Sie sind hier: Startseite Veranstaltungs-, Publikations- und News Archiv Gender Lectures "Gender Mainstreaming – eine Klasse für sich? Die Debatte in den Medien um Gender Mainstreaming zwischen Furcht, Feminismus und neuer F-Klasse"

"Gender Mainstreaming – eine Klasse für sich? Die Debatte in den Medien um Gender Mainstreaming zwischen Furcht, Feminismus und neuer F-Klasse"

Gender Lecture am 5.2.2007 zeigt Interesse an "Feminismus":

 

Einleitend konstatierte die Direktorin des GenderKompetenzZentrums, Prof. Dr. Susanne Baer, dass die Aufmerksamkeit der Medien und die Kritik an GM sehr unterschiedliche Ursachen hat:

Auffallend ist zunächst die rhetorische Schärfe und das Stilmittel des persönlichen Angriffs, der vorrangig auf frauenfeindliche und homophobe Ressentiments setzt.

Daneben steht der explizite Rückgriff auf naturalistische oder religiöse schöpfungsorientierte Vorstellungen von dem, was "Mann und Frau" seien. In Zeiten der Orientierung an medizinisch-naturwissenschaftlichem Wissen und in Zeiten der kulturellen Glaubenskämpfe wirkt das besonders mächtig.

Dazu kommt die Gefahr, das Gleichstellungspolitik gegen Familienpolitik ausgespielt wird, anstatt beide offensiv zu betreiben. So ist das von der Europäischen Union ausgerufene Jahr der Chancengleichheit in der deutschen Öffentlichkeit bisher kaum präsent; das Thema leidet vielmehr unter teils offen diskriminierenden Debatten zum Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz. Desgleichen wird mehr oder minder offen zwischen verschiedenen Diskriminierungsgründen unterschieden und hierarchisiert – Rassismus gilt dann als schlimmer Exzess, geschlechtsbezogene Benachteiligung dagegen als hysterische Überempfindlichkeit. Weithin fehlt eine angemessen komplexe Beschäftigung mit Gender und der gerade in den Gender Studies diskutierten Intersektionalität.

Demgegenüber ist auch nicht zu übersehen, dass einige Journalisten aufschreien, weil ihnen offensichtlich gerade die Familienpolitik der Bundesregierung zu weit geht. Die Kritik ist insofern immer auch ein paradoxes Zeichen des Erfolgs. Das gilt auch für Gender Mainstreaming, denn mit Hilfe dieser Strategie werden Akteure adressiert und Themen reflektiert, die vorher meinten, Geschlechterfragen souverän übersehen zu können. Je mehr "Gender" jedoch im "Mainstream" ist, desto weniger ist das unhinterfragt möglich.

Auffällig ist auch, dass nur wenige Menschen öffentlich für Gleichstellung eintreten. Die von Thea Dorn in ihrem Band zur F-Klasse im Piper-Verlag zusammen getragenen Positionen verdeutlichen, dass durchaus feministisch gedacht, aber der Begriff Feminismus wegen des daran geknüpften Stigmas doch gemieden wird.

Nach Baer stellt sich in der Medienöffentlichkeit schließlich nicht nur die Frage: "Wer redet gegen wen oder was?" und "Wie genau wird da argumentiert und gehandelt?" Vielmehr scheint es auch erforderlich zu sein, Argumente zugunsten der Gleichstellung zu verfeinern. Damit war die Diskussion um die Möglichkeiten argumentativer Gegenstrategien eröffnet.



Die Mediendebatte selbst stand dann im Mittelpunkt des pointierten Vortrags von Sandra Smykalla, wissenschaftliche Mitarbeiterin im GenderKompetenzZentrum. Medien wie Cicero (Eva Herman), FAZ (Volker Zastrow), DER SPIEGEL (René Pfister) und Nachrichtenmagazine aus dem kirchlichen Spektrum (Dominik Klenk) rief sie dabei als diskursschaffende Akteure in Erinnerung, die die derzeitige Gleichstellungspolitik diskreditieren und einen Gleichstellungs-Backlash vorantreiben. Mit einem homophoben und verschwörungstheoretischen Gestus wird ein Bedrohungsszenario geschaffen. Ergebnisse von Gender Mainstreaming und Strategien der Familienpolitik der Bundesregierung werden verkürzt und aus dem Kontext gerissen dargestellt. Gleichstellungspolitisch aktive Personen werden persönlich diffamiert. Inhaltlich geht es im wesentlichen um vier regelmäßig nicht belegte Behauptungen:
  • "die Bürokratisierung",
  • die "Einmischung" des Staates in die Privatsphäre,
  • der "Zwang" zu neuen Geschlechterrollen in Arbeitswelt und Familie und
  • die "Auflösung der natürlichen Ordnung".

Neben konservativ reaktionären Verstärkungen solcher Töne durch die neu-rechte Wochenzeitung "Junge Freiheit" wenden sich kritische Stimmen wie etwa in der "taz" oder sachlichere Berichte wie z.B. in der Sendung "Kulturzeit" auf 3Sat gegen diesen Ton und Trend. Zudem gab es verschiedene Stellungnahmen von Einzelpersonen und Institutionen, die Gender Mainstreaming verteidigten. Im Übrigen hat die FAZ im Feuilleton am 12.2.2007 in dem Beitrag von Petra Gehring treffsicher die biologistischen Verkürzungen und Fehlschlüsse des neuen Buchs von Gabriele Kubry über die "Gender Revolution" in Zweifel gezogen.

 

 

 

Es folgte eine lebhafte Diskussion, die von Sandra Lewalter, ebenfalls wissenschaftliche Mitarbeiterin des GenderKompetenzZentrums, moderiert wurde. Mehrfach wurde gefragt, ob diffamierende Artikel zu Gender Mainstreaming auf Vermittlungsschwierigkeiten zwischen Wissenschaft und gesellschaftlicher Öffentlichkeit bzw. Medien verweisen. Deutlich wurde jedoch, dass jedenfalls der Beitrag im Spiegel darauf nicht zurück zu führen sei. Der Journalist René Pfister hatte mehrere - auch anwesende - Gender-Expertinnen und -Experten interviewt und nicht den Eindruck hinterlassen, das Anliegen von Gender Mainstreaming missverstanden zu haben. Vielmehr sei eine politische Intention dominant gewesen. Andere warfen ein, dass die Strategie Gender Mainstreaming die Öffentlichkeit zu wenig erreiche, da sie vorrangig in Fachkreisen diskutiert werde. Umgekehrt wurde aber auch erläutert, dass "Gender" als Thema längst in der breiten Bevölkerung angekommen und Gleichstellung als Ziel inzwischen auch mehrheitsfähig sei. Deutlich war auch, dass "Vermittlung" im Feld von Gender Mainstreaming und von Gender-Analysen immer eine herrschaftskritische Seite habe.

Unterschiedliche Positionen wurden zur Frage des "richtigen" Umgangs mit der Mediendebatte um Gender Mainstreaming bezogen. Einige begrüßten die Debatte mit Verweis auf den Positionierungsbedarf und plädierten für eine beobachtend-abwartende Haltung. Andere verwiesen auf den Ernst der Lage, da sich die medialen Diskreditierungen nicht mehr nur auf den radikalen Feminismus beziehen, sondern diverse gleichstellungs- und familienpolitische Akteurinnen und Akteure eben auch persönlich attackieren.

Als mögliche Strategien gegen den neuen intellektuellen Konservatismus wurden eine verstärkte (internationale) wissenschaftliche und politische Vernetzung, mehr Lobbyarbeit für Gleichstellungsfragen und die Suche nach kreativen Formen der politischen Einmischung ins Gespräch gebracht. Dazu komme die Notwendigkeit, Gleichheit als Wert zu postulieren und den Nutzen von Gleichstellungspolitik zu profilieren. Thema war auch die Kooperation zwischen politischer Frauen- und Männerarbeit sowie der verstärkte Einbezug von Männern in gleichstellungspolitische Arbeit. Schließlich hätten hier die Gender Studies eine Rolle zu spielen.

Am Ende der regen Diskussion lag eine Vielzahl von Analysen und Ideen vor. Konsens war wohl, dass Gegenrede gefragt ist und diese unterschiedliche Formen annehmen kann. Das GenderKompetenzZentrum wird seinen Teil dazu beitragen und auch in Zukunft Diskussionsräume für Reflexionen um Ziele, Inhalte und Vermittlungsweisen von Gender, Gender-Kompetenz und Gender Mainstreaming eröffnen.

 

 

Einen weiteren Beitrag hat die Diskussionsteilnehmerin Anna Holz veröffentlicht.

Anlässlich der in einigen Medien entzündeten Debatte um Gleichstellungspolitik und Gender Mainstreaming lud das GenderKompetenzZentrum an der Humboldt-Universität zu Berlin im Rahmen der regelmäßigen Gender Lectures zur Diskussion. Die Resonanz war mit rund 80 Teilnehmenden aus Wissenschaft, Verwaltung und Beratungsarbeit sehr hoch.
erstellt von Administrator zuletzt verändert: 10.08.2010 09:49