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„Familienpolitik – An der Realität vorbei? Vereinbarkeit von Beruf und Familie – Auswirkungen auf die Wirtschaft“

Gender Lecture mit Prof. Dr. Jutta Rump, 26.06.2006

Bis vor kurzem wurde die Vereinbarkeit von Beruf und Familie eher als sozialpolitisches Thema betrachtet. Diese Einordnung bewirkte einen eingeschränkten Blickwinkel, der andere Perspektiven nur bedingt zuließ. Mittlerweile ändert sich die Perspektive, denn der Zusammenhang zwischen Bevölkerungsentwicklung, Fertilitätsraten und Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie dem wirtschaftlichen Erfolg wird mehr und mehr wahrgenommen. Es zeigt sich, dass das Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie im Kontext von gesellschaftlichen Phänomenen betrachtet werden muss, wobei die wirtschaftliche Relevanz der Thematik unübersehbar ist. Beispielsweise der demographische Wandel in Verbindung mit der Erhaltung der Sozialversicherungssysteme kann ohne das Thema der Familienpolitik nicht diskutiert werden.

Nicht nur in der Politik sondern auch in Unternehmen lässt sich feststellen, dass eine Diskrepanz zwischen dem Reden über Vereinbarkeit und dem eigentlichen Handeln („Talking-Action-Gap“) besteht. Zwar wird die ökonomische, finanzpolitische, gesellschaftliche und demographische Relevanz von Familienfreundlichkeit mehr und mehr wahrgenommen, aber deren Berücksichtigung ist nach wie vor eine Besonderheit. Nicht selten findet zudem eine Reduktion auf Kinderbetreuung statt, aber andere betriebswirtschaftliche Faktoren zeigen, dass zur Implementierung von Vereinbarkeit mehr Kriterien in Betracht gezogen werden müssen:
  • Qualifikation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter: kompetente Wissensträgerinnnen in einem Unternehmen können sehr schwer temporär ersetzt werden, da ihre Aufgaben nur bedingt substituierbar sind.
  • Kosten-Nutzen-Relation: Zwar entstehen Kosten durch die Implementierung von Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie, jedoch ergeben sich besonders im Bereich Fluktuations- und Wiederbeschaffungskosten längerfristig auch Kosteneinsparungspotentiale. Darüber hinaus kann eine ausgeglichene Work-Life-Balance zur Senkung von Fehlzeiten führen, die etwa durch Betreuungsaufwand und stressbedingte Krankheiten entstehen. Nicht zuletzt sind auch indirekte monetäre Auswirkungen zu verzeichnen, wenn man an die Bindung von qualifiziertem Personal an Unternehmen und Imagegewinn denkt.
  • Flexibilisierungspotential der Arbeitsplätze: Die Flexibilisierung von Arbeit (Zeit, Ort, Ablauf) ist ein wichtiges Kriterium zur Gewährleistung von Vereinbarkeit.

Auch die bisherige Familienpolitik wurde eher eindimensional betrachtet, da es mehr eine Diskussion um Ausgaben war, als aufzuzeigen, dass bspw. auch Kinder positive fiskalische Effekte auf die Finanzpolitik haben können. Des weiteren wurde bisher auf staatlicher Seite annähernd doppelt so viel für steuerliche Vergünstigungen und Transferzahlungen ausgegeben, als für die infrastrukturelle Unterstützung von Kinderbetreuungseinrichtungen und Serviceleistungen. Da die Unterstützung und Finanzierbarkeit des (temporären) Ausstiegs insbesondere für Mütter aus dem Berufsleben bisheriges Ziel der Familienpolitik war, müssen Alternativen einer Familienpolitik entwickelt werden.

Eine nachhaltige, zukunftsorientierte Familienpolitik basiert auf drei Säulen: der Staat, der die infrastrukturellen Vorraussetzungen für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie schaffen muss, die Unternehmen, die durch Sensibilisierung und Flexibilisierung Möglichkeiten zur Vereinbarkeit geben, sowie die Individuen selbst, die durch Eigenverantwortung und Stützung des Familienwertes den individuellen Beitrag für ein stimmiges Modell schaffen.
Grundsätzlich ist zu berücksichtigen, dass zuerst die infrastrukturellen Rahmenbedingungen geschaffen werden müssen, bevor Geld ausgezahlt wird. Dies lässt sich am Beispiel des beschlossenen Elterngeldes veranschaulichen, da nur eine Auszahlung des Elterngeldes nicht zu einer Steigerung der Fertilitätsrate führen wird. Ohne die Gewährleistung von Kinderbetreuung, veränderter betrieblicher Personalpolitik, familien- und haushaltorientierten Dienstleistungen und einem ausgebauten Pflegesystem wird die Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht gesichert und damit die Fertilitätsrate nicht steigen.

In verschiedenen Themenfeldern lässt sich deutlich machen, wie komplex das Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf angegangen werden sollte und welche Wechselwirkungen und Zusammenhänge erkannt werden müssen.
Grundsätzlich ist festzustellen, dass der Wert für die Familie und deren Wertschätzung zwar vorhanden ist. Dass dennoch der Wert für die Familie nicht umgesetzt wird und vergleichsweise wenig Kinder geboren werden, liegt an den Umständen. Die Unsicherheiten in der Arbeitswelt, die fehlende Kompatibilität zwischen dem veränderten Rollenverständnis und den Zielen einer traditionellen Familienpolitik, den mangelnden Möglichkeiten der Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie der Verdichtung des Berufs- und Erwerbslebens bzw. der Lebensverläufe (Lebensstau) sind einige der Einflussfaktoren. Um eine Stabilisierung des Wertes für die Familie zu erreichen, bedarf es einer modernen Familienpolitik, die zum einen die sich ändernden Rahmenbedingungen und Werte berücksichtigt sowie zum anderen zu einer Entzerrung des Lebensstaus beiträgt. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist nicht nur als Ziel sondern auch als Wert zu verankern, die auch durch die Sensibilisierung durch Presse und Kampagnen und durch die Kommunikation von Best-Practice-Beispielen voran gebracht werden kann. Auch in der Unternehmens- und Personalpolitik ist ein modernes Management gefragt, um in einem lebenslangen Konzept die nachhaltige Sicherung der Beschäftigungsfähigkeit und eine Demografieorientierung nicht aus den Augen zu verlieren. Zusätzlich zur Kinderbetreuung muss auch der Bereich der Pflege nicht nur durch Qualität, sondern auch durch Quantität und Finanzierbarkeit gesichert sein. Zudem ist der Ausbau von haushaltsnahen und familienorientierten Dienstleistungen, die steuerlich absetzbar sein sollten, förderlich.

Zusammenfassend muss noch einmal betont werden, dass gesellschaftliche und wirtschaftliche Perspektiven in einer modernen Familienpolitik vereint werden müssen. Weg von einer Assoziation der Sozialpolitik und Frauenförderung, muss die ökonomische Relevanz von Vereinbarkeit von Familie und Beruf klarer herausgestellt werden. Eine nachhaltige und zukunftsorientierte Familienpolitik basiert deshalb auf den drei Säulen Staat, Unternehmen und Individuum. Darüber hinaus können Katalysatoren gefunden werden, die die Wichtigkeit einer ganzheitlichen Familienpolitik mehr in die öffentliche Diskussion rücken. Verknüpft mit dem Thema der Demographie lässt sich bspw. die Dringlichkeit eines umfassenden Themas deutlich machen und das „Talking-Action-Gap“ etwas schließen.


Zur Vortragenden:
Jutta Rump ist Professorin für allgemeine Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Internationales Personalmanagement und Organisationsentwicklung an der Fachhochschule Ludwigshafen. Zudem ist sie an der FH geschäftsführende Leiterin des Instituts für Beschäftigung und Employability, Vizepräsidentin für Forschung, Wissenstransfer und Öffentlichkeitsarbeit und Gleichstellungsbeauftragte. Neben wissenschaftlichen Beratungen für eine Reihe von Unternehmen und Institutionen ist
Jutta Rump Mitglied im Familienbeirat des Ministeriums für Arbeit, Soziales, Familie und Gesundheit des Landes Rheinland-Pfalz, im Kuratorium Blended Learning Network, sowie der Zukunftsinitiative Rheinland-Pfalz (Zirp).

Ausgewählte aktuelle Publikationen:
Rump, Jutta (2005): Mit Eigenverantwortung und Eigeninitiative zum Erfolg, 7. Existenzgründungstag Rhein-Neckar 26.11.05, Neustadt 2005.

Rump, Jutta (2005): Familienfreundlichkeit aus betriebswirtschaftlicher Sicht, in: Ministerium für Arbeit, Soziales, Familie und Gesundheit (Hrsg.): Und es lohnt sich wirklich, familienfreundliche Maßnahmen in der betrieblichen Praxis, Manz 2005, S. 34 – 38.

Rump, Jutta (2006): Demografischer Wandel: Mehr als eine Altersfrage, in: Personalmagazin, 1/2006, S. 18-19.

Rump, J. / Sattelberger, T. / Fischer, H. (2006): Employability Management, Wiesbaden 2006.
erstellt von Administrator zuletzt verändert: 10.08.2010 10:11