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Raquel (Lucas) Platero: Outstanding challenges in a post-equality era: trans and same sex legislation in Spain

Doku der Gender Lecture vom 31.05.2010

In seinem_ihrem Vortrag hat Raquel (Lucas) Platero, der_die als Wissenschaftler_in an der Complutense Universität in Madrid arbeitet, die jüngste Geschichte der spanischen Rechtsentwicklung bezüglich gleichgeschlechtlicher Ehe und Transgender-Rechten nachvollzogen. Schwerpunkt der analytisch-kritischen Darstellung lag hierbei zum einen auf der Frage, ob bzw. inwiefern es den beiden Gesetzen, die 2005 und 2007 unter der sozialistischen Regierung von Ministerpräsident Zapatero verabschiedet worden sind, gelingt, Gleichstellung in einem mehrdimensionalen, intersektionellen Sinne zu fassen. Inwiefern sind beispielsweise im Kontext der rechtlichen Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare transgender Positionen berücksichtigt worden? Inwiefern ist es möglich, Eheschließungen von Lesben und Schwulen in ihrer Unterschiedlichkeit wahrzunehmen? Oder welchen Umgang legt das Recht im Hinblick auf die Spezifik transnationaler Ehen nahe? Dieser Fokus auf die Frage der Intersektionalität bedeutet für Platero, sich zugleich detailliert mit dem Verhältnis von Gesetzesformulierungen, ihrer praktischen Auslegung und dem gesellschaftspolitischen Kontext zu befassen, aus dem heraus die Gesetzgebung entstanden ist und in den hinein sie wirkt. 


Diesbezüglich hob Platero hervor, dass die beiden im europäischen Vergleich sehr fortschrittlichen Gesetze maßgeblich vor dem Hintergrund feministischer und homo- sowie trans-aktivistischer Bewegungen im Zusammenspiel mit den post-franquistischen Überzeugungen der sozialistischen Regierung entstanden sind, welche durch diese Gesetze ihre demokratisch-pluralistischen Ambitionen demonstrieren kann. Vorkämpfer_innen oder prominente Unterstützer_innen aus der Rechtswissenschaft oder Rechtspraxis habe es hingegen nicht gegeben; vielmehr sei es so, dass bei der praktischen Umsetzung konservative Anwält_innen und Richter_innen die Potenziale der Gesetze untergraben würden.
Das Ehegesetz könne insofern als fortschrittlich betrachtet werden, als dass kein weiteres untergeordnetes Rechtsinstitut (beispielsweise einer eingetragenen Partnerschaft) eingerichtet, sondern die heterosexuelle Ehe für homosexuelle Paare geöffnet wurde bzw. die Bindung der Eheschließung an das Geschlecht der Personen aufgehoben wurde, was die Ehe auch für transgender Personen zugänglich macht. Letzterer Aspekt harmoniere mit dem Gesetz, dass transsexuellen/transgender Personen erlaubt eine Namensänderung vornehmen zu lassen, ohne eine operative Geschlechtsangleichung vornehmen zu lassen. 


Dass beide Gesetze aus Plateros Sicht dennoch Ungleichheiten perpetuieren und keine grundlegende Infragestellung geschlechterhierarchischer, rigide zweigeschlechtlicher, heteronormativer, rassistischer und klassistischer Verhältnisse bewirke, zeige sich vor allem im Kontext der konkreten Umsetzung sowie sozialen und kulturellen Einbettung der über die Gesetze ermöglichten Praxen. So stellte Platero Beispiele vor die zeigen, dass das rechtlich verbriefte Adoptionsrecht für Lesben und Schwule in der Praxis von Behördenseiten massiv unterlaufen wird und dass die Möglichkeit der Eheschließung insgesamt nur in einem sehr geringen Maße genutzt wird; womöglich deshalb, weil die Ehe keine Lösung für die im Hinblick auf die Anerkennung der Vielzahl und Unterschiedlichkeit nicht-heteronormativer Lebenspraxen bietet und weil die Fälle, in denen gleichgeschlechtliche Ehen geschlossen werden, häufig dazu dienen, transnationale Partnerschaften abzusichern, für die die Migrations- und Asylgesetze keine angemessene Absicherung bieten. Hinsichtlich der Transgender-Gesetzgebung bezogen Plateros Überlegungen verstärkt auch die Klassendimension ein, die im Hinblick auf Möglichkeiten der medizinischen und psycho-sozialen Versorgung von transsexuellen und transgender Personen eine erhebliche Rolle spiele. Neoliberale Privatisierungstendenzen würden auf den ersten Blick liberale Öffnungen des Gesundheitssystems produzieren, die auf den zweiten Blick den Ausschluss großer Teile der Bevölkerung von diesen Leistungen bedeuten. Dies ist für viele transsexuelle und transgender Personen insofern noch dramatischer, als dass sie zugleich mit Diskriminierungen bezüglich des Zugangs zum Arbeitsmarkt umzugehen haben.


All diese mehrdimensionalen, intersektionellen Dimensionen, die sozio-politisch zum Tragen kämen, seien bei der oberflächlichen Betrachtung der so genannt progressiven Gesetzgebung nicht zu erfassen. Dies ist der Moment, wo die Thematik der Vorlesungsreihe „Wenn Daten diskriminieren“ relevant werde: Gesetzesformulierungen und –auslegungen, die mit singulären Identitätskategorien arbeiten und vorgeben, für klar umrissene Personengruppen Regelungen zu treffen (Transgender-Gesetz), ebenso wie solche, die auf einem universellen Begriff des Menschen aufbauen (Ehe-Gesetz), werden der mehrdimensionalen und veränderlichen Verfasstheit von Subjektivität nicht gerecht. Vielmehr produzieren sie diskriminatorische Zuschreibungen und Ausschlüsse, die wiederum nur als individualisierte Verletzungen, nicht aber als Effekt komplexer gesellschaftlicher Machtverhältnisse problematisiert werden können.
ae

erstellt von aengel zuletzt verändert: 09.11.2010 15:27