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Studie zum Verdienstgefälle bezogen auf Geschlecht, Ethnizität, Religion, Behinderung/Befähigung, sexuelle Orientierung und Alter

Studie zum Verdienstgefälle bezogen auf Geschlecht, Ethnizität, Religion, Behinderung/Befähigung, sexuelle Orientierung und Alter

Häufig wird Entgeltgleichheit ausschließlich in Bezug auf die Kategorie Geschlecht verhandelt: Wie hoch ist das statistisch durchschnittliche Verdienstgefälle zwischen Frauen und Männern?
In diesen Wert gehen jedoch unterschiedlichste Faktoren ein, die Menschen in ihren vielfältigen Lebenslagen auf unterschiedlichste Arten beeinflussen. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich, dass sich auch über das Geschlechterverhältnis hinaus gesellschaftliche Macht- und Ungleichheitsachsen im Pay Gap abbilden.
Welchen Einfluss hat das Alter auf das Erwerbseinkommen? Wie bildet sich rassistische Diskriminierung im Lohn ab? Verdienen behinderte Frauen und Männer gleich viel wie nicht-behinderte? Ist die sexuelle Identität auf dem Arbeitsmarkt irrelevant? Und wie wirken unterschiedliche Ungleichheitsachsen jeweils miteinander?

Ihre Wechselwirkungen stellen für die empirische Forschung zum Pay Gap noch eine weitgehend offene Herausforderung dar, wie auf der Fachtagung "Equal Pay als mehrdimensionale Gleichstellungsfrage – Daten und Faktoren" für Deutschland festgestellt wurde. In anderen Ländern ist die Forschung auch aufgrund unterschiedlicher Kontexte und (Forschungs-)Traditionen, beispielsweise zur Frage der Untersuchung rassistischer Diskriminierung mit Hilfe von Ethnic Monitoring, teils weiter fortgeschritten. In Großbritannien ist nun eine Studie erschienen, die die Debatte einen großen Schritt voranbringen kann.

Untersuchungsdesign

Die Equality and Human Rights Commission (EHCR) ist ein "non-departmental public body", also eine öffentlich finanzierte unabhängige Institution, zum Abbau von Diskriminierung und Ungleichheit und zum Schutz von Menschenrechten. Sie ging 2007 aus den Vorgängerinstitutionen Equal Opportunities Commission, Commission for Racial Equality und Disability Rights Commission hervor.
Der Begriff der Equality Areas, den das EHCR benutzt, ist in der deutschen Debatte wenig gebräuchlich. Er ist jedoch anschlussfähig an die Konzepte von Diskriminierungsmerkmalen, wie es im juristischen Diskurs benutzt wird, sowie an Fragen der Intersektionalität und der Interdependenzen zwischen Kategorisierungen, wie sie in den Gender Studies diskutiert werden.
Datenbasis der Studie bilden drei Jahrgänge des Labour Force Survey (LFS) des Office for National Statistics, bei dem jedes Quartal ungefähr 60000 Bewohner und Bewohnerinnen des Vereinigten Königreichs befragt werden.

Der Pay Gap wird untersucht aufgrund der durchschnittlichen Stundenlöhne der Vollzeitbeschäftigten. Die durchschnittlichen Löhne der Angehörigen einer Minderheitengruppe werden doppelt verglichen: zum einen im Vergleich zu Männern aus der jeweiligen Gruppe, zum anderen im Vergleich zum Durchschnittswert für Männer in der privilegierten Mehrheitsgruppe.
Zu den Kategorisierungen Behinderung und Geschlecht beispielsweise wurde herausgefunden (vgl. 25ff): Während nicht-behinderte Frauen 15,5% weniger verdienen als nicht-behinderte Männer, liegen behinderte Männer mit einem Nachteil von 10,5% gegenüber der Referenzgruppe der nicht-behinderten Männer in der Mitte. Behinderte Frauen verdienen von diesen Gruppen deutlich am wenigsten: 22,3% weniger als nicht-behinderte Männer.

In einem zweiten Schritt (S. 34ff) wurden Faktoren statistisch isoliert, indem sie jeweils um den Einfluss der anderen Kategorisierungen sowie Charakteristika wie Geburtsland, Bildung, Berufsstatus und Familienstand bereinigt werden. Auf diese Art können möglichst ähnliche Subgruppen miteinander verglichen werden und einzelne Faktoren quantifiziert werden. Wiederum beispielsweise bezogen auf Behinderung und Geschlecht (vgl. S. 38ff) stellt sich zwar der Nachteil als geringer heraus, der auf Behinderung zurückgeht, jedoch ist der auf Geschlecht zurückgehende Nachteil größer – was letztlich im noch größeren Pay Gap von 30,6% der behinderten Frauen gegenüber den nicht-behinderten Männern resultiert.

Zentrale Ergebnisse

Ein zentrales Ergebnis der Studie ist das Fortbestehen von Geschlechternachteilen innerhalb der weiteren Kategorisierungen – sei es Ethnizität, Alter, Behinderung/Befähigung, sexuelle Identität oder religiöse Gruppe. Beispielsweise gibt es im untersuchten Sample keinen Nachweis von Lohnbenachteiligung von schwulen Männern gegenüber heterosexuellen Männern, lesbische Frauen verdienen jedoch weniger als Schwule.

Zweitens hat Bildung einen starken Einfluss, denn die Pay Gaps varieren stark je nach Qualifikationsniveau (vgl. S. 80): So ist beispielsweise der Verdienstunterschied zwischen Frauen und Männern mit hohem Bildungsabschluss geringer als der zwischen Frauen und Männern mit niedrigem Bildungsabschluss. Bezogen auf Ethnizität zeigt sich beispielsweise, dass hochqualifizierte pakistanische und bangladeschische Männer genauso viel verdienen wie Weisse britischen Männern benachteiligt sind, jedoch niedrig qualifizierte substanziell benachteiligt sind gegenüber niedrig qualifizierten Weissen britischen Männern. Ein entgegengesetzter Effekt wurde für den Vergleich zwischen Schwarzen und chinesischen Männern gegenüber Weissen britischen Männern herausgefunden: Hier ist das Entgelt bei den hoch qualifizierten ungleich, bei den niedrig qualifizierten jedoch gleich. Der oft angenommene nivellierende Effekt von Bildung ist also durchaus widersprüchlich und muss sehr spezifisch analysiert werden.

Ein drittes zentrales Ergebnis bezieht sich auf Alter: Hier scheint es sich nach den vorliegenden Daten vor allem um Kohorten-Effekte zu handeln, die sich über Qualifikations- und Berufserfahrungs-Unterschiede erklären lassen. Für genauere Untersuchungen z.B. über individuelle Erwerbsverläufe sollten Paneldaten herangezogen werden.

Schlussfolgerungen

Der Heterogenität der Ergebnisse angemessen ist ein Verständnis des Gender Pay Gap, bei dem Gender eine in sich aufgrund zahlreicher Machtachsen heterogene und interdependente Kategorisierung darstellt. Es geht nicht um eine einfache Addition von Nachteilen bzw. Vorteilen, sondern um ihre konkreten Überschneidungen (vgl. S. 70f). Maßnahmen zur Schließung der Lohnschere müssen, um dieser Komplexität gerecht zu werden, jeweils spezifische Lebenslagen und gruppentypische Erfahrungen berücksichtigen (S. 83). Ob die Ergebnisse analog für Deutschland gelten, lässt sich aufgrund fehlender vergleichbarer Analyse aktuell nur mutmaßen.


SeSch
erstellt von Administrator zuletzt verändert: 02.01.2010 20:06