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Wenn Daten diskriminieren

Gender Lectures im Sommersemester 2010

Die Gender Lectures fanden während des Semesters jeweils montags 18.00-20.00 an der Humoldt-Universität zu erlin statt. 


31.05.2010 - Raquel ( Lucas) Platero (Politikwissenschaftler_in, Complutense Universität  Madrid): Outstanding challenges in a post-equality era: trans and same sex legislation in Spain

14.06.2010 - Vlatka Frketic (Dipl.-Ökonomin und Sprachwissenschaftlerin, Wien): "Wir haben das Land aufgebaut. Wir sind die Herren in diesem Land", sagten die beiden Damen. Irrtum, Macht und Möglichkeiten diskursiver Ordnungen

28.06.2010 - Alexander Dix (Dr. jur., LL.M., Berliner Beauftragter für Datenschutz und Informationsfreiheit): Informationelle Diskriminierung aufgrund des Geschlechts und der sexuellen Orientierung - alte und neue Fragen

05.07.2010 - InsA Kromminga (Herm-Inter-Aktivst-Künstler_in, Berlin): "Frau Maphrodit..." -  "Nein, Herr Maphrodit!" -- Ein 3D-Survival-Kit für Andersgeschlechtliche in einer 2D-Matrix

 

21.06.2010 - Gülay Günlük-Senesen (Prof. of Political Sciences, Istanbul University): Glass Ceiling in Academic Administration: The Turkish Case in 1990ies versus 2000s


Konzept:

Im Rahmen der Gleichstellungs- wie auch der Antidiskriminierungspolitik ergibt sich eine paradoxe Situation: Einerseits ist es notwendig, Diskriminierungen und Ungleichheitsverhältnisse zu erfassen, um sie überhaupt bekämpfen zu können. Andererseits reinstalliert die Erfassung genau die Kategorien, entlang derer sich auch das Ungleichheits- oder Diskriminierungsverhältnis formiert. Hinzu kommt, dass die Fokussierung einer spezifischen Ungleichheits- oder Gewaltperspektive häufig mit dem Ausblenden oder Unterordnen anderer Perspektiven einhergeht. Komplexität wahrzunehmen und abzubilden, insbesondere wenn sich hierbei Benachteiligungen hinsichtlich eines Aspekts mit Privilegien hinsichtlich eines anderen Aspekts verschalten, stellt immer wieder eine Herausforderung dar. Die Gender Lectures im vorigen Wintersemester hatten deshalb gefragt, wie es möglich ist, Ungleichheiten nicht gegeneinander auszuspielen.

Anknüpfend daran soll in nun ein kritischer Blick speziell auf Prozesse der Erhebung, Interpretation, der Darstellung und des Gebrauchs von Daten geworfen werden: Wie tragen die Datenerhebung selbst und die damit verbundenen Kategorisierungen, Ausschlüsse und Verknüpfungen ungewollt zur Diskriminierung bei? Ist es möglich, und wenn ja wie, komplexe und sich verändernde Macht- und Ungleichheitsverhältnisse „in Datensätzen“ zu erfassen? Welche Schwierigkeiten sind hierbei zu beachten, z.B. im Hinblick auf Datenschutz, die Defintionsmacht wissenschaftlicher, politischer und medialer Instanzen, die Partizipationsmöglichkeiten der Befragten? Wie schreiben sich „versteckte“ politische Sichtweisen und Zielvorstellungen in Daten ein?

Zugleich geht es aber auch darum, Lösungsperspektiven auszuloten: Worin bestehen alternative Erhebungsmethoden – die z.B. nicht Gender-Daten, sondern Daten über Sexismus, nicht „ethnische Daten“, sondern „Daten über Rassismus“ erheben, oder die Datenerhebung, -darstelllung und -interpretation als partizipativen und umkämpften Prozess verstehen? Welche Möglichkeiten gibt es, Klassifikationssysteme durch andere Formen der Differenzartikulation zu ersetzen, die es erlauben, Diskriminierungen zu benennen, ohne selber welche zu produzieren? Stellen Daten, die auf Selbstbezeichnungen / -beschreibungen beruhen statt Kategorien vorzugeben, für die Statistik eine – bewältigbare – Herausforderung dar?

Insbesondere im Hinblick auf eine Gleichstellungspolitik, die die Verengung auf die Kategorien „Frauen“ und „Männer“ zu überwinden trachtet, wird es darum gehen, inwiefern die Berücksichtigung „unterschiedlicher Lebenslagen“ sowie der „Lebensverlaufsperspektive“ dazu beitragen, die Komplexität sozialer Ungleichheitsverhältnisse, Mehrfachdiskriminierungen und gegenläufige Wechselspiele zwischen Benachteilungen und Privilegierungen zu erfassen. Zudem werden Positionen der Transgender-, Intersex- und Queer-Bewegungen aufgegriffen, die die zweigeschlechtliche Unterscheidung selbst als diskriminierend kritisieren. Diesbezüglich stellt sich die Frage, ob Freiwilligkeit und Selbstbezeichnung Artikulationsmöglichkeiten für geschlechtliche (Körper-)Subjektivitäten eröffnen, die im zweigeschlechtlichen System nicht auszudrücken sind. Darüber hinaus soll jedoch im Kontext der Gender Lectures gesellschaftspolitisch ausgelotet werden, wie die Diskriminierungsrelevanz von Geschlechterdaten verdeutlicht werden kann. Was bedeutet dies konkret im Hinblick auf Fragebögen, Formulare, aber auch die politische Formulierung und mediale Verbreitung von Informationen zum Geschlecht?

erstellt von pdimitrova zuletzt verändert: 05.05.2011 09:28