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"Feminisierung der Politik? Neue Entwicklungen und alte Muster der Repräsentation"

Gender Lecture mit Dr. Alexandra Scheele am 20.04.2009 im Rahmen des Schwerpunktthemas "Mehr als Köpfe zählen? Politische Beteiligung und Gender"

 


Spitzenpolitikerinnen in Europa treten immer häufiger auf das politische Parkett: 24% der nationalen Abgeordneten der 27 Mitgliedstaaten der EU sind Frauen, im Europäischen Parlament sind es 30%. Kann angesichts dieser Frauenanteile schon von einer Feminisierung der Politik gesprochen werden? Verändert sich durch die Teilhabe von Frauen die politische Landschaft? Diesen Fragen ging Alexandra Scheele in ihrem Vortrag auf den Grund, indem Entwicklungen und Erklärungsansätze der Beteiligung von Frauen in der Politik aufgezeigt wurden. Zunächst bereitete Scheele aktuelle Daten zur statistischen Verteilung von Frauen in der Politik auf, beschrieb des Weiteren Einflussfaktoren der politischen Beteiligung und fragte schließlich nach Möglichkeiten der Veränderung politischer Inhalte.

Einführend konstatierte Scheele, dass zwar inzwischen einzelne Frauen politisch erfolgreich seien, aber insgesamt die institutionalisierte Politik immer noch eine männliche Domäne bleibt. Außerdem gebe es bisher noch keine hinreichenden Erklärungsmodelle für die ungleiche Repräsentation von Frauen und Männern in Parlamenten und dem Spannungsverhältnis von ’standing for’ und ’acting for’ dieser Zielgruppe.

Anhand eines Einblicks in die Statistiken stellte Scheele die Diskrepanz gleicher Teilhabe und Mitwirkung anschaulich heraus: Weltweit gibt es sieben gewählte weibliche Staatsoberhäupter (in Argentinien, Chile, Finnland, Indien, Irland, Liberia, den Philippinen und in San Marino) und neun amtierende Regierungschefinnen (Deutschland, Bangladesh, Island, Mosambik, Ukraine, Moldawien, Haiti, Niederländische Antillen und Aland Inseln). Ein Überblick über Frauen in den nationalen Parlamenten der EU-Staaten von Mai 2008 machte deutlich, dass Deutschland mit einem Frauenanteil von 32 % etwas über dem EU-Durchschnitt von 24% liegt und damit den 8. Platz im EU-Ranking einnimmt. Insgesamt ist in den alten EU-Staaten der Frauenanteil von 1997 bis 2008 von 19% auf 28% (Steigerungsrate 9 Prozentpunkte) und in den neuen Mitgliedstaaten von 11% auf 16% (Steigerungsrate 5 Prozentpunkte) angestiegen (Hoecker 1998, Hoecker / Fuchs 2004).
Beim Frauenanteil in den nationalen Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten zeigen Zahlen vom Juni 2008, dass Deutschland mit 38% deutlich über dem EU-Durchschnitt von 26% liegt. Spitzenreiter ist hier Finnland mit einem Frauenanteil von 60%.

Die statistisch dokumentierte anhaltende Unterrepräsentanz von Frauen bzw. die Überrepräsentanz von Männer steht seit einigen Jahren ganz oben auf der gleichstellungspolitischen Agenda. Den Handlungsbedarf bestätigt auch der im Auftrag der EU-Kommission erstellte Sachverständigenbericht Frauen und Männer in Entscheidungspositionen 2007 – Situations- und Trendanalyse, in dessen Vorwort Vladimir Spidla, Mitglied der Europäischen Kommission für Beschäftigung, Soziales und Chancengleichheit, zur Umsetzung des Fahrplans der Kommission für die Gleichstellung von Frauen und Männern 2006-2010 aufruft: Eine der Prioritäten des Fahrplans ist die Förderung der gleichberechtigten Teilhabe von Frauen und Männern an Entscheidungspositionen.

Zur Erklärung der Einflussfaktoren für die politische Repräsentation von Frauen stellte Scheele das „Magische Dreieck“ von Beate Hoecker (1998) vor: die sozio-ökonomischen Faktoren (wie Bildung, Erwerbsarbeit, Einkommen), die institutionellen Faktoren (Regierungs-, Partei- und Wahlsystem) und die politische Kultur (Werte, Einstellungen, Normen, Geschlechterstereotype). Zur Erklärung wird neben der deskriptiven Repräsentation dabei der ’critical mass - Ansatz’ von Drude Dahlerup vorgestellt.
Als Beispiel für eine effektive Verbesserung der Repräsentation von Frauen wird von Scheele das Instrument die Quotierung benannt. In Deutschland lag bis 1987 der Frauenanteil im Bundestag unter 10%. Nach der Einführung von parteiinternen Quoten (SPD, Die Grünen, PDS/Die Linke) bzw. dem Quorum (CDU) stieg der Frauenanteil 1990 auf 20,5% und 2002 auf 33%. Z.B. auch in Belgien lag der Frauenanteil im Parlament bis 1991 unter 10%. Die 1994 eingeführten gesetzlichen Quoten (legal quotas), das so genannte „Tobback-Smet-Wahlgesetz“, sahen mindestens ein drittel der Wahllisten für Frauen bzw. Männer vor. Da sich herausstellte, dass Frauen zumeist auf den unteren Listenplätzen rangierten, wurde das Gesetz 2002 korrigiert. 2007 beträgt der Frauenanteil im belgischen Abgeordnetenhaus 35 %. Ein weiteres Beispiel ist Spanien mit einem parlamentarischen Frauenanteil von 36 % (1996: 22%). Die 'Sozialistische Arbeiterpartei' hatte 1988 eine Geschlechterquote eingeführt und sie 1997 um 15 % auf mindestens 40 % für jedes Geschlecht erhöht. Diese und die freiwillige Geschlechterquote der 'Konservativen Volkspartei' hatte den Anstieg zur Folge. Zu den Wahlen des spanischen Nationalparlaments 2008 trat ein neues Wahlgesetz in Kraft. Das beinhaltet, dass jedes Geschlecht auf den Partei-Wahllisten mindestens zu 40 % und maximal zu 60 % Berücksichtigung finden muss.

Im Modell des 'critical mass' wird u.a. diskutiert, an welcher Schwelle angesetzt werden muss, damit die numerische Erhöhung des Anteils von Frauen in politischen Institutionen zu einer qualitativen Veränderung von Politikinhalten führt. Diese wurde – so Scheele - 'relativ willkürlich' bei 30% festgelegt. Entscheidend ist an der 'critical mass - Theorie', dass unter 30% Frauen als Gruppe nur als Minderheit gesehen werden und ab 30% Präsenz von Frauen keine Abwertung von Frauen mehr stattfinde. Wichtig sei aber zudem, dass eine Politik von Frauen nicht gleich eine Politik für Frauen sei. Deshalb ist zwischen der symbolischen Vertretung einer Gruppe (Frau sein bzw. „standing for“) und dem substanziellen Handeln für eine Gruppe (für Frauen handeln bzw. „acting for“) zu unterscheiden. Nicht zu vergessen ist an dieser Stelle die Heterogenität einer Gruppe, die die Interessenvertretung erschwert. Scheele nutzte den Begriff 'Bedürfnisse' anstatt 'Interessen', unter dem Anne Phillips (1995) „lebenslaufspezifisch geteilte Problemlagen“ versteht, die Frauen 'teilweise' gemein haben und auf die die Politik stärker eingehen müsse. Am Ende des Vortrages wird noch auf die Hoffnung der Demokratisierung durch den Governance-Ansatz gesetzt. Doch diese muss relativiert werden, werden ExpertInnen-Gremien betrachtet, dessen Zusammensetzung Frauen nicht bis kaum die Möglichkeit der Teilnahme bieten, da sie in bestimmten Bereichen und Positionen weniger anzutreffen sind.

In der abschließenden Diskussion wurden gleichstellungspolitische Strategien der Fachlichkeit oder der Betroffenheit anhand der Frage diskutiert, wie Minderheiten politisch vertreten werden sollten. Aus einer identitätspolitischen Perspektive würden die Lebenslagen und Biografien – also eine Inputorientierung – vorrangig aufgewertet. Der Bezug zum 'standing for' stelle mit dem Ziel der Effektivitätssteigerung jedoch eher eine Outputorientierung dar und menschenrechtlich betrachtet, stünde die Frage nach Ungleichheiten und der mittelbaren Diskriminierung im Vordergrund. Thematisiert wurde dabei außerdem, inwiefern quantitative Faktoren eine qualitative Veränderung von Politik, in Richtung einer genderkompetenten Politik ermöglichen können. Diese Diskussion führt schließlich zu der großen Frage, welche Politik denn eigentlich gewollt sei? Ohne hier natürlich eine abschließende Antwort geben zu können, endete die Veranstaltung mit der (alten) Frage danach wie 'Politisch das Private' sei.


Zur Vortragenden:
Dr. Alexandra Scheele ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Universität Potsdam, Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät, Professur für Frauen- und Geschlechterforschung / Soziologie der Geschlechterverhältnisse. Seit 01/2008 ist sie außerdem deutsche Expertin im „Network of Experts in the fields of Social Inclusion and Gender Equality Issues - EGGSI“ im Auftrag der Europäischen Kommission. Ihre Promotion in Politikwissenschaft hat sie 2006 an der Philipps-Universität Marburg abgeschlossen. Sie ist Redakteurin der „Femina Politica - Zeitschrift für feministische Politikwissenschaft“ und der Buchreihe „Arbeit, Demokratie und Geschlecht“, Westfälisches Dampfboot.


Veröffentlichungen:
  • Scheele, Alexandra: „Gender: a relevant element of management culture? Equal opportunities between diversity management, regulation and ‚good will'“. In: Bulletin of Comparative Labour Relations 67/2008: Challenges of European Employment Relations. S. 117-132.
  • Scheele, Alexandra: Arbeit als politisches Feld. Politikwissenschaftliche Perspektiven für die feministische Arbeitsforschung. [Arbeit - Demokratie - Geschlecht Band 6]. Münster 2008.
  • Scheele, Alexandra: Organisation und Geschlechterkultur. Ist Diversity Management ein geeignetes Instrument zur Realisierung betrieblicher Gleichstellung? In: Benthin, Rainer / Brinkmann, Ulrich (Hg.): Unternehmenskultur und Mitbestimmung. Betriebliche Integration zwischen Konsens und Konflikt. Frankfurt/Main. New York 2008, S.121-146.
  • Hoecker, Beate / Scheele, Alexandra: Feminisierung der Politik? Neue Entwicklungen und alte Muster der Repräsentation. Schwerpunktheft der Femina Politica. Leverkusen 2/2008.
  • Scheele, Alexandra / Lepperhoff, Julia / Rüling, Anneli: Von Gender zu Diversity Politics? Politikwissenschaftliche Perspektiven. Schwerpunktheft der Femina Politica. Leverkusen 1/2007.
Weiterführende Literatur:
  • Hoecker, Beate (Hrg.): Handbuch politische Partizipation von Frauen in Europa. Band I: Die Mitgliedsstaaten. Oplanden 1998.
  • Hoecker, Beate / Fuchs, Gesine (Hrg.): Handbuch Politische Partizipation von Frauen in Europa. Band II: Die Beitrittsstaaten. Wiesbaden 2004.


erstellt von Administrator zuletzt verändert: 10.08.2010 10:09