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"Working on the Familiar - Was untergräbt die Deutungshoheit in der Familienpolitik?"

Gender Lecture mit Dr. Antke Engel am 18. Juni 2007

"Working on the Familiar - Was untergräbt die Deutungshoheit in der Familienpolitik?"


Wie kann eine queer-feministische Perspektive in der Familienpolitik gestaltet sein, die die heteronormative Konstruktion von Familie sichtbar macht und rechtliche und politische Interventionen für alternative Familienmodelle aufzeigt? Diese Fragen verfolgte Dr. Antke Engel in ihrem Vortrag „Working On The Familiar. Was untergräbt die Deutungshoheit in der Familienpolitik?“ am 18.06.2007 im Rahmen der Gender Lecture des GenderKompetenzZentrums an der Humboldt-Universität zu Berlin. Dabei problematisierte Antke Engel vor allem drei Dimensionen von Familie und Familienrecht.

Erstens sei Elternschaft in Deutschland rechtlich heterosexualisiert; homosexuelle und transgender Familienkonstellationen blieben damit nach wie vor vielfach ausgegrenzt und stigmatisiert. Die Rechtswissenschaftlerin Drucilla Cornell, auf die sich Engel im Weiteren bezog, bezeichnet diesen Umstand in ihrem Buch „At the Heart of Freedom: Feminism, Sex, and Equality“ (1998) als Zwangsheterosexualität im Familienleben, die immer noch einhergehe mit einer patriarchalen Einschränkung der Rechte von Müttern und Kindern. Familie sei damit als Ort und Produktionsstätte von asymmetrischen Beziehungen konstruiert.
Wie aber können Hierarchien und Diskriminierungen entgegengewirkt werden, die sich aus unbezahlter Reproduktionsarbeit und ökonomischer Abhängigkeit, der Heterosexualisierung von Familien sowie dem weitreichenden Ausschluss von Lesben, Schwulen und Transgender aus dem Adoptions- und Sorgerecht ergeben? Dem vorherrschenden biologistischen und heteronormativen Verständnis von sexuellen Subjektivitäten, Praxen und Lebensformen in der Gesellschaft stellt Cornell eine anti-normative Perspektive entgegen, die sich an den Prinzipien von Freiheit und Gleichwertigkeit aller Menschen orientiert. Demnach haben alle Menschen das Recht, ein „sexuate being“, eine geschlechtlich/ sexuelle Subjektivität, auszubilden und zu leben, wie immer diese auch aussieht. Der Staat, so Cornell, habe nicht das Recht, bestimmte Lebensformen zu privilegieren oder zu diskriminieren. Auch müsse verhindert werden, dass gesellschaftliche Akteure Menschen auf Grund ihrer Subjektivität hierarchisieren. Antke Engel wies schließlich auf die Besonderheit von Cornells Perspektive hin, die die Bedeutung individueller Freiheitsrechte konsequent mit einer Perspektive der Verteilungsgerechtigkeit verbindet. In diesem Kontext sei auch das Plädoyer Cornells zu verstehen, dass der Staat für alle Individuen in der Gesellschaft die Bedingungen und Ressourcen herstellen müsse, die es den Einzelnen überhaupt erst erlaubten, eine geschlechtlich/sexuelle Subjektivität auszubilden.

Ein zweiter kritischer Aspekt, der die Problematik der Heteronormativität sogar noch überlagere, ist laut Engel, dass innerhalb von Familien eine naturalisierte Paarkonstruktion wirkmächtig ist. Unabhängig davon, ob es sich um eine heterosexuelle, homosexuelle oder transgender Elternschaftskonstruktion handelt, könne Familie nicht jenseits der sogenannten „Nicht-mehr-als-zwei-Regel“ gedacht werden. Entstehe aber beispielsweise eine familiäre Beziehungskonstruktion einer Regenbogenfamilie mit drei (oder mehr) Familienverantwortlichen, erwachsen im Alltag sehr schnell rechtliche Probleme für dieses Lebensmodell, wie Engel in anschaulichen Beispielen zeigte.
Engel verwies auch hier auf Drucilla Cornells Ansatz, nach dem die Vorstellung von Elternschaft nicht mehr an die biologische Elternschaft, sondern an die sorgerechtliche Verantwortung gekoppelt werden sollte. Über vertragliche Regelungen könnten mögliche (Neu-)Konstellationen von Beziehungen im Lebensverlauf organisiert werden. Beziehungskonstellationen, die aus einem Verständnis der sozialen Verantwortung entstehen, würden so aufgewertet.

Ein dritter Aspekt, den Engel in ihrem Vortrag kritisch betrachtete, ist, dass Familie und Familienrecht darauf ausgerichtet seien, die Naturalisierung von Mutterschaft und die vorherrschende Form von Maskulinität nicht zu gefährden. Anhand von Ausschnitten aus dem Dokumentarfilm „Transparent“ von Jules Rosskam (USA 2005), der Female-to-Male-Transgender und ihren Alltag als Eltern dokumentiert, forderte Antke Engel die kulturell verfügbaren Bilder von Mutter- und Vaterschaft heraus und stellte die Frage, inwieweit die Mutterschaft eines Female-to-Male-Transgender und somit eine „männliche Schwangerschaft“ bzw. „männliche Mutterschaft“ die vorherrschenden naturalisierten Vorstellungen von Mutterschaft und Vaterschaft bricht. So stellen Female-to-Male-Transgender durch ihre Elternschaft ein neues Bild von Mutterschaft her, das die Norm der Zweigeschlechtlichkeit innerhalb der Paarbeziehung und die gewohnten Vorstellungen des Familiär-Vertrauten fundamental in Frage stellt. Antke Engel verdeutlichte mit diesem Beispiel, wie stark zweigeschlechtlich essentialisiert die Vorstellung von Elternschaft ist. Erkennbar ist dies nicht zuletzt daran, dass die im Film dargestellten Eltern ihr Selbstverständnis als Transgender immer an der kulturell mächtigen zweigeschlechtlichen Matrix ausrichten müssen und in ihrem Alltag Diskriminierung auf unterschiedlichen gesellschaftlichen Ebenen erleben. Zugespitzt finden diese ihren Niederschlag in der Bedrohung, dass ihnen das Sorgerecht aberkannt wird, da ihnen qua ihrer sexuellen Identität die Befähigung zur Elternschaft abgesprochen wird. Antke Engel führte aus, dass eine männliche Schwangerschaft, wie sie in der Dokumentation dargestellt wird, als eine Provokation gesehen werden kann, die eine Bedrohung für die gesellschaftlich vorherrschende Vorstellung von Maskulinität ist und damit auch für ein Familienmodell, das über die Regulierung von Sexualitäten für die vorherrschende Organisation der Gesellschaft einen zentralen Stellenwert einnimmt. Im Unterschied zur wachsenden Akzeptanz gegenüber schwul/lesbischer Elternschaft stellt eine Female-to-Male-Transgender- Mutterschaft weitreichendere Herausforderungen an die Gesellschaft, weil sie die Naturalisierung von Mutterschaft grundsätzlich verwerfe.

In der nachfolgenden Diskussion wurden die Funktionalität der „Nicht-mehr-als zwei-Regelung“ sowie Bedingungen für eine sinnvolle Ausweitung des Sorgerechts thematisiert. In diesem Zusammenhang wurde das Konzept der Wahlverwandtschaft der Linkspartei genannt, das auf dem Ansatz von Cornell beruhe. Auch wenn damit queer-feministische Konzepte schon Eingang in die reale Politik gefunden hätten, blieben auf den politischen Entscheidungsebenen starke Widerstände gegen neue Identitäts- und Beziehungsmodelle bestehen, wie z.B. im Transsexuellengesetz (TSG) deutlich wird, in dem das Fortpflanzungsverbot für Transsexuelle festgeschrieben ist. Diese Widerstände analysierte Engel aus einer kulturwissenschaftlichen Perspektive: So sei die Nichtexistenz von kulturellen Bildern, z.B. für eine Female-to-Male-Schwangerschaft, nicht zu unterschätzen. Engel erläuterte, dass durch das Fehlen einer „kulturellen Bildergalerie“ das Verständnis für neue Formen von Maskulinität für viele Menschen einfach nicht denkbar sei.
Schließlich stellte Antke Engel die Frage, warum die Figur der naturalisierten Paarstruktur über rechtspolitische Maßnahmen abgesichert werde. Ihre Hypothese dazu lautete, dass die naturalisierte Paarstrukur innerhalb der kapitalistischen Logik eine wichtige Funktion für das Erbschaftsrecht und die Absicherung von Besitzständen einnimmt. Des Weiteren wurde diskutiert, inwiefern die Norm der Paarorientierung und die rechtlichen Bedingungen für die Übernahme von Verantwortung für Kinder nicht auch mit dem Konzept der Monogamie in Verbindung zu bringen seien. Nicht zuletzt wurden die sozialpolitischen Anreize, innerhalb der Ehe die ökonomische Absicherung über die Partnerschaft zu gewährleisten, kritisiert und die asymmetrische Beziehungskonstellation der Ehe diskutiert.



Dr. Antke Engel ist Philosophin und Queer Theoretikerin mit Arbeitsschwerpunkten in feministischer und poststrukturalistischer Theoriebildung, Sexualitäts- und Begehrenstheorien sowie Repräsentationskritik. Sie promovierte am philosophischen Institut an der Universität Potsdam zu „Repräsentation als Intervention. Queer/feministische Politik der VerUneindeutung von Geschlecht und Sexualität“. 2006 gründet sie das Institut für Queer Theory.
Ihre Forschungsschwerpunkte sind Queer Theory und Heteronormativitätskritik, Feminismus und Gender Studies, Poststrukturalistische Theorie, Repräsentationskritik, Politische Philosophie, Kulturtheorie sowie die Ansätze von Judith Butler, Teresa de Lauretis und Michel Foucault. Weitere Informationen finden Sie auf der Homepage von Dr. Antke Engel.

Ausgewählte Veröffentlichungen:

  • Wider die Eindeutigkeit. Sexualität und Geschlecht im Fokus queerer Politik der Repräsentation, Frankfurt/M. (Campus) 2002 [Monographie und Dissertation]
  • femina politica. Zeitschrift für feministische Politikwissenschaft: Queere Politik: Analysen, Kritik, Perspektiven, 14 (1) 2003
  • quaestio (ed.): Queering Demokratie. Sexuelle Politiken, Berlin (Querverlag) 2000 [Mitherausgeberin]

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erstellt von Administrator zuletzt verändert: 10.08.2010 11:05