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Ziele und Politikfelder von Gleichstellung

Ziele und Politikfelder von Gleichstellungspolitik

Hintergrund

In Ergänzung zu den von Esping-Andersen (1990) entworfenen drei Typen von Wohlfahrtsstaaten identifizieren Bettio und Villa 1998 einen vierten Typ, zu dem sie Italien, Spanien und Griechenland zählen: das familienzentrierte mediterrane Modell. Dieses zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass der Staat gewisse Sozialleistungen nicht erbringt, weil diese von der Familie übernommen werden können. Besonders deutlich wird es beim Management von care-Tätigkeiten, die überwiegend auf der Familie und dort im wesentlichen auf den Frauen lasten.

Das kollektive Bewusstsein in Italien ist immer noch davon bestimmt, dass die Familie in erster Linie für die Wohlfahrt des Individuums verantwortlich ist. Das Bild von Familie, das in der italienischen Gesellschaft vorherrscht, ist das der klassischen Großfamilie. Diese wird als Solidargemeinschaft verstanden, in der alle Familienmitglieder einander verpflichtet sind und für die Bedürfnisse der einzelnen Sorge tragen. Zu den familiären Pflichten gehören zum einen die finanzielle Sicherung des Lebensunterhaltes und zum anderen die Pflege von älteren und kranken Familienangehörigen und Kindern. Ersteres steht traditionell in der Verantwortung von Männern, letzteres in der von Frauen. Der Staat interveniert erst, wenn das familiäre Netzwerk Hilfe nicht oder nicht mehr geben kann z.B. wenn Frauen arbeiten gehen und keine Angehörigen für die Kinderbetreuung zur Verfügung stehen. Durch zum Teil fehlende oder ungenügende Maßnahmen zur organisatorischen Unterstützung des familiären Lebens reproduziert der Staat mit seiner Politik eine geschlechterstereotype Arbeitsteilung im privaten und öffentlichen Leben (Villa 2005: 3-4).

Angesichts eines solch ausgeprägten Familismus setzte die Gleichstellungspolitik in Italien bis Ende der 90er Jahre in erster Linie bei Frauen und der Verbesserung ihrer Lebenslagen an und versuchte verschiedenen Formen von Weiblichkeit gesellschaftlich Raum zu geben. Es ging vor allem um die Förderung von Frauenerwerbstätigkeit durch Abbau von Zugangsbarrieren zum Arbeitsmarkt und die Erhöhung des Frauenanteils in Politik und Wissenschaft. Da aber die Lebenslagen von Männern unthematisiert und die Konstruktion von Männlichkeit unhinterfragt blieben, änderte sich wenig am bestehenden Geschlechterverhältnis. Gleichstellungspolitik war mehr oder weniger Frauenförderpolitik. Das Elternzeitgesetz von 2000 stellte jedoch eine Wende in der italienischen Gleichstellungspolitik dar: es richtete sich nicht nur an Frauen, sondern sprach erstmalig die Verantwortung der Männer für Vereinbarkeit von Familie und Beruf an.

Entwicklung seit den 70er Jahren

Die italienische Regierung kam in den 70er Jahren internationalen Verpflichtungen und EU-Direktiven nach und begann diese in nationale Gleichstellungsgesetze umzusetzen. Arbeitsmarktpolitische Belange und die niedrige politische Partizipation von Frauen standen dabei im Fokus der Aufmerksamkeit. 1977 wurde das Gesetz zur Gleichbehandlung von Frauen und Männern am Arbeitsplatz (Parità di Trattamento tra Uomini e Donne in Materia di Lavoro) erlassen. Es nahm die Richtlinie zur Entgeltgleichheit (1975) und zur Gleichbehandlung (1976) auf und schrieb die gleiche Entlohnung von Männern und Frauen für gleiche Arbeit vor und verbot jegliche Form der Diskriminierung nach Geschlecht, ohne näher zu definieren, welche Handlungen damit gemeint waren. Zudem enthielt es Regelungen zum Mutterschutz, Nachtarbeit, das Heben von schweren Dingen am Arbeitsplatz, Rentenzahlungen und Erziehungszeiten (Kilpatrick 2001: 108). 1970 wurde die Scheidung gesetzlich erlaubt und Abtreibung 1978 legalisiert.

1985 bekräftigte Italien mit der Unterzeichnung der UN-Konvention zur Beseitigung jeder Form der Diskriminierung der Frau (CEDAW – Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women) sein Vorhaben, Gleichstellung zwischen Frauen und Männern voranzutreiben.

Mit dem 1991 eingeführten Gesetz „positive Handlungen für die Herstellung von Gleichheit zwischen Männern und Frauen“ (Azioni Positivi per la Realizzazione della Parità Uomo-Donna nel Lavoro) wurde das Gesetz von 1977 ergänzt. Ziel des Gesetzes war, die Frauenerwerbstätigkeit zu fördern und den Zugang zum Arbeitsmarkt für Frauen zu erleichtern, wodurch eine Erweiterung des weiblichen Berufswahlspektrum erreicht werden sollte. Es sah die Umsetzung von Maßnahmen zum Abbau von Benachteiligungen in Verantwortung von Gleichstellungsberaterinnen und -berater vor. Erstmals lieferte das Gesetz eine Definition für indirekte Diskriminierung und bestimmte den rechtlichen Tatbestand von Diskriminierung (Kilpatrick 2001: 110).
1993 wurden zwei Gesetze zur Quotenregelung (30% Quoten) erlassen, vornehmlich zur Anwendung in Politik und Wirtschaft. Nur zwei Jahre später wurden sie, mit der Begründung verfassungswidrig zu sein, wieder abgeschafft (European Database 2000). Seit 1999 muss jede Partei und politische Organisation mindestens 5% der Finanzierung aus öffentlichen Geldern für Gleichstellungsmaßnahmen verwenden, die den Frauenanteil im politischen Bereich erhöhen sollen (Dipartimento per le Pari Opportunità: 157/1999).

Der rechtliche Rahmen für die Erwerbstätigkeit von Frauen war zwar geschaffen worden, doch staatliche Unterstützungsleistungen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf waren nicht wirklich gegeben. Das änderte sich erst mit den Gesetzen zu den neuen Kinderbetreuungseinrichtungen von 1997 und 2000, die flexible Betreuungszeiten und mehr Betreuungsplätze einführten, aber vor allem das Gesetz zur Elternzeitregelung von 2000 brachte Neuerungen. Das Elternzeitgesetz bedeutete einen Modernisierungsschub für das institutionalisierte Geschlechterverhältnis, da nun auch Väter Zeit für die Betreuung ihrer Kinder rechtlich in Anspruch nehmen konnten. Das Gesetz sieht eine Erziehungszeit von 10 Monaten vor, die am Stück oder mit Unterbrechungen genommen werden kann. Jedes Elternteil kann davon maximal 6 Monate in Elternzeit gehen bzw. Väter maximal 7 Monate, da sich die Zeit von 10 auf 11 Monate erhöht, wenn der Vater mehr als 3 Monate in Anspruch nimmt. Der Staat zahlt 30% des ursprünglichen Einkommens als Unterstützung, wenn das Kind unter 3 Jahre alt ist. Es ist möglich, Elternzeit zu nutzen, bis das Kind 8 Jahre alt ist. Auch dann werden 30% des Einkommens gezahlt, allerdings nur, wenn ein gewisses Mindesteinkommen unterschritten wird. Im Krankheitsfall des Kindes besteht das Recht, für die Pflege des Kindes unbezahlten Urlaub zu nehmen. Ist das Kind unter 3 Jahre alt sind die Tage dafür unbegrenzt, ist das Kind unter 8 Jahre stehen jedem Elternteil 5 freie Tage pro Jahr zu (Villa 2005: 12).

2006 wurden alle Gleichstellungsverordnungen und Maßnahmen der vergangenen Jahre, wie z.B. das Gesetz zur Gleichbehandlung von Frauen und Männern am Arbeitsplatz (1977) oder das Gesetz zur Elternzeitregelung (2002), systematisiert und zu einem Gesetz gebündelt: Gesetz zur Gleichstellung (Codice delle pari opportunità) (Dipartimento per le Pari Opportunità: 198/11.04.2006).

Aktuelle Gleichstellungspolitik

1997 stellte die italienische Regierung unter der Federführung des damals neu gegründeten Ministeriums für Gleichstellung (Dipartimento di Pari Opportunità) mit Anna Finocchiaro als Gleichstellungsministerin einen nationalen Aktionsplan für die Implementierung der Ergebnisse und Vereinbarungen der 4. UN Weltfrauenkonferenz in Beijing auf. Italien verpflichtete sich darin, Gleichstellung als Querschnittsaufgabe in die politische Facharbeit einzubeziehen. Seither wurden keine neuen gleichstellungspolitischen Ziele definiert und Pläne zur deren Umsetzung erstellt. Während einige Themen des nationalen Aktionsplans im Laufe der Jahre untergegangen zu sein scheinen, wie z.B. die Implementierung von Gender Mainstreaming, haben es andere Themen wie z.B. die Erwerbstätigkeit von Frauen und häusliche Gewalt gegen Frauen auf die Agenda des Ministeriums für Gleichstellung geschafft und können sich dort erfolgreich halten.

Frauen auf dem Arbeitsmarkt waren schon immer und sind immer noch das Hauptthema der italienischen Gleichstellungspolitik ebenso wie Frauen in der Politik. Besondere Aufmerksamkeit gilt momentan der Förderung beruflicher Selbstständigkeit von Frauen, Frauen im Management sowie der Unterstützung von Unternehmerinnen. Vereinbarkeitsfragen spielen dabei natürlich weiterhin eine große Rolle. Seit Ende der 90er Jahre ist das Thema häusliche Gewalt gegen Frauen und Gewalt in der Familie ebenso wie Frauenhandel und Zwangsprostitution, vor allem von Migrantinnen, im politischen Diskurs sehr präsent. Zu allen Themen erschienen in den vergangenen Jahren verschiedene Studien, die vom italienischen Institut für Statistik (Istat) durchgeführt und auf ihrer Homepage zur Verfügung gestellt wurden.
Die Politikfelder, die sich daraus ergeben, sind der Arbeitsmarkt, die Familie, politische Partizipation, häusliche Gewalt und Migration.

Ein weiteres gleichstellungspolitisches Thema, das seit Jahren auf kommunaler Ebene wie in den Städten Bozen oder Venedig Hochkonjunktur hat, ist die Zeitpolitik. Unter dem Stichwort „Zeiten der Stadt“ (Tempi della Città) laufen verschiedene Projekte, die sich damit beschäftigen, das öffentliche und private Leben zeitlich besser aufeinander abzustimmen. Das bedeutet beispielsweise Öffnungszeiten von öffentlichen Diensten (Ämtern, Bankschaltern etc.) an die Bedürfnisse der arbeitenden Bevölkerung anzupassen. Eng mit Zeitpolitik verwoben ist auch die Stadtplanung und die Idee von der Stadt der kurzen Wege. Beides soll helfen, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu erleichtern (Homepage der Stadt Bozen 2008).

Hannah Ulbrich


 

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erstellt von Administrator zuletzt verändert: 02.01.2010 20:06