Arbeitsteilung in Paarbeziehungen: Wie „Traditionalisierungsfallen” umgangen werden können
Arbeitsteilung in Paarbeziehungen: Wie „Traditionalisierungsfallen” umgangen werden können
Zahlreiche Untersuchungen sind zu dem Schluss gekommen, dass Geschlechterstereotypen für das Fortbestehen traditioneller Arbeitsteilung verantwortlich sind. Auch Paare, die sich explizit an egalitären Vorstellungen orientieren, fallen oft bei Geburt des ersten Kindes in eine Arbeitsteilung von einseitigem Familienernährer und für Kinder und Haushalt verantwortlicher Mutter zurück.
Diese Befunde sind Ausgangspunkt der Studie „Jenseits der Traditionalisierungsfallen – Wie Eltern sich Familien- und Erwerbsarbeit teilen”, in der die Politologin Anneli Rüling untersucht, wie eine gleichberechtigte Vereinbarkeit von Familie und Beruf heute gelebt werden kann und auf welche strukturellen Barrieren sie stößt. Dabei unterstreicht die Autorin, dass die Möglichkeit zur Umsetzung einer gleichberechtigten Arbeitsteilung die Voraussetzung dafür ist, selbst bestimmte Lebensentwürfe realisieren zu können. Zudem wird so die bezahlte und unbezahlte Arbeit zwischen den Geschlechter um verteilt und damit der Anspruch gleicher sozialer Teilhabe realisiert.
Rüling hat 25 heterosexuelle Paare aus verschiedensten Milieus untersucht, die bereits eine egalitäre Arbeitsteilung leben. Ihre unterschiedlichen egalitären Arrangements von Arbeit und Leben werden in Fallbeispielen detailliert dargestellt. Sie stellen gewissermaßen „Pioniere” dar, die es besonders ermöglichen, sowohl die strukturellen Schwierigkeiten zu identifizieren, als auch erfolgversprechende Handlungsstrategien zu deren Bewältigung herauszufinden.
Dabei kristallisieren sich Traditionalisierungsfallen an drei Stellen im Lebenslauf heraus: beim beruflichen Wiedereinstieg von Müttern, bei der Koordination der beruflichen Entwicklung beider Elternteile, sowie bei stereotypen Kompetenzzuschreibungen in Kinderbetreuung und Hausarbeit.
Der berufliche Wiedereinstieg von Frauen nach einer Familienphase stellt insofern eine Traditionalisierungsfallen dar, als sein Mißlingen direkt zur „Ernährerehe” führt. Die befragten Paaren umgingen diese Falle auf zwei verschiedene Arten. Zum einen mithilfe einer berufsorientierten Strategie, bei der nach dem Modell des „Doppelkarrierepaars” beide Vollzeit und mit hohem Engagement arbeiten. Kinderbetreuung und Haushaltsarbeit werden dabei an private DiensleisterInnen externalisiert. Zum anderen wählten sie eine familienzentrierte Strategie, bei der beide Elternteile ihre Arbeitszeit reduzieren und dabei ein geringes Gesamteinkommen in Kauf nehmen. Dazu müssen jedoch Fixkosten gering gehalten werden – nicht nur aufgrund evt. notwendiger privater Kinderbetreuungskosten droht ein Armutsrisiko. Als Rahmenbedingungen, die den Wiedereinstieg erschweren, identifiziert die Studie vor allem die steuerliche Förderung der Ernährerehe und das fehlende Betreuungsangebot für Kleinkinder.
Bei der Koordination der beruflichen Entwicklung beider Elternteile besteht die Gefahr, dass in einem längeren Prozess in biografischer Perspektive die Frau ihre berufliche Entwicklung zurückstellt und der Mann die einseitige Zuständigkeit als Familienernährer übernimmt. Strukturelle Rahmenbedingungen dafür sind vergeschlechtlichte Arbeitsmarktstrukturen, die sich in horizontaler und vertikaler Segregation und im Gender Pay Gap zeigen. Die untersuchten Paare koordinieren sich auf zwei verschiedene Arten: Im einen Fall wählen beide Elternteile parallel eine Teilzeitbeschäftigung. Im anderen Fall wird abwechselnd das berufliche Engagement reduziert. Diese Arrangements sind über einen längeren Zeitraum aufwändig und nur mit großer Beharrlichkeit zu realisieren; mit Zufällen und immer wieder neuen Anforderungen muss flexibel umgegangen werden. Zudem ergeben sich bei langfristiger „Halbe-halbe-Strategie” Probleme der Alterssicherung. Es müssen also laut Rüling Institutionen entwickeln werden, die solche Lebensentwürfe stützen, beispielsweise durch besser abgesicherte Familienphasen.
Die dritte Traditionalisierungsfalle besteht in geschlechtsspezifischen Deutungen bei Kinderbetreuung und Hausarbeit, mit denen die eigene Arbeitsteilung begründet werden. Besonders das Stereotyp, dass Mütter quasi-natürlichen Kompetenzen für Kinderbetreuung und Haushalt besäßen, hat nach der Geburt des ersten Kindes häufig starken Einfluss. Einige institutionelle und wohlfahrtsstaatliche Regeln fördern dieses Verständnis. Zur Entwicklung der Kompetenzen des Vaters im Umgang mit dem Kind ist es wichtig, die der Vater ab der Geburt Zeit allein mit dem Kind verbringt.
Die Studie ist besonders durch die ausführlich dargestellten Fallbeispiele sehr anschaulich. Die Kontexte, jeweiligen Paarideale, Aushandlungen und Konflikte sowie Handlungsstrategien werden genau herausgearbeitet. Eine knappe Zusammenfassung kann der Detailliertheit der einzelnen Schilderungen nicht gerecht werden. Besonders deutlich wird jedoch, dass die egalitären Arrangements nur eine geringe Stabilität haben, da sie Alltag und Lebenslauf permanent eigenständig gestaltet werden müssen. Ihre Instabilitäten und Brüche sind durch die mangelnde strukturelle und institutionelle Unterstützung bedingt. Deshalb müssen die Paare ihre Arrangements stets „neu erfinden” und sind weitgehend auf sich selbst gestellt. Ihre Arrangements sind teilweise finanziell prekär, so dass unklar ist, wie lange die Paare ihre Arbeitsteilung werden durchhalten können.
Aufgrund dieser Befunde fordert Rüling notwendige institutionelle Reformen zum Abbau von Traditionalisierungsfallen. Zum einen müssen strukturelle Barrieren abgebaut werden, die derzeit egalitäre Arrangements behindern. Zum anderen sollten explizite Anreize für egalitäre Arrangements geschaffen werden. Gleichstellungsrecht und Elternzeitregelungen könnten dafür Ressourcen darstellen. Rüling schließt sich den in der Wissenschaft oft herausgestellten Forderungen nach Abschaffung des Ehegattensplitting und Individualisierung sozialer Sicherungssysteme an. Sie verweist zudem darauf, dass der Ausbau öffentlicher Kinderbetreuung für die untersuchten Paare Priorität gegenüber finanziellen Leistungen hatte. Auch auf betrieblicher Ebene ist eine Gleichstellungspolitik nötig, die Diskriminierung bei Aufstiegsmöglichkeiten und Entlohnung abbaut, und eine Arbeitskultur etabliert, die Familienverantwortung ermöglicht. Eine Lebenslauf- und Zeitpolitik z.B. in Form von selbst gewählter Flexibilisierung von Arbeitszeiten könnte die „rush hour of life” entzerren, ebenso wie die Flexibilisierung von Berufsverläufen.
Mit diesen Maßnahmen würden egalitäre Arrangements von Erwerbsarbeit, Kinderbetreuung und Haushaltsarbeit zukünftig auch für diejenigen Paare lebbar, die nicht das Durchhaltevermögen der untersuchten Pioniere aufbringen können.
Anneli Rüling: Jenseits der Traditionalisierungsfallen - Wie Eltern sich Familien- und Erwerbsarbeit teilen, Band 35 der Reihe „Politik der Geschlechterverhältnisse”, Campus 2007.
Weitere Informationen zur Thematik:
Diese Befunde sind Ausgangspunkt der Studie „Jenseits der Traditionalisierungsfallen – Wie Eltern sich Familien- und Erwerbsarbeit teilen”, in der die Politologin Anneli Rüling untersucht, wie eine gleichberechtigte Vereinbarkeit von Familie und Beruf heute gelebt werden kann und auf welche strukturellen Barrieren sie stößt. Dabei unterstreicht die Autorin, dass die Möglichkeit zur Umsetzung einer gleichberechtigten Arbeitsteilung die Voraussetzung dafür ist, selbst bestimmte Lebensentwürfe realisieren zu können. Zudem wird so die bezahlte und unbezahlte Arbeit zwischen den Geschlechter um verteilt und damit der Anspruch gleicher sozialer Teilhabe realisiert.
Rüling hat 25 heterosexuelle Paare aus verschiedensten Milieus untersucht, die bereits eine egalitäre Arbeitsteilung leben. Ihre unterschiedlichen egalitären Arrangements von Arbeit und Leben werden in Fallbeispielen detailliert dargestellt. Sie stellen gewissermaßen „Pioniere” dar, die es besonders ermöglichen, sowohl die strukturellen Schwierigkeiten zu identifizieren, als auch erfolgversprechende Handlungsstrategien zu deren Bewältigung herauszufinden.
Dabei kristallisieren sich Traditionalisierungsfallen an drei Stellen im Lebenslauf heraus: beim beruflichen Wiedereinstieg von Müttern, bei der Koordination der beruflichen Entwicklung beider Elternteile, sowie bei stereotypen Kompetenzzuschreibungen in Kinderbetreuung und Hausarbeit.
Der berufliche Wiedereinstieg von Frauen nach einer Familienphase stellt insofern eine Traditionalisierungsfallen dar, als sein Mißlingen direkt zur „Ernährerehe” führt. Die befragten Paaren umgingen diese Falle auf zwei verschiedene Arten. Zum einen mithilfe einer berufsorientierten Strategie, bei der nach dem Modell des „Doppelkarrierepaars” beide Vollzeit und mit hohem Engagement arbeiten. Kinderbetreuung und Haushaltsarbeit werden dabei an private DiensleisterInnen externalisiert. Zum anderen wählten sie eine familienzentrierte Strategie, bei der beide Elternteile ihre Arbeitszeit reduzieren und dabei ein geringes Gesamteinkommen in Kauf nehmen. Dazu müssen jedoch Fixkosten gering gehalten werden – nicht nur aufgrund evt. notwendiger privater Kinderbetreuungskosten droht ein Armutsrisiko. Als Rahmenbedingungen, die den Wiedereinstieg erschweren, identifiziert die Studie vor allem die steuerliche Förderung der Ernährerehe und das fehlende Betreuungsangebot für Kleinkinder.
Bei der Koordination der beruflichen Entwicklung beider Elternteile besteht die Gefahr, dass in einem längeren Prozess in biografischer Perspektive die Frau ihre berufliche Entwicklung zurückstellt und der Mann die einseitige Zuständigkeit als Familienernährer übernimmt. Strukturelle Rahmenbedingungen dafür sind vergeschlechtlichte Arbeitsmarktstrukturen, die sich in horizontaler und vertikaler Segregation und im Gender Pay Gap zeigen. Die untersuchten Paare koordinieren sich auf zwei verschiedene Arten: Im einen Fall wählen beide Elternteile parallel eine Teilzeitbeschäftigung. Im anderen Fall wird abwechselnd das berufliche Engagement reduziert. Diese Arrangements sind über einen längeren Zeitraum aufwändig und nur mit großer Beharrlichkeit zu realisieren; mit Zufällen und immer wieder neuen Anforderungen muss flexibel umgegangen werden. Zudem ergeben sich bei langfristiger „Halbe-halbe-Strategie” Probleme der Alterssicherung. Es müssen also laut Rüling Institutionen entwickeln werden, die solche Lebensentwürfe stützen, beispielsweise durch besser abgesicherte Familienphasen.
Die dritte Traditionalisierungsfalle besteht in geschlechtsspezifischen Deutungen bei Kinderbetreuung und Hausarbeit, mit denen die eigene Arbeitsteilung begründet werden. Besonders das Stereotyp, dass Mütter quasi-natürlichen Kompetenzen für Kinderbetreuung und Haushalt besäßen, hat nach der Geburt des ersten Kindes häufig starken Einfluss. Einige institutionelle und wohlfahrtsstaatliche Regeln fördern dieses Verständnis. Zur Entwicklung der Kompetenzen des Vaters im Umgang mit dem Kind ist es wichtig, die der Vater ab der Geburt Zeit allein mit dem Kind verbringt.
Die Studie ist besonders durch die ausführlich dargestellten Fallbeispiele sehr anschaulich. Die Kontexte, jeweiligen Paarideale, Aushandlungen und Konflikte sowie Handlungsstrategien werden genau herausgearbeitet. Eine knappe Zusammenfassung kann der Detailliertheit der einzelnen Schilderungen nicht gerecht werden. Besonders deutlich wird jedoch, dass die egalitären Arrangements nur eine geringe Stabilität haben, da sie Alltag und Lebenslauf permanent eigenständig gestaltet werden müssen. Ihre Instabilitäten und Brüche sind durch die mangelnde strukturelle und institutionelle Unterstützung bedingt. Deshalb müssen die Paare ihre Arrangements stets „neu erfinden” und sind weitgehend auf sich selbst gestellt. Ihre Arrangements sind teilweise finanziell prekär, so dass unklar ist, wie lange die Paare ihre Arbeitsteilung werden durchhalten können.
Aufgrund dieser Befunde fordert Rüling notwendige institutionelle Reformen zum Abbau von Traditionalisierungsfallen. Zum einen müssen strukturelle Barrieren abgebaut werden, die derzeit egalitäre Arrangements behindern. Zum anderen sollten explizite Anreize für egalitäre Arrangements geschaffen werden. Gleichstellungsrecht und Elternzeitregelungen könnten dafür Ressourcen darstellen. Rüling schließt sich den in der Wissenschaft oft herausgestellten Forderungen nach Abschaffung des Ehegattensplitting und Individualisierung sozialer Sicherungssysteme an. Sie verweist zudem darauf, dass der Ausbau öffentlicher Kinderbetreuung für die untersuchten Paare Priorität gegenüber finanziellen Leistungen hatte. Auch auf betrieblicher Ebene ist eine Gleichstellungspolitik nötig, die Diskriminierung bei Aufstiegsmöglichkeiten und Entlohnung abbaut, und eine Arbeitskultur etabliert, die Familienverantwortung ermöglicht. Eine Lebenslauf- und Zeitpolitik z.B. in Form von selbst gewählter Flexibilisierung von Arbeitszeiten könnte die „rush hour of life” entzerren, ebenso wie die Flexibilisierung von Berufsverläufen.
Mit diesen Maßnahmen würden egalitäre Arrangements von Erwerbsarbeit, Kinderbetreuung und Haushaltsarbeit zukünftig auch für diejenigen Paare lebbar, die nicht das Durchhaltevermögen der untersuchten Pioniere aufbringen können.
Anneli Rüling: Jenseits der Traditionalisierungsfallen - Wie Eltern sich Familien- und Erwerbsarbeit teilen, Band 35 der Reihe „Politik der Geschlechterverhältnisse”, Campus 2007.
Weitere Informationen zur Thematik:
- Sachgebiet Arbeit
- Sachgebiet Familie
- Sachgebiet Soziale Sicherung
- Fachtagung Zeitpolitik
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zuletzt verändert:
02.01.2010 20:06