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"Determinanten des Gender Pay Gap im internationalen Vergleich"

Gender Lecture mit Prof. Dr. Friederike Maier am 27.10.2008 im Rahmen des Schwerpunktthemas "Wert von Arbeiten"


Schon 1906 promovierte Alice Salomon - als eine der ersten Frauen an der damaligen Friedrich-Wilhelms-Universität - zu den „Ursachen der ungleichen Entlohnung von Männer- und Frauenarbeit“. Heute, mehr als 100 Jahre später, ist das Thema nach wie vor hochaktuell.
Prof. Dr. Friederike Maier, Direktorin des Harriet Taylor Mill-Instituts der FHW Berlin und Professorin für Verteilung und Sozialpolitik, schickte ihren Ausführungen vorweg, dass der Gender Pay Gap nicht einfach mit Gerechtigkeitsforderungen bekämpft werden könne, sondern zu seinem Abbau zunächst die ökonomischen und politischen Ursachen erkannt werden müssten. Zu diesem Zwecke legte sie in ihrem Vortrag die Determinanten des Gender Pay Gap im internationalen Vergleich ausführlich dar. Der Umfang der Entgeltdifferenz liege bei 20-30%, vor 100 Jahren ebenso wie heute, je nachdem, welche Daten der Berechnung zugrunde gelegt würden. Prof. Dr. Maier fokussierte jedoch weniger die Frage der Quantifizierung, sondern identifizierte und systematisierte die entscheidenden Einflussgrößen. Sie verbildlichte zunächst anhand einer Tabelle den Gender Pay Gap der EU-Länder im unmittelbaren Vergleich (Basis: Bericht zur Gleichstellung von Frauen und Männern 2008, Europäische Kommission) und zeigte, dass Deutschland mit 22 Prozent Gehaltsunterschied zu Ungunsten der Arbeitnehmerinnen im europäischen Vergleich vor der Slowakei, Zypern und Estland an viert letzter Stelle steht. Sie führte aus, dass die Zahlen je nach Datenlage und -lesart variieren.

Der „Sample Selection Bias“
Eine Determinante des Gender Pay Gap ist der so genannte „Sample Selection Bias“, also eine statistische Verzerrung durch Stichprobenselektion. Der „Sample Selection Bias“ erschwere das direkte ländervergleichende Ranking. So beträgt der Gender Pay Gap in Malta lediglich drei Prozent, die Frauenerwerbsquote ist dort jedoch sehr gering, weshalb auch nur wenige, aber dafür besonders hoch qualifizierte Frauen in die Stichprobe eingehen – ihnen steht auf Seiten der Männer die ganze Breite an Qualifikationsniveaus gegenüber. Selbiges gilt für Italien (Gender Pay Gap 9%), jedoch nicht für Belgien, Slowenien, Irland und Portugal, die ebenfalls die oberen Plätze belegen. Vergleichende Studien über alle OECD-Länder zeigen jedoch, dass es keinen einfachen systematischen Zusammenhang zwischen Erwerbsbeteiligung und Lohnunterschieden gibt.

Unterschiede in der Humankapitalausstattung
Die Humankapitaltheorie, die in der Ökonomie eine lange Tradition hat, geht davon aus, dass ein höheres Humankapital mit höherer Produktivität und letztlich höherer Entlohnung einhergehe. Die einzelnen Elemente des Humankapitals haben nun unterschiedlich stark ausgeprägte Gender-Aspekte: Was die schulische und die berufliche Ausbildung betrifft, gibt es nur sehr geringe Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Die Länge der Berufserfahrung und der Betriebszugehörigkeit hat in Deutschland einen großen Einfluss auf den Gender Pay Gap. Grund dafür ist, dass die Betriebszugehörigkeit der Arbeitnehmerinnen, besonders aufgrund langer Unterbrechungszeiten für Kindererziehung und Betreuung, durchschnittlich kürzer ist als die der Arbeitnehmer. In Belgien beispielsweise, wo Kinder ab dem sechsten Monat Zugang zu Betreuungseinrichtungen haben, ist dies keine entscheidende Determinante mehr. Auch Motivation und Erwartungen werden als subjektive Faktoren zum Humankapital gezählt. Sie sind schwer zu messen, jedoch ist aufgrund experimenteller Forschung die althergebrachte Vorstellung längst widerlegt, Frauen sei weniger an einer „Karriere“ gelegen als Männern. Die subjektiven Faktoren tragen kaum zum Gender Pay Gap bei. Prof. Dr. Maier fasste zusammen, dass die Humankapitalausstattung generell nicht mehr ausreiche, die Entgeltdifferenz zu erklären, einige ihrer Elemente in einzelnen Ländern aber doch.

Unterschiede in der Beschäftigung
Der Arbeitsmarkt ist auf vielerlei Weisen geschlechtlich segregiert: „horizontal” nach Branchen, nach Berufen, nach Tätigkeiten, sowie „vertikal” nach Hierarchiestufen. Dass gleiche Tätigkeiten in verschiedenen Branchen, also beispielsweise in Energiewirtschaft und Handel, unterschiedlich entlohnt werden, hängt mit der ökonomischen Macht der Branchen, ihrer Ertragssituation und auch der Macht der jeweiligen Gewerkschaften zusammen. Ein positives Beispiel ist Schweden. Hier war der Gender Pay Gap Ende der 80er Jahre gering, Anfang der 90er Jahre gab es einige Krisen, als sich die Gewerkschaften von den zentralen Lohnverhandlungen abkoppelten und der Gender Pay Gap in Folge dieser Entwicklungen stieg. Heute hat Schweden den privatwirtschaftlichen vom öffentlichen Sektor getrennt, was sich auch auf die Lohnverhandlungen positiv auswirkt.
Die unterschiedliche Entlohnung verschiedener Berufe, also beispielsweise von Kleinkinderziehung und Hochschullehre hängt mit unterschiedlichen gesellschaftlichen Wertigkeiten zusammen. Die Ebene der Tätigkeiten hängt mit den Hierarchiestufen zusammen – eine wichtige Verbindung ist die Arbeitsbewertung (siehe hierzu auch Sachgebiet Arbeit). Auch die Entwicklungen der Lohnstruktur insgesamt sind ein wichtiger Faktor. Außer in Frankreich und Belgien hat der Abstand zwischen den unteren und oberen Lohngruppen in allen EU-Ländern zugenommen; wie eine OECD-Studie belegt schreitet diese Lohnspreizung in Deutschland ganz besonders rasch voran. Dies erhöhe auch den Gender Pay Gap, so Prof. Dr. Maier. Auch eine Dezentralisierung bzw. Fragmentierung von Lohnverhandlungen ziehe eine Vergrößerung des Gender Pay Gaps nach sich.

Unterschiede auf betrieblicher Ebene
Schon die Betriebsgröße hat Einfluss auf die Lohnunterschiede. Ist die Mitbestimmung der Arbeitnehmer über Betriebsräte oder Tarifverträge geregelt, dann sind auch die Lohnunterschiede geringer. Ein großer Punkt und ein kompliziertes Feld ist die schon zuvor genannte Bewertung der jeweiligen Tätigkeit, also die Eingruppierung. Die Verknüpfung der Tätigkeitsinhalte mit der Lohnstruktur spielt eine große Rolle bei der Herstellung von Lohnunterschieden. Beispielsweise führt die lange Tradition Belgiens, diskriminierungsfreie Arbeitsbewertung und Eingruppierungen vorzunehmen, zum niedrigen Gender Pay Gap von neun Prozent.
Als betrieblicher Faktor wird in der klassischen Wirtschaftswissenschaft häufig der so genannte „taste for discrimination“ (nach Gary Becker) genannt. Zudem existiere eine „statistische Diskriminierung”, das heißt, dass sich beispielsweise Arbeitgeber bei Einstellungen auf statistische verzerrte Erkenntnisse und stereotype Geschlechtervorstellungen beziehen, um den Ausschluss von Frauen zu rechtfertigen. Dieser Mechanismus ist durch experimentelle Studien, so genannte Diskriminierungstests, belegt. Ein Beispiel für solche experimentellen Forschungen ist das „blinde” Vorspielen für ein Orchester: Unwissen über das Geschlecht der Bewerberinnen und Bewerber erhöht die Einstellungschancen Chancen von Frauen.

Unterschiede in den rechtlichen Rahmenbedingungen
Rechtliche Rahmenbedingungen zur gleichen Entlohnung von Männern und Frauen existieren seit den 1920er bzw. 30er Jahren. Trotzdem gibt es weiterhin Unterschiede in der Entlohnung. Eine OECD-Studie warf jüngst die Frage nach der Durchsetzbarkeit eben dieser Rechte auf. Auch wenn die Rechtslage formal Eindeutig ist, so sind die Kosten für Einzelpersonen ihr Recht einzuklagen hoch, die Anreize für rechtskonformes Verhalten der Arbeitgeber dagegen gering. So wurde aufgrund des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz bisher nur ein einziger Fall von Entgeltdiskriminierung verhandelt, um schließlich per Vergleich entschieden zu werden.

Unterschiede in der politischen Öffentlichkeit
Noch in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts waren Lohnunterschiede sowie politische Kampagnen hierzu in der deutschen Öffentlichkeit sichtbar. Auch Gewerkschaften und andere Organisationen nahmen sich des Themas an. Seit nunmehr etwa 20 Jahren existiert jedoch so gut wie keine Öffentlichkeit mehr hierfür. Die EU mahnt die Bundesrepublik zwar regelmäßig ob des hohen Gender Pay Gaps, doch in den Medien findet dieses keinen breiten Widerhall. Schon Alice Salomon verwies in diesem Zusammenhang auf die Machtverhältnisse innerhalb der Politik selbst.
Heute verweist, bei entsprechender Nachfrage die Politik, also die Ministerien, auf die Tarifparteien als anzusprechende Akteure. Die Gewerkschaften verweisen ihrerseits auf die Politik und erhoffen sich von dieser mehr Initiative. Die Arbeitgeber wiederum erwehren sich des Diskriminierungsverdachts und verweisen die Verantwortlichkeiten mit Hilfe des Arguments der „subjektiven Faktoren” gar an die Frauen selbst. Prof. Dr. Maier sieht in Deutschland eine „eklatante Schwäche in der politischen Auseinandersetzung“ über die Lohnunterschiede. Dies sei in anderen europäischen Ländern gänzlich anders verlaufen. Belgiens Regierung übernahm bereits vor 15 Jahren die Verantwortung für das Thema und holte die Tarifpartner an einen Tisch – mit heute offenkundigem Erfolg.

Ansatzpunkte
Prof. Dr. Maier sieht unter Berücksichtigung der Erfahrungen anderer EU-Länder verschiedene Ansatzpunkte, den Gender Pay Gap in Deutschland zu verringern.
Sie nennt zunächst die Lohnstruktur an sich. Gesetzliche Mindestlöhne könnten die Rolle eines „unteren Ankers“ übernehmen, um das weitere Absacken der Frauenlöhne zu verhindern. Sie machte deutlich, dass die ganz niedrigen Löhne oftmals in den so genannten Frauenberufen (häufig Teilzeit bzw. Minijobs) gezahlt würden und zeigt am Beispiel der Friseurin in Sachsen, dass Tarifverträge eben kein „Bollwerk nach unten“ sind.
Der zweite Ansatzpunkt ist, die Erwerbsunterbrechungen insgesamt zu verkürzen und hierbei eine Gleichverteilung zwischen Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen zu erreichen. Prof. Dr. Maier verweist in diesem Zusammenhang besonders auf die Notwendigkeit des Ausbaus der Kinderbetreuungsstrukturen in Deutschland.
Der dritte Ansatzpunkt besteht in der Arbeitsbewertung und Eingruppierung, also der Wertigkeit der jeweiligen Arbeit. Hier sieht sie dringenden Handlungsbedarf bei Regierung, Tarifparteien und Sozialpartnern.
Ihr Fazit lautete: Die weibliche Erwerbsbeteiligung an sich muss nicht unbedingt weiter erhöht werden, vielmehr müssen in den genannten Bereichen weiterhin die Rahmenbedingungen der Erwerbsbeteiligung verbessert werden.

Diskussion
In der anschließenden Diskussion stellte sich zunächst die Frage nach dem allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz. So gab es trotz der neuen Gesetzesgrundlage bisher nur einen Fall, der vor Gericht verhandelt wurde. Hierbei klagte eine Frau gegen ihren Arbeitgeber, eine Hamburger Spedition, und erzielte schließlich einen Vergleich, was auf Grund der medialen Verarbeitung als erster großer Erfolg in der Rechtsgeschichte auf dem Weg zu einer neuen Rechtswirklichkeit zu verbuchen sei.
Auch das bekannte deutsche Kinderbetreuungsdefizit wurde diskutiert. Ist dieses durch Nachlässigkeit oder bewusst entstanden? Prof. Dr. Maier führte aus, dass in Deutschland auf diesem Gebiet lange wenig getan wurde und jetzt die Grenzen eines nicht geregelten Betreuungsangebotes sichtbar würden. Nun sei endlich ein wichtiger Knoten in der Grundsatzfrage geplatzt, ob auch Kinder unter drei Jahren betreut werden dürften. Seit diese Frage mit ja beantwortet würde, ziehe die Politik nach. Die materiellen Rahmenbedingungen würden langsam verbessert, doch man müsse „dran bleiben“.
Das Problem der deutschen Kinderbetreuungspolitik wird international schon lange beobachtet und auch benannt. Als einen Grund für die defizitäre deutsche Politik nennt Frau Prof. Dr. Maier das im europäischen Vergleich ausnehmend konservative deutsche Familienleitbild, welches zum Beispiel im Steuerrecht institutionalisiert ist. Hiermit steht Deutschland innerhalb Europas einsam da. Insgesamt sei sie jedoch positiv gestimmt, denn langsam aber sicher bewege sich etwas. So seien zum Beispiel die so genannten Vätermonate ein erster Schritt in die richtige Richtung, da sie allmählich auch Männer zu „unsicheren Faktoren“ auf dem Arbeitsmarkt machten. Somit würden die „Risiken” der Berufsunterbrechungen innerhalb einer Gesellschaft anders verteilt. Prof. Dr. Maier verwies wiederum auf das positive Beispiel Schwedens: Dort existiere - statt der Finanzierung über Steuern - eine „Elternversicherung“, in die alle Arbeitgeber (zu 80%) und Arbeitnehmer (zu 20%) einzahlen.
Ein weitaus größeres Problem in diesem Zusammenhang stellt für Prof. Dr. Maier die allgemein fortschreitende Deregulierung des Arbeitsmarktes dar. Sie verwies auf die hohe Anzahl von so genannten Minijobs oder auch Teilzeitarbeit und auf die Tatsache, dass diese vorrangig von Frauen ausgeübt werden. In Deutschland sei die Verknüpfung von Teilzeit und Niedriglohn besonders ausgeprägt; unbedingt nötig sei eine breitere Streuung der Teilzeit „nach oben”.
Es wurde diskutiert, ob horizontale Segregation abzubauen sei, indem beispielsweise auf das Berufswahlverhalten eingewirkt werde. Hier sieht Prof. Dr. Maier jedoch nicht den Hauptansatzpunkt. Es sei sinnvoller, vorrangig auf eine bessere Entlohnung von „Frauenberufen” hinzuarbeiten, als erst Männer in diese Berufe zu bewegen.
Besonders wichtig sei es allerdings auch, die Bewertungen von Berufen zu verändern und deren Vergeschlechtlichung aufzubrechen. Konkret ginge dieses auf betrieblicher Ebene, zum Beispiel über entsprechende Tarifverträge, sowie durch diskriminierungsfreie Systeme der Arbeitsbewertung. Dazu lägen Instrumente vor, Gewerkschaften und Arbeitgeber leisteten jedoch Widerstand. Allerdings sei erkennbar, dass das Thema langsam „an Fahrt aufnehme“ - beispielsweise werde mit dem „Equal Pay Day“ eine breitere Basis für die Politisierung gelegt.

Hier finden Sie die Präsentation von Prof. Dr. Friederike Maier als PDF-Datei.


Weitere Informationen zur Vortragenden:


Prof. Dr. Friederike Maier ist Direktorin des Harriet Taylor Mill-Instituts der FHW Berlin und Professorin für Verteilung und Sozialpolitik. Die Schwerpunkte ihrer Lehre sind Prozesse und Steuerungsinstrumente, Verteilungstheorie und -politik, Arbeitsmarkttheorie und -politik, gesamtwirtschaftliche Aspekte der Frauenarbeit sowie die ökonomischen Theorie und das Geschlechterverhältnis. Sie widmet sich außerdem der Forschung und Beratung in den Bereichen der Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik, der Sozialpolitik sowie der betrieblichen Frauenförderung. Weitere Informationen erhalten Sie auf ihrer Homepage.



Weiterführende Veröffentlichungen:
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erstellt von Administrator zuletzt verändert: 10.08.2010 09:39