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„Die Ehe als Institution? Kritische Anmerkungen zur institutionalisierten Zweigeschlechtlichkeit“

Gender Lecture mit Prof. Dr. Andrea Büchler am 14. Mai 2007 zum Rahmenthema „Familie und Gleichstellung – Einheit oder Widerspruch?“:

Am 14. Mai 2007 hielt Prof. Dr. Andrea Büchler im Rahmen der Gender Lectures des GenderKompetenzZentrums an der Humboldt-Universität zu Berlin einen Vortrag zum Thema „Die Ehe als Institution? Kritische Anmerkungen zur institutionalisierten Zweigeschlechtlichkeit.“ Ausgehend von der Analyse der Kernfunktionen der Ehe diskutierte sie die Ehe als Ort permanenter Inszenierung von Geschlechterdifferenz. Prof. Büchlers zentrale These lautet, dass die Ehe zur Durchsetzung egalitärer Partnerschaftskonzepte wenig geeignet ist.

Zunächst zeichnete Prof. Büchler den historischen Entstehungskontext der Ehe als Institution nach. Die gegenwärtigen Formen der Ehe sind durch romantische Vorstellungen geprägt und durch eine protestantische Sexualmoral in ihrer Funktion verfestigt worden. Die vor der Französischen Revolution vorhandene Allianz zwischen Kirche und Staat definierte die Ehe als einzig gültige zweigeschlechtliche Form des Zusammenlebens. Das Recht der Eheschließung lag in dieser Phase ausschließlich in kirchlicher Hand. Unter dem Einfluss des „Code Civil“, dem französischen Gesetzbuch zum Zivilrecht, wurde die Eheschließung gegen Ende des 18. Jahrhunderts zu einer zivilrechtlichen Angelegenheit und begünstigte die Ziviltrauung gegenüber der priesterlichen Trauung. Die Zivilehe galt nun als einzig anerkannte Eheform. In der Zivilehe verbinden sich die Verständnisse von Ehe und Familie als einem Konstrukt für wirtschaftlich bedingtes Zusammenleben und von einem Garanten für gesellschaftliche Stabilität. In diesem Ehemodell ist die Organisation der gesellschaftlichen Reproduktion zentral, so dass die Ehe als der Ort aufgefasst wird, an dem Familie durch die Geburt von Kindern entsteht.

In der Institution Ehe verfestigt sich das Konzept der Zweigeschlechtlichkeit und die darin eingelagerte Geschlechterhierarchie. Büchlers These ist, dass die Zweigeschlechtlichkeit als ein „historisches Gedächtnis“ in das Konzept der Ehe eingeschrieben ist und über mikro- und makropolitische Prozesse immer wieder aufgerufen und neu erschaffen wird. Die Ehe kann somit als Kernprojekt der Zweigeschlechtlichkeit bezeichnet werden, dessen Hauptaufgabe in der Reproduktion besteht. Über das „Doing Gender“ im Alltagshandeln wird die Zweigeschlechtlichkeit entlang tradierter Geschlechterrollen und darauf basierender Arbeitsaufteilung aufrecht erhalten und permanent rechtlich institutionalisiert. Die Institution Ehe kontrolliert die Reproduktion und die Zweigeschlechtlichkeit und erfordert diese für ihr Bestehen. Die Re-Aktivierung von Zweigeschlechtlichkeit durch die Ehe bleibt jedoch unsichtbar, weil die Ehe keinen Kontext benötigt, sondern selbst der Kontext ist.

Nicht zuletzt rechtspolitisch stellt sich die Frage, ob die Reproduktion der Zweigeschlechtlichkeit innerhalb der Institution Ehe durch eine neue Form der Regelung für gleichgeschlechtliche Beziehungen aufgehoben werden kann. Prof. Büchler suchte Antworten auch mit Blick auf die Institutionalisierung der gleichgeschlechtlichen Partnerschaften in Europa. Sie verdeutlichte, dass sich die rechtlichen Formen zwar angleichen, das aber nur erste Schritte zur Beseitigung von Diskriminierung seien. Ein Erschütterungsmoment in Bezug auf die zweigeschlechtliche Konstruktion der Ehe liegt darin nach Büchler eher nicht. - Im Gegenteil: Ihre These ist, dass die Verrechtlichung der gleichgeschlechtlichen Partnerschaften die Institution Ehe als Reproduktionsgemeinschaft diskursiv massiv gestärkt hat. Schließlich lehnen sich die gesetzlichen Regelungen an das bestehende heteronormative Ehekonzept an, welches die Erfüllung der Reproduktionsaufgabe innerhalb eines zweigeschlechtlichen Systems fordert und als Norm festigt. Demzufolge misst sich ein Regelsystem für menschliche Beziehungen, das sich am Konzept der Ehe orientiert, immer an dem historisch verfestigtem und institutionellen Denken über die Ehe als zweigeschlechtliches Konstrukt. Hingegen würde eine Öffnung der Ehe eine Veränderung der Geschlechterverhältnisse eher ermöglichen.

Schließlich stellte Büchler die Frage, welche Strategien für die Auflösung der normierenden Zweigeschlechtlichkeit innerhalb einer Ehe produktiv gemacht werden können und wie infolgedessen ein Familienrecht der Zukunft aussehen kann. Sie geht dabei von einem gesellschaftlichen Transformationsprozess, nicht aber von einem Wertezerfall aus. Ihre Erwartung ist, dass in einer Gesellschaft, in der eine Pluralisierung von Lebensweisen zu beobachten ist und die Ehe als Institution ihre Wirkungskraft verliert, ein Recht geschaffen werden muss, dass diesen unterschiedlichen Lebensformen gerecht wird. Es fehle eine ,echte' Familienrechtsgesetzgebung, die kinderorientiert gestaltet ist. Das bestehende Familienrecht orientiere sich immer noch an der Ehe und stelle deswegen genau genommen kein wirkliches Recht für Familien dar. Prof. Büchler fordert ein neues modernes Familienrecht, dass den Anforderungen der heutigen vielseitigen Lebensformen gerecht wird. Sie schlägt zwei Aufgabenbereiche vor, an denen sich ein solches Familienrecht orientieren sollte:
  • Familienrecht sollte die Personensicherheit gewährleisten – mit einem Schwerpunkt auf Integrität, Rechte und Sicherheit von Kindern.
  • Familienrecht sollte die finanzielle Sicherheit der Familien gewährleisten und gemeinsame Abhängigkeiten sowie den Ausgleich für private Leistungen regeln.
Dieses neue Familienrecht orientiert sich im Gegensatz zum vorhandenen Familienrecht nicht an der Institution Ehe und damit an der Norm der Zweigeschlechtlichkeit, sondern es rückt die Kinder in den Mittelpunkt und orientiert sich an den vielfältigen Lebenswirklichkeiten von Menschen heute.

In der anschließenden Diskussion ging Prof. Büchler noch einmal auf ihr Konzept des „historischen Gedächtnisses“ ein und betonte, dass die Reproduktionsspirale des in die Institution Ehe eingelagerten historischen Wissens nur durch bessere rechtliche Regelungen verändert werden kann. Nur so seien unterschiedliche egalitäre Konzepte des Zusammenlebens zu garantieren. Die Ehe würde damit perspektivisch wieder zu einer religiösen und privaten Angelegenheit.
Des weiteren wurde das Verständnis von Familie und Elternschaft diskutiert. Büchler erläuterte, dass sich ihre Definition von Familie nicht sozialwissenschaftlich, sondern rechtswissenschaftlich ausrichte. Elternschaft wird nicht als genetische, sondern vorrangig als soziale Elternschaft verstanden. Damit rückt die Übernahme sozialer Verantwortung und die Aufteilung gemeinsamer Aufgaben in einer Beziehung in den Mittelpunkt.

Zur Vortragenden:

Prof. Dr. iur. Andrea Büchler ist seit 2003 Professorin an der Universität Zürich. Sie hat den dortigen Lehrstuhl für Privatrecht inne. Sie studierte Rechtswissenschaften in Basel, wo sie im Jahr 1998 auch promovierte. Mit der Habilitation 2002 erlangte sie die Venia docendi für Privatrecht, Rechtsvergleichung und Gender Law. Seit 2003 ist Prof. Büchler Co-Direktorin des Kompetenzzentrums Gender Studies der Universität Zürich sowie Leiterin des Projektes „Children and Divorce – Current Legal Practices and their Impact on Family Transitions“ im Rahmen des NFP 52 „Kinder, Jugend und Generationenbeziehungen im gesellschaftlichen Wandel“. Ihre Forschungsschwerpunkte sind u.a. schweizerisches und internationales Privatrecht mit dem Schwerpunkt auf Familienrecht, Legal Studies als Cultural Studies und Legal Gender Studies.

Ausgewählte Publikationen:

Kindeswohl und Kinderrechte in der Scheidungspraxis, Soziale Sicherheit CHSS 5/2006, S. 260 - 264 ; L'intérêt et les droits de l'enfant dans la pratique du droit du divorce, Sécurité sociale CHSS 5/2006, S. 260-264 (zusammen mit Heidi Simoni).

Intersexualität, Transsexualität und das Recht. Geschlechtsfreiheit und körperliche Integrität als Eckpfeiler einer neuen Konzeption, in: Queering Gender - Queering Society, Freiburger FrauenStudien, Zeitschrift für interdisziplinäre Frauenforschung, Freiburg 2005, S. 115-140 (zusammen mit Michelle Cottier).

erstellt von Administrator zuletzt verändert: 10.08.2010 09:59