Ausgangspunkte
Scheinbar neutrale ressourcenwirksame Entscheidungen wirken nicht auf alle Menschen gleich.
Ein Beispiel: Einschnitte bei der Kinderbetreuung (kürzere Betreuungszeiten, höhere Eigenbeteiligung) betreffen in besonderem Maße alleinerziehende Mütter, wenn diese die Einsparungen nur durch eigene unbezahlte Betreuungsarbeit auffangen können und dadurch Gefahr laufen, vom Arbeitmarkt ausgeschlossen zu werden. Alleinerziehende Männer sind von solchen Einschnitten im Durchschnitt weniger betroffen, da sie im Schnitt mehr verdienen und die kulturellen Barrieren auf dem Arbeitsmarkt für sie niedriger sind.
Ein anderes Beispiel zeigt, dass Entscheidungen, die keine unmittelbaren Folgen für den öffentlichen Haushalt haben, wichtige Folgen für die Ressourcenverfügung von Frauen und Männern haben: Die Erweiterung der Ladensöffnungszeiten hatte wesentliche Auswirkungen auf die Einkommen, die Zeitverfügung und die Organisation von Versorgungsarbeit bei den Beschäftigten im Handel, auf die Organisation der Versorgungsarbeit bei den Kundinnen und Kunden sowie die Umsatz und Gewinnentwicklung der Unternehmen. Für viele der überwiegend weiblichen Beschäftigten hatte diese Entscheidung finanzielle und zeitliche Nachteile (familienunfreundliche Arbeitszeiten, mehr geringfügige Beschäftigungsverhältnisse). Gleichzeitig brachte sie für Kundinnen und Kunden eine höhere Flexibilität und damit wichtige Vorteile für die Organisation häuslicher Versorgungsarbeit, die nach wie vor überwiegend von Frauen geleistet wird. Eine gender-bezogene Folgenabschätzung im Vorfeld der Entscheidung hätte diese Folgen genauer darstellen können. Auf Basis dieser Folgenabschätzung wäre eine fundiertere öffentliche Diskussion möglich gewesen. Diese Aspekte hätten gegenüber den allgemeinen ordnungspolitischen Deregulierungsargumenten dann auch eine größere Rolle spie-len können und wären ggf. auch stärker in die Entscheidung eingegangen.
Beispiele dieser Art zeigen, dass Frauen und Männer keine homogenen Gruppen sind. Männer wie Frauen unterscheiden sich aufgrund verschiedener Lebenslagen, Alter, Herkunft, physischer und psychischer Dispositionen, Bildung usw. und sind von ressourcenwirksamen Entscheidungen unterschiedlich betroffen. Die Folgen dieser Entscheidungen können gender-bezogen zu sehr unterschiedlichen Belastungen führen. Die Verteilung der Ressourcen in einer Gesellschaft ist ein entscheidender Faktor für die Teilhabe der einzelnen Menschen an gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen sowie für ihre Wertschätzung im gesellschaftlichen Gefüge. Der öffentliche Haushalt ist ein zentraler Ausdruck der von der Regierungspolitik vorgenommenen Wertentscheidungen und Prioritätensetzungen.
Gender-bezogene Effekte ressourcenwirksamer Entscheidungen auf die private Arbeitsteilung sollen berücksichtigt werden
Die Betrachtung von Familien als ökonomische Einheit verdeckt die interne, oft geschlechtsdifferenzierte Arbeitsteilung. Daher dürfen die Auswirkungen ressourcenwirksamer Entscheidungen nicht nur auf private Haushalte als Wirtschafts- und Verbrauchseinheit bezogen werden. Nur eine Betrachtung, die Individuen (Kinder, Frauen und Männer) in den Blick nimmt, kann geschlechtsdifferenzierte Auswirkungen wahrnehmen.
Unbezahlte Arbeit ist ein wichtiger Teil der Wirtschaftleistung einer Gesellschaft
Der herkömmliche Wirtschaftsbegriff lässt unbezahlte Arbeit für Versorgungsleistungen wie Kinderbetreuung, Haushaltsführung und Pflege hilfebedürftiger Menschen aber auch ehrenamtliche zivilgesellschaftliche Arbeit unberücksichtig. Erst der Output des nichtbezahlten Sektors und des monetären Wirtschaftssektors zusammen ergeben die gesamte Wirtschaftsleistung einer Gesellschaft.
Unbezahlte Arbeit ist eine geldwerte Leistung für die Gemeinschaft. Dies wird besonders sichtbar bei Aufgaben, die vorher öffentlich getragen wurden, trifft aber auch auf jede andere gemeinnützige Arbeit sowie die ‚traditionelle’ Haus- und Familienarbeit zu. Insofern ist unbezahlte Arbeit als unsichtbare Abgabe an das Gemeinwesen anzusehen. Diese Leistung wird erbracht, fließt aber bislang nicht in die volkswirtschaftlichen Berechnungen ein.
Unbezahlte Arbeit und private Arbeitsteilung lässt sich nur über die Berücksichtigung des Faktors Zeit angemessen darstellen.
In diesem Kontext ist zu fordern, den Faktor Zeit in den volkswirtschaftlichen Berechnungen zu berücksichtigen. Damit soll u.a. dem Umstand Rechnung getragen werden, dass Zeiten, die z.B. für die Kinderbetreuung aufgebracht werden, für eine Erwerbsarbeit nicht zur Verfügung stehen. Es geht darum, einem an Geschlechterrollen gebundenen Ausschluss von der Erwerbsarbeit und gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen entgegenzuwirken.
Die Einführung des Faktors Zeit in der volkswirtschaftlichen Berechnung ermöglicht zudem eine weitaus realistischere Folgenabschätzung von Einsparmaßnahmen, die durch unbezahlte Arbeit aufgefangen werden müssen. Wenn mehr und mehr Aufgaben privat geleistet werden, steht weniger Zeit für die einzelnen Aufgaben in der privaten Versorgung zur Verfügung. Unvermeidlich ist, dass die Qualität der erbrachten Leistungen (z.B. Kindererziehung) vielfach leidet. Folgekosten durch eine unzureichende Versorgung sind zu erwarten. Kurzfristige Einsparungen können so langfristig höhere Kosten verursachen.