"Risiken und Nebenwirkungen von Gleichstellungspolitik - Intersektionalität in der jüngsten deutschen Gleichstellungspolitik"
Gender Lecture mit Doris Urbanek am 26.10.2009
im Rahmen des Schwerpunktthemas
„Risiken und Nebenwirkungen von Gleichstellungspolitik – Zur Herausforderung, Ungleichheiten nicht gegeneinander auszuspielen“
Zum Auftakt der Gender Lecture-Reihe im Wintersemester 2009/2010 analysierte die Politikwissenschaftlerin Doris Urbanek ausgewählte Gesetze und Parlamentsdebatten um Gesetzgebungsvorhaben der großen Koalition (von CDU/CSU und SPD, 2005-2009) unter intersektionaler Perspektive. Ihre Untersuchungen basieren auf ihren Vorarbeiten im Rahmen des europäischen Forschungsprojekts QUING. QUING bedeutet Quality in Gender+ Equality Policies
und steht für die Analyse ausgewählter Gesetzesdebatten aus den Politikfeldern General Gender Equality, Non-Employment, Intimate Citizenship und Gender-based Violence.
Zunächst zeigte Doris Urbanek auf, dass über das Zusammenwirken unterschiedlicher Ungleichheiten in vielen Disziplinen nachgedacht wird. So wird im Recht von „Mehrfachdiskriminierung“ gesprochen, in der Wirtschaft meist von „diversity“ und in der Forschung von Intersektionalität und Interdependenzen. Sie verwies ausdrücklich auf den gemeinsamem Nenner all dieser Benennungen, auf das Zusammenwirken verschiedener Kategorien, oder juristisch: verschiedener Diskriminierungsmerkmale. Damit kann vermieden werden, diese Kategorien in Konkurrenz zueinander zu stellen, oder sie exkludierend gegenüberzustellen, was Stereotypen bestärken würde.
Vor diesem Hintergrund fragte Urbanek, wo und wie Intersektionalität in Gleichstellungspolitiken praktiziert wird, und welche Kategorien dabei jeweils mobilisiert werden. Eine intersektionale Perspektive auf die politische Praxis biete sich schon deshalb an, weil dadurch Zielgruppen von politischen Maßnahmen besser in den Blick gerieten. Doris Urbanek arbeitete in ihrer Analyse fünf unterschiedliche Arten heraus, wie Intersektionalität in unterschiedlichen Gesetzen produziert wird. Diese werden im Folgenden näher erläutert.
Diversitätspolitik
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) analysierte Urbanek als Beispiel für Diversitätspolitik. Damit meint sie, dass im Gesetzestext (besonders: „Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen“, AGG § 1, sowie der Begriff der Mehrfachdiskriminierung, §4) die Diskriminierungsmerkmale eher positivistisch verstanden werden, im Sinne von Eigenschaften von Personen, und nicht von Ungleichheitsverhältnissen. Jedoch kann das AGG für Intersektionalität sensibilisieren, weil mehrere Diskriminierungsmerkmale genannt sind. In diesem Sinne sei auch der Zuschnitt der im Zuge des AGG gegründeten Antidiskriminierungsstelle des Bundes, die Kategorien-übergreifend angelegt ist.
Policy mit intersektionalem Bias
Als Beispiel für den „intersektionalen Bias“, also einen Verzerrungseffekt, analysierte Urbanek das Einkommenssteuerverfahren, und besonders das Ehegattensplitting. Auszüge aus der Beratung des Antrages der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag „Steuervereinfachung – Lohnsteuerklassen III, IV und V abschaffen“ vom 02.02.2007 zeigten, wie die Merkmale Familienstand, sexuelle Orientierung, sowie auch Gender, Alter und Stadt/Land-Unterscheidung mobilisiert wurden. Unter Bezug auf den verfassungsrechtlichen „Schutz von Ehe und Familie“ wird nur eine privilegierte Zielgruppe benannt, und die ausgeschlossenen wie z.B. nicht-verheiratete Frauen bzw. Paare sowie Frauen bzw. Paare in Lebensgemeinschaften geraten aus dem Blick. Dies kann mit intersektionalem Bias bezeichnet werden.Intersectionality Mainstreaming
Ebenfalls aus der Debatte um das Einkommenssteuerverfahren bezog Urbanek ihr Beispiel für „Intersectionality Mainstreaming“. In einem gemeinsamen Aufrufforderten 16 zivilgesellschaftliche, gewerkschaftliche und religiöse Organisationen die Individualbesteuerung. Dort wurden Zielgruppen sehr diversifiziert benannt:
„Auch die Interessen reicher und armer Familien, von Ehen und Paaren ohne Trauschein, gleichgeschlechtlichen Paaren mit und ohne Kindern, Groß-, Hausfrauen- und Beidverdienerfamilien, binationalen und eingewanderten Familien, Familien Alleinerziehender usw. lassen sich oft schwer auf einen Nenner bringen. Familie ist heute vielfältig. Mit diesem Appell finden sich 16 Verbände zusammen, um gemeinsam für eine Politik zu werben, die gute Lebensbedingungen und Perspektiven aller Familien zum Ziel hat.“Intersektionale Ungleichheitspolitik
Als intersektionale Ungleichheitspolitik bezeichnete Urbanek die Regelungen zum Familiennachzug im neuen Zuwanderungsgesetz von 2007. Das Zuwanderungsgesetz soll den Missbrauch von Aufenthaltsrechten verhindern und die Integration von Migranten und Migrantinnen fördern. In den Bedingungen für den Familiennachzug sowie in der Bundestagsdebatte darüber werden die Kategorien Klasse, Alter, Bildung/Sprachkenntnisse, Ethnizität, Religion sowie Nord/Süd- und Ost/West-Herkunft mobilisiert und exkludierend gebraucht. Besonders wird die Kategorie Gender den anderen Kategorien gegenübergestellt.
Intersektionale Gleichstellungspolitik
In der Debatte der CDU/CSU und SPD zur Zwangsheirat, die 2005 als Straftatbestand aufgenommen wurde, sieht Doris Urbanek eine „Intersektionale Gleichstellungspolitik“. Der Aktionsplan II zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen sieht hier umfassende Maßnahmen vor. Es würden intersektionale Zielgruppen addressiert, jedoch teils unter Mobilisierung von Stereotypen bezogen auf Ethnizität/Religion und Geschlecht. Eine Alternative könnte ein Fokus auf Rechte bilden.
Es gibt also unterschiedliche, simultane Arten Intersektionalität zu produzieren. Sie beinhalten in verschiedenen Mischungsverhältnissen Inklusion, Exklusion und Konkurrenz von Kategorien. Inspirierend für „better practice“ könnten die CEDAW-Schattenberichte
sein. In der anschließenden Diskussion wurde versucht, die vorgestellte Analyse für die Entwicklung einer intersektionalen gleichstellungspolitischen Strategie zu nutzen. Entspricht „Intersectionality Mainstreaming“ dem Querschnittsanspruch von Gender Mainstreaming? Methodisch wurde angemerkt, dass es sich bei der Datenauswahl um die veröffentlichten Debatten der Rechtspolitik handele, die als „Spitze des Eisbergs“ zwangsläufig sehr selektiv seien. Ebenfalls methodisch wurde diskutiert, wie mit Auslassungen und Unbenanntem umgegangen werden kann, wenn doch die revelanten Kategorien aus dem untersuchten Material herausgearbeitet werden sollen. Dann hätten die Kategorien eher den Status von Analyseinstrumenten, die an das Material angelegt würden. Auch wurde diskutiert, inwiefern politisch ein Fokus auf Rechte weiterhelfe. So seien doch viele strukturelle Rahmenbedingungen juristisch/politisch zwingend – beispielsweise das Konzept der Staatsbürgerschaft sei so unumstößlich, dass es nichtmal benannt werden müsse.
Zur Vortragenden
Weiterführende Literatur:
- Urbanek, Doris: Intersectionality in Recent German Gender Equality Policies, in: Buchholz, Eva et al. (Hg.): Selektive Emanzipation – Analysen zur Gleichstellungs- und Familienpolitik, Opladen & Farmington Hill, Verlag Barbara Budrich (in Vorbereitung).