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Wissenschaftliche Analyse der Mediendebatte um Gender Mainstreaming

Wissenschaftliche Analyse der Mediendebatte um Gender Mainstreaming

Im letzten Jahr beschäftigten sich einige Zeitungen intensiv mit Gender Mainstreaming – häufig mittels Polemik und Diffamierung. Die Mediendebatte ist nun in der sozialwissenschaftlichen Abschlussarbeit von Julia Roßhart analysiert worden.

Angelehnt an eine diskursanalytische Perspektive untersucht sie einen Materialkorpus von ungefähr 50 Artikeln aus Magazinen und Zeitungen sowie detailliert die zwei auflagenstärksten Artikel der Debatte. Sie fragt dabei auch nach den gesellschaftlichen Wissensvorräten, auf die zurückgegriffen wird und die (re)produziert werden, und stellt die medialen Debatten um Feminismus in den Kontext gesellschaftlicher Transformationen (vgl. S. 20).

Roßhart arbeitet die verschiedenen Strategien der Delegitimierung von Gender Mainstreaming detailliert heraus, von denen im folgenden einige zusammengefasst werden. Die gesamte Debatte durchzieht eine starke Unschärfe – es geht weniger um Gender Mainstreaming als gleichstellungspolitische Strategie, sondern durch „Reduktionen und Vereinheitlichungen” (87) um Gleichstellungspolitik, das Ziel Gleichstellung, Geschlechterforschung und „den” Feminismus generell.
Dabei wird weniger mit argumenativen Kommunikationsmustern gearbeitet, sondern „auf einer assoziativen und subtilen Ebene” Zusammenhänge hergestellt und diffuse Ängste angesprochen. Einige der Implikationen, die in etablierteren Blättern nur angedeutet werden, wurden dann in abseitigeren Zeitschriften oder Leserbriefen ausformuliert – besonders homophobe Positionen.

Die Autoren der Mediendebatte präsentierten sich in einer „vorgeblich neutrale[n] Beobachterposition” (63) und inszenierten sich als Aufklärer eines Geheimprojekts, als Retter vor einer angeblichen feministischen Hegemonie und – entgegen aller Fakten wie beispielsweise der Auflagenhöhe ihrer Blätter – als legitime Freiheitskämpfer aus einer defensiven Minderheitenposition. Dabei wird Gender Mainstreaming als ein Bedrohungsszenario mit „geradezu apokalyptische[n] Züge[n]” (79ff) aufgebaut, und gleichzeitig durch Trivialisierung lächerlich gemacht.
In der Argumentation wird bemerkenswerterweise biologische Determiniertheit von Geschlecht mit individueller Freiheit gekoppelt – und entsprechend (de)konstruktivistische Geschlechtertheorien mit Unfreiheit und Zwang. Dazu werden Ziele wie Gerechtigkeit, Partizipation oder demokratische Teilhabe ausgeblendet: Die zugrundeliegende Annahme ist, „dass es gar kein Problem gibt, das es zu lösen gilt” (81).

Angesichts des vorher geringen Bekanntheitsgrades von Gender Mainstreaming in der allgemeinen Öffentlichkeit – schließlich handelt es sich um eine Strategie für Organisationen und Verwaltungen, also um einen ähnlich spezialisierten Fachbegriff wie Kosten- und Leistungsrechnung (KLR) oder Management by objectives (MBO) – kann, so Roßhart, die Debatte im Sinne einer Verfestigung bestimmter Aussagenkomplexe durchaus meinungsbildende Wirkung aufweisen. So scheint der Topos „Umerziehung” in konservativen Zeitungen „auf gutem Wege zu sein, sich als eine Art Standard-Kritik am Gender Mainstremaing zu etablieren” (92).
Andere Delegitimierungsstrategien tauchten wiederum auf in Polemiken gegen die Gender Studies. Die Geschlechterforschung fungiert dann ebenfalls - statt einer fachkundigen und zielgenauen Kritik unterzogen zu werden – als „Aufhänger eines modernisierten Antifeminismus”, um das „feministische Bedrohungsszenario plausibel” zu machen, so Roßhart: „Die Schlagworte selbst sind indessen austauschbar” (94f).

Abschließend wirft Roßhart noch einen Blick auf die verschiedenen argumentativen Strategien der feministischen Beiträge in der Debatte – wobei besonders die Defensivität und der Effekt des Verstummens kritisiert wird. Roßhart sieht in der Debatte jedoch auch die Möglichkeit, „feministisch fundierte Problematisierungen gesellschaftlicher Verhältnisse” (100) einzubringen.


Weiterführende Literatur zur Debatte:

SeSch
erstellt von Administrator zuletzt verändert: 02.01.2010 20:06