Sie sind hier: Startseite Veranstaltungs-, Publikations- und News Archiv Gender Lectures Wenn Daten diskriminieren InsA Kromminga: 
"Frau Maphrodit..." - "Nein, Herr Maphrodit!" 
-- Ein 3D-Survival-Kit für Andersgeschlechtliche in einer 2D-Matrix

InsA Kromminga: 
"Frau Maphrodit..." - "Nein, Herr Maphrodit!" 
-- Ein 3D-Survival-Kit für Andersgeschlechtliche in einer 2D-Matrix

Doku der Gender Lecture vom 05.07.2010

Der Vortrag d_ Künstler_in InsA Kromminga aus Berlin war zugleich  systematische und theoretische Einführung in die Diskurse der Intersexualität wie auch eine visuelle Reise durch das, was si_er die Erfahrungswelt als Herm-Inter-Aktivist-Künstler_in nennt. Ein breites Spektrum an politischen Dokumenten, aktivistischen Interventionen und eigenen künstlerischen Arbeiten hat vermittelt, was es bedeutet, mittels visueller Strategien in die, so Kromminga, von "harmlos amüsant" bis "lebensgefährlich" reichenden Erfahrungen einzugreifen, als Zwitter kategorisiert zu werden oder als Zwitter unsichtbar zu bleiben. Dieses Dilemma, entweder mit stereotypen und diskriminierenden Zuschreibungen umgehen zu müssen oder in den Rastern der Zwei-Geschlechter-Ordnung vereindeutigt zu werden, zog sich als roter Faden durch den Vortrag. Damit einher ging die Frage, wie sich Sprech- und Artikulationsweisen erfinden lassen, die die Besonderheiten der eigenen  intersexuellen Subjektivität und Verkörperung sozial vermittelbar machen und zugleich die heteronormative Selbstgewissheit des sozialen Umfelds, in das hinein sie eingebracht werden, verändern.

Kromminga diskutierte diese Fragestellung zum einen im Hinblick auf den gewaltvollen medizinischen und rechtlichen Umgang mit intersexuell geborenen Kindern und die aktuellen wissenschaftlichen Debatten in diesem Feld . Zum zweiten machte si_er einen historischen Durchgang durch die verschiedenen Positionen und Gruppierungen  politischer Intersex-Bewegungen verfügbar. Und zum dritten teilte Kromminga seine persönlichen Strategien, die si_er in ihre_seine Alltagswelt einfließen lässt. Insbesondere die Frage der Selbstbenennung spiele im Hinblick auf alle drei Felder eine entscheidende Rolle, ohne dass unumstrittene, allseits überzeugende Antworten zu finden seien. Die Begriffe "Zwitter", "Hermaphropdit" und  "Intersex" hätten alle ihre Vor- und Nachteile. Zu diskutieren bzw. zu bedenken sei, ob und wann die Verbindung mit Transgender-Politiken gesucht werde, ob mit Figuren der “Zwischen-”Geschlechtlichkeit gearbeitet werde, die beide Positionen “Mann” und “Frau” als Referenzpunkt aufrecht erhielten, oder ob medikalisierte Begriffe wie DSD (Disorder of Sexual Development) in bestimmten Situationen von Nutzen seien.

Im Hinblick auf die zweigeschlechtlich identifizierte Öffentlichkeit würden sich Artikulationen immer in dem Spannungsfeld bewegen, dass Empathie erzeugen zugleich heißt, voyeuristische Interessen zu aktivieren. Kromminga benannte dies als "Frankenstein-Effekt", den si_er auch mit ihrem_seinen eigenen Vortrag womöglich erzeugen würde. Die Herausforderung, für Intersex-Subjekte und ihre Interaktionspartner_innen bestünde darin, eine Situation des Respekts herzustellen. Dies würde jedoch auch beinhalten, die heteronormativen Normen der Zwei-Geschlechter-Ordnung generell und nicht nur auf eine vorgeblich besondere Situation intersexueller in Frage zu stellen. Es gelte zu lernen, die verschiedene Formen symbolischer Gewalt und diskriminierender Normalisierung in ihrer Unterschiedlichkeit zu erkennen. Zum Beispiel seien Transphobie, Interphobie und Xenophobie unterschiedliche Effekte, die im Umgang mit Intersexualität zum Tragen kämen; und auch innerhalb des Intersex-Aktivismus stelle sich die Frage, wo die eigenen Politiken Abwehrmechanismen gegen Transgender-Politiken produzieren.

Schließlich wurde in der Diskussion viel über Möglichkeiten geredet, intersexuellen Kindern ein Aufwachsen zu ermöglichen, das ihre Besonderheit wahrnimmt und ihnen die zwangsweisen sozialen, medizinischen und rechtlichen Zurichtungen auf ein künstlich vereindeutigtes Geschlecht erspart. Fragen zur Änderung der Personenstandsrechts wurden debattiert und nicht zuletzt verwies Kromminga auf Möglichkeiten, nicht nur durch individuelle Praxen des Ausfüllens von Formularen, sondern bereits bei der html-Programmierung von Formularen die ärgerliche Entweder-Oder-Entscheidung zu umgehen.

Krommingas Vortrag zeichnete sich durch höchst praktische Fragestellungen ebenso wie gleichzeitig die Inspiration neuer Denk- und Sichweisen aus.
ae

erstellt von aengel zuletzt verändert: 09.11.2010 15:28