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"Geschlecht, Gender und Politik... eine kritische Bilanz der Parität"

Gender Lecture des GenderKompetenzZentrums mit Catherine Achin am 05.11.2008, in Kooperation mit dem Centre Marc Bloch


Die päritätische Repräsentation von Frauen und Männern im aktiven politischen Leben sollte das Gleichstellungsgesetz fördern, das 2000 in Frankreich verabschiedet wurde. Welche Effekte das Gesetz hatte, bilanzierte die Politikwissenschaftlerin Catherine Achin von der Universität Paris VIII in dieser Gender Lecture.



Zunächst erläuterte sie die Gründe für die lange bestehende Unterrepräsentanz von Frauen, erläuterte dann die die Auswirkungen des Gleichstellungsgesetzes und zeichnete dann nach, wie Geschlechternormen und Stereotype in den Wahlkämpfen benutzt wurden.

Achin konstatierte, dass es erstaunliche Unterschiede zwischen Deutschland und Frankreich in der Frage gibt, wie Frauen in der Politik vertreten sind. So gelten deutsche Frauen gemeinhin als „weniger emanzipiert”, sind aber dennoch generell mehr in der Politik vertreten als französische Frauen. Verschiedene Gründe tragen laut Achin zu dieser Unterrepräsentation von Frauen in den französischen politischen Gremien bei:

Erstens ist die paradoxe Beziehung zwischen Staatsbürgerschaft und Gender zentral zentral, die die Historikerin Joan W. Scott (1996) herausgestellt hat. Es herrsche seit der französischen Revolution ein ”widersprüchlicher Universalismus”: zum einen gebe es im französischen Republikanismus eine geschlechtslos-individualistischen Vorstellung „des Staatsbürgers”, die jedoch faktisch immer männlich gewesen ist. Zum anderen gab es eine Denktradition der „sexuellen Differenz”, in der Geschlechterunterschiede im Gegensatz zu Gleichheitsforderungen positioniert wurden. Auch dass das Frauenwahlrecht in Frankreich erst 1944 erreicht wurde, hänge, so Scott, mit dieser Tradition zusammen.

Zweitens existieren Wahlregeln, die sich ungünstig auf die Repräsentation von Frauen auswirken. Besonders ein Mehrheitswahlrecht hemmt die Erneuerung von Mandaten und erschwert den Eintritt von „Außenseiter_innen”. Auch auf Ebene der Parteien existieren Prozesse des Ausschlusses.

Zum dritten ist es hilfreich, so Achin, die Beziehung zwischen dem politischen Feld und den Neuen Sozialen Bewegungen der 1970er Jahre, besonders der Zweiten Welle der Frauenbewegung, anzuschauen. Damals war die Politik wenig durchlässig, und die Bewegungen waren nicht interessiert an einer Eingliederung in politische Institutionen – es gab nur wenig Dialog. In der Neuen Frauenbewegung standen sich in Frankreich essentialistische und pragmatische Gruppen gegenüber, wobei letztlich erstere überwog. Die Forderung nach paritätischer Repräsentation von Frauen und Männern in politischen Institutionen wurde von seiten der Frauenbewegung schließlich erst in den 1990er Jahrenerhoben. Grund dafür, warum die Frage dann im Raum stand, war neben internationaler Thematisierung besonders durch die EU auch eine „Krise der Repräsentation”, mit der eine wachsende Distanz zwischen Berufspolitik und Bevölkerung bezeichnet wurde. In langen öffentlichen Debatten wurde die Frage der Gleichstellung damit verknüpft: Eine höhere Frauenrepräsentation sollte als Hilfsmittel gegen Politikverdrossenheit dienen.

Vor diesem Hintergrund, sowie vor dem Hintergrund einer Verfassungsänderung, nach der Art. 1 Förderung des gleichen Zugang von Frauen und Männern zu den Wahlmandaten und -ämtern bestimmt, wurde 2000 das Gleichstellungsgesetz („loi sur la parité“) erlassen. Es verpflichtet auf kommunaler und regionaler Ebene zur paritätischen Besetzung von Wahllisten sowie Gemeinde- und Regionalräten. Ab 2007 sind Exekutivorgane ebenfalls dazu verpflichtet – bislang ist das Bürgermeisteramt zu 85-90% mit Männern besetzt.
Jedoch schien das Gesetz oft nur als „Anregung” verstanden zu werden. Parteien zahlten offenbar lieber die gesetzlich festgelegten Strafen, als Parität zu gewährleisten. Beispielsweise stellte die sozialistische Partei 46% Kandidatinnen auf – jedoch besonders in schwierig zu gewinnenden Wahlkreisen: bei den gewählten Positionen war der Frauenanteil nur noch 26%. Mittlerweile haben Frauen in Gemeinderäten und Regionalräten den Durchbruch erreicht. Gleichzeitig haben sich jedoch Männer oft verschoben in Bereiche, wo das Gesetz nicht gilt, beispielsweise auf eine höhere Ebene: die Generalräte der Departements sind zu 87% männlich.

Neben diesen quantitativen Aspekten zog Achin auch eine qualitative Bilanz. Der Zusammenhang von politischen Rollen und Gender-Normen wird besonders durch die Illusion sexueller und ethnischer Neutralität bestimmt, so ihre These. Wissenschaft und Medien analysieren zwar mittlerweile besonders Männlichkeit in der Bevölkerung, jedoch noch nicht in der Politik. Auf welche Weise wurde Geschlecht als Ressource eingesetzt?

Achin arbeitete drei Perioden heraus. Anfangs, bei den Kommunalwahlen 2001, herrschte eine umfassende „Klammer der Begeisterung”. Auf lokaler Ebene stellten sich alle Parteien hinter das Ziel der Parität, von der vorhergehenden kontroversen Debatte war nichts mehr zu spüren. Alle Parteien nutzten die Bemühungen um Parität zur Eigenwerbung. Geschlecht wurde als zusätzliche Ressource eingesetzt, indem an den Mediendiskurs angeknüpft wurde, dass Frauen „anders” Politik machen. Dabei wurden Gender-Stereotype reaktiviert: Frauen sollten politische Reinheit verkörpern, sie galten als „näher” und als weniger „kalt”. Diese Stereotype zeigten sich sowohl in journalistischen Darstellungen als auch in der Auswahl der Kandidatinnen, wenn beispielsweise erfahrene Frauen durch jüngere, „hübschere” ausgewechselt wurden.

Die zweite Phase von 2002-2006 begann mit dem „Le Pen-Schock”, als 2002 der Präsidentschaftskandidat des Front National den 2. Wahlgang erreichte. Das Interesse für Geschlechterpolitik schwand in linken und in konservativen Parteien. Die Niederlage des Präsidentschaftskandidaten Lionel Jospin wurde mit seiner „bunten Politik”, also dem Eintreten für Gleichstellung und Antidiskriminierung, verknüpft. In der Folge hoben nur wenige Kandidatinnen ihre weibliche Identität hervor und Gender-Fragen wurden re-privatisiert und damit aus dem öffentlichen Diskurs ausgeschlossen. Es kam zu einer Banalisierung des Gleichstellungsthemas in der Selbst-Inszenierung der Berufspolitiker_innen. So schrieben zahlreiche Ministerinnen in dieser Zeit (autobiografische) Bücher mit dem Tenor „als Frau in der Politik ist es nicht leicht”. Zudem wurden aufgrund ihrer geringeren Erfahrungen die neu eingestiegenen Frauen marginalisiert und es gelang ihnen nicht, auf tatsächliche Machtposten zu gelangen.

Die dritte Phase begann mit der Präsidentschafts-Wahl 2007, in der Ségolène Royal als erste Präsidentschaftskandidatin antrat. Damit wurde Parität wieder eine viel diskutierte Frage. Achin zeichnete das Duell zwischen Nicolas Sarkozy und Ségolène Royal unter der Perspektive nach, wie jeweils Weiblichkeit und Männlichkeit inszeniert wurde (vgl. Achin / Dorlin / Rennes 2008). Sarkozy hatte vor dem Wahlkampf eine übertriebene Virilität ins Zentrum seiner Identität gestellt, was Achin mit seinem bekannten Hochdruckreiniger-Vergleich illustrierte.
Demgegenüber versuchte Royal, klassische Stereotype von Frauen in der Politik abzustreifen (beispielsweise eine Sexualisierung, oder das Stereotyp des „Mannweibs”) und eine andere Figur zu erfinden: die Möglichkeit einer neuen weiblichen Figur der Kämpferin, der Staatsfrau.
Nach der Bekanntgabe der Kandidatur Anfang 2007 korrigierte Sarkozy sein vorheriges Image: er gibt sich sensibel und „ent-virilisiert”, also „entmännlicht“ sich. Royals Inszenierung als Politikerin kippt nun in einen „mütterlichen Feminismus”, inszeniert sich als mütterlich und scheint weniger leistungsfähig als vorher.
Nachdem Sarkozy gewählt wurde, nutzte er seine Sexualität verstärkt als politischen Einsatz. Sexualität hatte in der französischen Politik bislang eher der Privatsphäre angehört (z.B. Gerüchte über Ehebruch), während Sarkozy nun Beweise für seine heterosexuelle Leistungsfähigkeit inszenierte. Er versteht Sexualität als genetisches Schicksal, als „Identität, nicht Wahl” (aus seiner Autobiografie 2006, zitiert nach Achin), nutzt sie aber dennoch als politische Ressource. Diese öffentliche Inszenierung wird jedoch nur der Heterosexualität zugestanden – Homosexualität gilt weiterhin als Privatsache. Sarkozy unterscheidet sich in vielen Punkten von vorherigen Präsidenten: Er ist kein Absolvent der Elitehochschule ENA (wie Chirac), kein Held (wie de Gaulle), kein Intellektueller (wie Pompidou oder Mitterrand). Er benutzt nun weiße, virile Männlichkeit, um diese Kapitalstruktur zu überspielen, affirmiert herrschende Strukturen wie gender, sex, race und Klasse und kehrt seine Stigmata um in Ressourcen: Er steht für eine „komplexfreie, populäre Männlichkeit” statt für eine aristokratische, kultivierte Männlichkeit.

Abschließend fasste Achin zusammen, dass mit dem Gleichstellungsgesetz zwar Frauen zahlreich in die Politik eingetreten sind, aber kaum tatsächliche Machtpositionen eingenommen haben. Vielmehr sind sie weiterhin hauptsächlich in weiblich konnotierten Bereichen tätig. Ermutigend sei jedoch, dass damit politische und sexuelle Normen in Frage gestellt worden seien, so dass die universalistische Illusion des „neutralen Staatsbürgers” sich etwas auflöse. Besonders das Feld der internationalen (Berufs)Politik zeige Frankreich deutlich, dass auch Politiker_innen Geschlecht und Hautfarbe haben.

Zur Vortragenden:

Catherine Achin ist Dozentin im Fachbereich Politikwissenschaft der Universität Paris VIII. Sie ist Teil der Forschungsgruppe "Cultures et sociétés urbaines”.
Ihre Arbeitsschwerpunkte sind die Beziehungen zwischen politischer und sozialer Ordnung besonders unter Geschlechterperspektive, vergleichende Soziologie von Institutionen und Soziologie und Ideengeschichte feministischer Bewegungen.
Weitere Informationen und Publikationen finden Sie auf ihrer Homepage.

Quellen


SeSch
 
erstellt von Administrator zuletzt verändert: 10.08.2010 11:04