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„Von 'Rüpeln' und 'Testesteronbomben' und einem 'Engel ... der über Leichen geht' – Geschlechterstereotype im Bundeswahlkampf 2005“

Gender Lecture des GenderKompetenzZentrums mit Dr. Sylka Scholz, Universität Hildesheim, am 10. Dezember 2007 zum Schwerpunktthema „Geschlechterstereotype in Wissenschaft und Gesellschaft“ an der Humboldt-Universität zu Berlin

Die Kandidatur von Angela Merkel hat in der medialen Öffentlichkeit eine Reihe von Irritationen ausgelöst und sie zu widersprüchlichen Berichterstattungen veranlasst, so die These von Dr. Sylka Scholz, die am 10.12.2007 im Rahmen der Gender Lectures einen Vortrag zu Geschlechterstereotypen im 16. Bundeswahlkampf 2005 hielt. Schwerpunkt ihres Vortrags war es, stereotype Sprachbilder und Argumentationen aufzuzeigen, die die erste Kandidatur einer Frau für das Kanzleramt in den Medien hervorrief. Nach einer theoretischen Einführung zur medialen Konstruktion von Politik und Geschlecht, analysierte Scholz Geschlechterstereotypisierungen von Gerhard Schröder und Angela Merkel in der Berichterstattung des Wahlkampfes; zudem untersuchte sie die Bedeutung des Geschlechts für die Wahlchancen.
 

Eingangs verwies Scholz auf die allgemeinen Entwicklungen der letzten Wahlkämpfe, um den Zusammenhang von Politik und Medien darzustellen: Begriffe wie „Mediengesellschaft“, „Mediendemokratie“ oder „Telekratie“ zeigen an, dass die Medien zu zentralen Akteuren im politischen Raum geworden sind. Medien sind nicht nur Transporteure der Politik, sondern sie gestalten den politischen Raum aktiv mit. Sie initiieren Ereignisse wie Meinungsumfragen, sortieren das Berichtenswerte und vermitteln Deutungen über Personen und Inhalte. Auch Wahlkämpfe finden vorrangig in den Medien statt und folgen zunehmend die Logik der Massenmedien. Bereits während des 14. Bundeswahlkampfes 1998 sprach man von einer „Amerikanisierung“, womit im wesentlichen eine Personalisierung von Politik gemeint ist. Die inhaltlichen Programme treten mehr und mehr in den Hintergrund. Politikerinnen und Politiker werden nicht nur als Trägerinnen und Träger politischer Ideen dargestellt, sondern zunehmend als Einzelpersonen in Szene gesetzt – und das auch als Frau und als Mann.

 

Scholz vergleicht den Bundestagswahlkampf 2002 mit dem von 2005. Sie formuliert die These, dass durch eine Kanzlerkandidatin das Geschlecht eine zentrale Bedeutung erlangte: Während Geschlecht im Wahlkampf 2002 mit Schröder und Stoiber überhaupt nicht thematisiert wurde, wurde bei Merkels Kandidatur in mehrerer Hinsicht auf ihre Geschlechtszugehörigkeit Bezug genommen:

  • Äußerlichkeiten Merkels, wie Frisur und Kleidung, spielten eine zentrale Rolle in der Wahlkampfberichterstattung. Auch international belegen zahlreiche Studien, dass Politikerinnen vorrangig über ihr Äußeres bewertet werden.

  • Merkel wurde zur Hoffnungsträgerin und „Modernisiererin/ Erlöserin“ stilisiert. Diese Bilder seien implizit weiblich konnotiert, denn historisch gesehen mussten bspw. schon die Trümmerfrauen das „politische Feld der Männer“ aufräumen.

  • Bei der Berichterstattung über die Kanzlerkandidatin wurde sowohl weibliche als auch männliche Geschlechterstereotype eingesetzt. Männliche Zuschreibungen wie „die Physikerin der Macht“ oder die „Technikerin aus poliertem Stahl“, die „stark“, „rational“ und „kalt“ sei (Der Stern, 9.3.2005) standen gegensätzlichen weiblichen Charakteristika gegenüber, wie „ein Engel von verständiger Güte“ (Berliner Zeitung, 14.9.2005). Die gegensätzlichen Zuschreibungen fanden sich oft in ein und demselben Artikel. Diese Widersprüche ließen sich als „Irritation“ kategorisieren, die zudem noch durch Merkels ostdeutsche Herkunft verstärkt werden, so Scholz.

Durch Merkels Kandidatur zur Kanzlerin richtet sich der mediale Blick zum ersten Mal auch auf die Geschlechtszugehörigkeit des Kanzlers. Männer wurden demgegenüber bisher als Personen geschlechtlich neutral markiert - damit aber wurde Männlichkeit als dominantes Allgemeines gesetzt. Schröder wurde im Gegensatz zum vorherigen Bundestagswahlkampf erst angesichts einer Frau in verschiedenen Porträts explizit als Mann markiert (er sei ein „echter Kerl von ganz unten“, ein „Alphatier“, ein „männlicher Kanzler“, der den „Kampf an sich liebt“ (Berliner Zeitung, 14.9.2005)). Der Journalistinnenbund bezeichnete dieses Phänomen als „Männlichkeits-Outing“. Die Darstellungen Schröders, die auf bekannte männliche Geschlechterstereotypisierungen zurückgriffen, entsprachen dem idealtypischen Bild eines Politikers. Allerdings geriet Schröders „neue Männlichkeit“ auch in die Kritik – zunächst zögerliche Bemerkungen über sein machohaftes Gebaren, dann massive Kritik nach der sog. Elefantenrunde am Wahlabend („Ist Schröder im Caesarenwahn?“ (Bild, 12.10.2005); „Testesteronbombe“, „Rüpel“ (Der Spiegel, 26.9.2005). Nach Scholz neige sich damit die Ära des dominanzorientierten, auf mediale Selbstinszenierung ausgerichteten Politikertypus dem Ende zu. Auch wenn Angela Merkel im Bundeswahlkampf als Vertreterin eines neuen und zeitgemäßen politischen Stils inszeniert wurde, konnte sich dieser neue Politikstil erst mit der Hilfe des Brandenburger Regierungschef Matthias Platzeck etablieren, der ebenfalls wie Merkel als pragmatisch, nüchtern und unideologisch galt.

 

Scholz fragte auch nach den Ursachen der Irritationen um Angela Merkel (vgl. Erfurt/Haase/Roßhart 2007). In den Medien wurde eine Fülle von Widersprüchen erzeugt, indem bei den Darstellungen der Kanzlerin sowohl traditionell männliche als auch traditionell weibliche Geschlechterstereotype angewandt wurden. Die Ursache dafür liege in einer Irritation des 'dualen' Denkens. Durch die widersprüchliche Zuschreibung von gleichzeitig weiblich und männlich werde die Vorstellung, es gebe zwei eindeutige Gruppen, „die“ Frauen und „die“ Männer, irritiert. Verstärkt wurden die Irritationen zudem, weil an Merkels Verhalten und ihren Politikstil in sich widersprüchliche Erwartungen herangetragen wurden. Mit dem Betreten des männlich kodierten Feldes der Politik wurde Merkel an männlichen Maßstäben gemessen. Hierbei wurde immer wieder die Frage aufgeworfen „Kann sie das?“. Dieses Infrage stellen resultierte – auch wenn dies nicht öffentlich ausgesprochen wurde – aus Merkels Geschlechtszugehörigkeit. Wie auch andere Studien belegen, müssen Frauen ihre Kompetenz immer wieder unter Beweis stellen, während Männer vermeintlich durch ihre bloße Geschlechtszugehörigkeit über politische Kompetenz verfügen (vgl. Schaeffer-Hegel bereits 1995). Auch wenn Merkel ihre „männlichen“ Politikfähigkeiten unter Beweis stellen sollte, wurde gleichzeitig von ihr erwartet, dass sie den gängigen Weiblichkeitsbildern entspricht. Hier wird auch von einem „Double Bind“ gesprochen, also von einer paradoxen Erwartung an eine Person. Die männliche Darstellung Merkels führte also zu Irritationen, weil sie die Grundannahme unterlief, Frauen und Männer seien völlig verschieden; die Zuschreibungen weiblicher Eigenschaften führte wiederum zu Irritationen, weil sie in der männlichen Politik fehl am Platz schien. Zudem wurde aufgrund Merkels Geschlechts von ihr erwartet, dass sie Partei für Frauen ergreift – da sich diese Erwartungen nicht erfüllten, führte dies wiederum zu Irritationen. Für die mediale Analyse des Wahlkampfes heißt dies: Obwohl sich Geschlechterzuschreibungen permanent verändern könnten, zeigen sie dennoch eine enorme Beharrlichkeit auf.

 

Abschließend fragte Scholz, welchen Nutzen die Irritationen um Merkel haben könnte. Festgehalten wurde, dass kein anderes Thema in den vergangenen Jahren die Geschlechter-Debatte so stark angeregt habe wie Merkels Kandidatur. Dies verweise auf eine enorme symbolische Kraft, die einer ersten deutschen Kanzlerin innewohne. Offen blieb die Frage, ob Merkels Wahl zur Bundeskanzlerin auch einen Wandel der politischen Kultur mitbringt. Nach Scholz könnten die bestehenden Irritationen die Zuschreibungen von politischer Kompetenz an das männliche Geschlecht – und umgekehrt: die Annahme einer weiblichen politischen Inkompetenz – aufweichen.

 

Schaeffer-Hegel, Barbara u.a. (1995): Frauen mit Macht. Zum Wandel der politischen Kultur durch die Präsenz von Frauen in Führungspositionen, Pfaffenweiler

 

Philine Erfurt, Anja Haase und Julia Roßhart (2007): Mediale Geschlechterkonstruktionen im Bundestagswahlkampf 2005, in: Sylka Scholz (Hrsg.): »Kann die das?« Angela Merkels Kampf um die Macht. Geschlechterbilder und Geschlechterpolitiken im Bundestagswahlkampf 2005 (Reihe: Texte / Rosa-Luxemburg-Stiftung; Bd. 33), Berlin, 25-36.

 
Zur Referentin:
 

Dr. Sylka Scholz, derzeit Gastdozentin für Frauen- und Geschlechterforschung an der Universität Hildesheim, führte mit Studierenden der Gender Studies an der Humboldt Universität Berlin im WS 05/06 ein Forschungsprojekt zur Berichterstattung im Bundestagswahl 2005 durch. Daraus ging 2007 der Sammelband „'Kann die das?' – Angela Merkels Kampf um die Macht. Geschlechterbilder und Geschlechterpolitik im Bundestagswahlkampf 2005“ hervor. Als Soziologin und Kulturwissenschaftlerin sind ihre Forschungsschwerpunkte: Geschlechterverhältnisse in Ostdeutschland und Osteuropa, und theoretische und empirische Männlichkeitsforschung. Sie als wissenschaftliche Beirätin der Zeitschrift für Frauenforschung und Geschlechterstudien tätig, sowie Sektionsrätin in der Sektion Frauen- und Geschlechterforschung der Deutschen Gesellschaft für Soziologie.

 
Wichtigste Publikationen zum Thema:
 
Scholz, Sylka: Männlichkeit erzählen. Lebensgeschichtliche Identitätskonstruktionen ostdeutscher Männer. Münster, 2004.
 

Sylka Scholz (Hrsg.): »Kann die das?« Angela Merkels Kampf um die Macht. Geschlechterbilder und Geschlechterpolitiken im Bundestagswahlkampf 2005 (Reihe: Texte / Rosa-Luxemburg-Stiftung; Bd. 33), Berlin, 2007, 25-36.

 

Scholz, Sylka/ Bereswill, Mechthild/ Meuser, Michael (Hrsg.): Dimensionen der Kategorie Geschlecht: Der Fall Männlichkeit. Münster, 2007.

 

Scholz, Sylka/ Aulenbacher, Brigitte/ Bereswill, Mechthild/ Löw, Martina/ Meuser, Michael/ Mordt, Gabriele/ Schäfer, Reinhild (Hrsg.) ( FrauenMännerGeschlechterforschung. State of the Art. Münster, 2006.

 

Scholz, Sylka/ Schäfer, Eva/ Dietzsch, Ina/ Drauschke, Petra/ Peinl, Iris/ Penrose, Virginia/ Völker, Susanne (Hrsg.): Irritation Ostdeutschland. Geschlechterverhältnisse seit der Wende. Münster, 2005.

erstellt von Administrator zuletzt verändert: 09.08.2010 17:18