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"Gender Pay Gap Netto – Steuern als Faktor der Entgelt(un)gleichheit"

Gender Lecture mit Ulrike Spangenberg am 08.12.2008 im Rahmen des Schwerpunktthemas "Wert von Arbeiten"


Die Diskussion um den Gender Pay Gap befasst sich vor allem mit der Differenz der Bruttoeinkommen von Frauen und Männern. Die Differenz der Nettoeinkommen, also Brutto nach Abzug von Sozialversicherungsabgaben und Steuern, wird demgegenüber selten thematisiert. Auswertungen der österreichischen Lohn- und Einkommensteuerstatistik zeigen, dass die Einkommensbesteuerung dort die Bruttoeinkommensdifferenzen verringert. Grund dafür ist der progressive Steuersatz. Und in Deutschland? Verstärkt oder verringert das deutsche Einkommenssteuerrecht den Gender Pay Gap?

Ulrike Spangenberg, Stipendiatin der Hans Böckler Stiftung und Expertin im Steuerrecht, erläutert in ihrem Vortrag die durch die Konstruktion des deutschen Einkommensteuerrechts entstehenden Ungleichheitswirkungen für Frauen und Männer. Sie befasst sich dabei beispielhaft mit dem Lohnsteuerverfahren für verheiratete Arbeitnehmende und der Förderung der betrieblichen Altersvorsorge über das Steuerrecht.

Wie in Österreich gilt auch in Deutschland: Je höher das zu versteuernde Einkommen, desto höher ist der Anteil des Einkommens, der versteuert werden muss. Dieser so genannte progressive Steuertarif kann also Einkommensdifferenzen verringern.

Ergebnisse eines Forschungsprojekts für das Bundesministerium für Arbeit und Soziales aus dem Jahr 2007 zum Thema „Zusammenhang zwischen Steuerlast und Einkommensverteilung“ zeigen unterschiedliche Effekte des progressiven Steuertarifs auf. Der progressive Steuertarif in Deutschland sei grundsätzlich ungleichheitssenkend. Gleichzeitig wirken sich die Steuerentlastungen überproportional für hohe Einkommen aus und wirken dadurch einem Ausgleich entgegen.
Wird die Differenz der Bruttoeinkommen zwischen Männern und Frauen (Gender Pay Gap) durch die Einkommensbesteuerung also noch verstärkt? Spangenberg führt aus, dass eine eindeutige Aussage hierfür infolge fehlender geschlechterdifferenzierter Daten bzw. Auswertungen der Lohn- und Einkommensteuerstatistik erschwert ist.

Geschlechterdifferenzierte Auswertungen sind bislang lediglich in der Steuerstatistik für abhängig Beschäftigte, der Lohnsteuerstatistik zu finden. Pauschal berechnet verstärkt der Abzug der Lohnsteuer die Einkommensdifferenzen von Frauen und Männern. Auswertungen des Sozioökonomischen Panels für das Jahr 2003 zu Brutto-Netto-Einkommen bestätigen diese pauschale Berechnung: Die Differenz zwischen Brutto- und Nettolohn bei Frauen und Männern steigt. Vor Allem bei Angestellten und Verbeamteten fällt die relative Höhe des Einkommens von Frauen nach Abzug von Steuern (und Sozialabgaben) niedriger als das Einkommen der Männer aus. Ähnliche Wirkungen dürfte auch die Verdienststrukturerhebung zeigen.

Spangenberg stellt beispielhaft anhand der Lohnsteuerklassenkombination III/V und der Steuerentlastungen zur Förderung der privaten und betrieblichen Altersvorsorge die Verteilungseffekte der Einkommensteuer dar. Das Steuerrecht, so Spangenberg, knüpft an bestehende Ungleichheitsstrukturen, insbesondere die Bruttoeinkommensdifferenzen und deren ursächliche Faktoren an und steht damit einer Verringerung der Bruttolohndifferenzen entgegen. Damit verfestige das Steuerrecht bestehende Ungleichheiten bzw. kann diese noch verstärken.

Die Lohnsteuerklassenkombination III/V wird überwiegend von verheirateten Paaren gewählt, wenn die Eheleute unterschiedlich viel verdienen. Vor allem die Verteilung der Freibeträge in den Steuerklassen III und V bewirkt, dass das niedrigere Einkommen höher besteuert wird als das höhere Einkommen. Die Person mit dem geringeren Einkommen trägt einen Teil der Lohnsteuer der anderen Person mit. Damit verstärkt sich die Differenz der Bruttoeinkommen bei den Nettoeinkommen. Diese Differenz wird auch nicht automatisch am Ende des Jahres ausgeglichen. Folgendes Beispiel verdeutlicht den Effekt: Bei einem Bruttogehalt von 1.250 Euro in der Steuerklasse V fallen Steuern in Höhe von 324 € an. Bei dem höheren Gehalt von 2500 € in Steuerklasse III fallen dagegen nur 136 € an. Aufgrund der geringeren Einkommen, bedingt durch geschlechtsbezogene Erwerbsmuster oder die Segregation des Arbeitsmarktes sind in der Regel Frauen diejenigen, die ein geringeres Einkommen haben und deshalb in der Lohnsteuerklasse V veranschlagt und überproportional belastet werden.

Im Jahr 2010 wird ein neues Verfahren zur Berechnung der Lohnsteuer von verheirateten Paaren eingeführt (Faktorverfahren). Das Verfahren vermeidet, dass die Person mit dem geringeren Einkommen stärker belastet wird. Allerdings wird das Faktorverfahren lediglich als Option zu III/V eingeführt, der beide Eheleute zustimmen müssen.

Auch Art und Höhe von Steuerentlastungen beeinflussen die Höhe des Nettoeinkommens. Auswertungen der Einkommensteuerstatistiken aus Österreich zeigen, dass Männer Steuerentlastungen überproportional in Anspruch nehmen und höhere Aufwendungen gelten machen. Aufgrund der höheren durchschnittlichen Einkommen vervielfältigen sich diese Entlastungen durch den progressiven Steuersatz. Für Deutschland lässt sich zeigen, dass z.B. die steuerliche Förderung der betrieblichen Altersvorsorge überproportional Männern zu Gute kommt. Zum einen fällt die Höhe der Einzahlungen in betriebliche Altersvorsorgefonds aufgrund von geschlechtsbezogenen Erwerbsmustern bei Männern höher als bei Frauen aus, da ein hoher Anteil der Frauen teilzeitbeschäftigt ist, eine geringere Entlohnung erhält oder häufiger Erwerbszeiten durch Kinderbetreuung unterbricht. Damit fallen auch Steuerentlastungen unterschiedlich aus, die an Einkommen oder Erwerbszeiten anknüpfen. Zum anderen hängt die Möglichkeit, Steuerentlastungen in Anspruch zu nehmen, vom Zugang zu betrieblichen Altersvorsorgesystemen ab. Hier gibt es geschlechtsbezogene Unterschiede.
  • Eine betriebliche Altersversorgung bieten im Besonderen große Betriebe ab einer Größe von 1000 Beschäftigten an. Frauen sind häufiger in kleinen Betrieben beschäftigt.
  • Betriebliche Altersversorgungen werden überwiegend im produzierenden Bereich angeboten. Im Dienstleistungsbereich, in dem vornehmlich Frauen beschäftigt sind, sind diese seltener zu finden.
Auch vom Übergang zur so genannten nachgelagerten Besteuerung, also der Besteuerung der Alterseinkünfte profitieren vor allem hohe Einkommensgruppen.

Abschließend wies Ulrike Spangenberg darauf hin, dass die Verteilungseffekte von Steuerentlastungen nicht nur geschlechtsbezogen wirken. Beispielsweise haben auch Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland oft einen geringeren Verdienst und sind weniger in sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnissen beschäftigt, an die z.B. die steuerliche Förderung der Riesterrente anknüpft. Studien aus den USA zeigen, dass Steuerentlastungen z.B. auch aufgrund von unterschiedlichen Siedlungsstrukturen oder Zugang zu Eigentum zu Gunsten einer Bevölkerungsgruppe – in den USA zu Gunsten der weißen Bevölkerung – ausfallen können. Im Hinblick auf weitere Benachteiligungsdimensionen potenziert sich in Deutschland allerdings das Datenproblem.

In der anschließenden Diskussion erläuterte Spangenberg noch mal das aktuell verabschiedete Alternativverfahren zur Lohnbesteuerung verheirateter Paare, das so genannte Faktorverfahren. Inwieweit das Faktorverfahren eine Alternative zu III/V und einen wirklichen Schritt hin zu einer Individualbesteuerung darstellt, bleibt abzuwarten. International wird Deutschlands Steuersystem besonders für das Ehegattensplitting kritisiert. Dessen Auswirkungen nehmen vor Allem negativen Einfluss auf die Beschäftigung von Frauen.

Des Weiteren kam die Frage nach der steuerlichen Anerkennung unbezahlter Arbeit auf. Auf den ersten Blick ist die steuerrechtliche Bewertung unbezahlter Arbeit schwierig, da das Steuerrecht nur auf dem Markt erzieltes Erwerbseinkommen berücksichtigt. In der Literatur wird aber darauf hingewiesen, dass z.B. die Absetzbarkeit erwerbsbedingter Kinderbetreuungskosten implizit wie eine Besteuerung privater Eigenbetreuung wirkt. Spangenberg wies darauf hin, dass im deutschen Einkommensteuerrecht unbezahlte Arbeit in besonderen Fällen eine implizite steuerrechtliche Berücksichtigung finde, deren Wirkungen kritisch zu betrachten seien: z.B. bei dem Betreuungsfreibetrag für Kinder. Der Freibetrag kommt allerdings nur der Einverdienstehe zu Gute, denn nur dort kann eine Person unbezahlt Kinder betreuen, während die andere Person ein Einkommen erzielt und den steuerlichen Freibetrag geltend machen kann. Zudem kommt die Steuerentlastung für die unbezahlte Arbeit nicht der betreuenden Person, sondern der erwerbstätigen Person zu Gute. Dies ist meist der Ehemann.

Hier finden Sie die Präsentation von Ulrike Spangenberg als PDF-Datei.

Weitere Informationen zur Vortragenden

Ulrike Spangenberg promoviert zurzeit als Stipendiatin der Hans-Böckler-Stiftung am Beispiel von Steuerentlastungen zu mittelbarer Diskriminierung im Einkommensteuerrecht. Sie ist freiberuflich als Beraterin für Gleichstellungsrecht, Gender Mainstreaming und Gender Budgeting tätig.
Mit geschlechtsbezogenen Wirkungen des Steuerrechts und der Umsetzung von Gender Mainstreaming in steuerrechtlichen Gesetzgebungsverfahren befasst sie sich seit 2001 in unterschiedlichen Projekten. U.a. war sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin der HWP am Beratungs- und Forschungsprojekt des Bundesfinanzministeriums „Familienförderung und Gender Mainstreaming“ beteiligt.
Sie ist Mitglied der Bundesinitiative Gender Budgeting (BiGBudget), des Expertinnen-Netzwerks Gender Mainstreaming Experts International (GMEI), sowie der Kommission des Deutschen Juristinnenbundes „Recht des sozialen Sicherung und Familienlastenausgleich“.

Veröffentlichungen zum Thema

  • Prof. Prof. Dr. Gisela Färber, Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer (DHV): Gleichstellungsaspekte beim Lohnsteuerkartenverfahren, Vortrag auf der Fachtagung "Gleichstellungsorientierte Folgenabschätzung & Wirkungsanalysen – Beispiele und Erfahrungen" des GenderKompetenzZentrums, 10.April 2008
erstellt von Administrator zuletzt verändert: 07.09.2010 11:59