecht. Des Weiteren waren strukturell-institutionelle Fragen der Gleichstellungspolitik ein Thema,
also Herausforderungen bei Zielen, Strategien und Wirkungen. Baer stellte die aus Dänemark aufgeworfene Frage: Ist Gleichstellungspolitik ein Politikfeld wie jedes andere?

Dafür spreche der Querschnittscharakter, da dieser auch anderen Politiken zu eigen ist. Dafür spreche ebenfalls die breite Debatte, die auch medial zur Zeit geführt wird. Dagegen spreche der geringe politische Erfolg, dafür wiederum die gute instrumentelle Ausstattung mit zahlreichen Arbeitshilfen, Analysen etc.. Das Kernproblem sei wohl
eine geringe Reputation, also ein Machtdefizit. Es müsste offensiv herausgestellt werden, dass Gleichstellung ein wichtiger Wert ist, und was er genau bedeute. Das durchaus gelingende Agenda-Setting, das sich in den nicht abreißenden Medienberichten zu gleichstellungspolitischen Themen zeigt, sollte genutzt werden für eine „Renaissance der Gleichstellungspolitik”.

Abschließend lud das Zentrum zu einem Sektempfang, um auf die Arbeit des Gender-KompetenzZentrums anzustoßen.

Hier finden Sie eine Zusammenstellung der Vorträge und Panels mit Links zu einzelnen Vorträgen und zitierten Dokumenten sowie eine Übersicht über vertiefende Literatur und Links zur
Jubiläumstagung.

Sie können die Zusammenfassung dieser Fachtagung auch als druckfreundliche PDF-Datei herunterladen.

erstellt von pdimitrova zuletzt verändert: 10.05.2012 09:25