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FußballWM2006

Gender Aspekte zur Fußballweltmeisterschaft 2006


Unter dem Motto „Die Welt zu Gast bei Freunden“ wirbt die FIFA gemeinsam mit dem Ausrichter Deutschland für die Fußball-WM, die vom 9. Juni bis 9. Juli 2006 in 12 deutschen Städten stattfindet. Bei drei Millionen erwarteten Fußballfans ist längst nicht nur die FIFA und der DFB aktiv – Medien, Politik, Sicherheitskräfte und die Tourismusbranche stecken in den Vorbereitungen. Ein Blick auf die Akteure und Teilnehmenden lohnt sich, um ein differenzierteres Bild von diesem Großereignis zu erhalten.
Wer sind eigentlich die Freunde, und wer ist die Welt, bei denen sie in Deutschland zu Besuch sein werden? Wer agiert, organisiert und entscheidet? Wer ist wie in den Medien präsent? Wer nimmt eigentlich wo teil? Und welche Bilder und Werte stecken hinter diesem Ereignis oder werden durch die WM transportiert?

Wer agiert?
Zur WM 2006 werden 32 Mannschaften aufeinander treffen, die ihre Nationen vertreten und im Mittelpunkt des Geschehens stehen. Im Hintergrund agiert der Aufsichtsrat, das Kuratorium und das Organisationskomitee der FIFA, die zum größten Teil aus Männern bestehen: Noch nicht einmal 10% der oberen Entscheidungstragenden, die sich an der Planung zur Ausrichtung, Finanzierung, Sicherheit oder zum Marketing beteiligen, sind Frauen.
Die Strukturen des Profifußballs sind demnach fast ausschließlich männlich geprägte Organisationsformen und in Bezug auf Medienpräsenz, Vorbereitungsaufwand, aufgewendetes Finanzvolumen und Symbolkraft, die hinter dieser (Männer-)Fußball-WM steht, übertrifft sie die Bedeutung der Frauenfußball-WM 2003 bei weitem.


Wer kommt?
Zwar waren bei der Fußball-WM 2002 in Japan fast 50% Zuschauerinnen im Publikum, jedoch ist die deutsche Fußballkultur eher männlich geprägt; bspw. sind nur ein Sechstel der Mitglieder im DFB Frauen. Für die Bundesligaspiele in Deutschland schalten 50 Prozent der Männer, aber nur 18 Prozent der Frauen den Fernseher ein (nach Gebauer 2004); spannend wird nun, ob es zu einem nationalen Großereignis ein ausgeglicheneres Interesse geben wird.
Über die ungleiche Geschlechterverteilung der Fans im Stadion hinaus müssen aber auch soziale Aspekte in Betracht gezogen werden. Wer kann es sich eigentlich leisten, zu Gast in Deutschland zu sein und WM-Tickets zwischen 45 und 600 Euro zu erwerben? Werden manche „Freunde“ aus anderen Ländern und Kontinenten von vornherein wegen fehlender finanzieller Mittel und auf Grund geringerer Mobilität vom gastgebenden Land ausgegrenzt?

Was passiert?
Um Spiele, Informationen und Berichte über Veranstaltungen an die Öffentlichkeit zu bringen, spielen Medien- und Fernsehanstalten eine wichtige Rolle. Auch in den Öffentlich-Rechtlichen Anstalten liegt seit längerem ein Schwerpunkt auf der Berichterstattung zur Fußballweltmeisterschaft. Jedoch gibt es schon jetzt vereinzelte Beschwerden wegen eines Überhangs an Fußballsendungen, wie z.B. von der Autorin Helke Sander, die in einem öffentlichen Brief der GEZ eine Gebührenkürzung androhte. Sie kritisiert darin die Unausgewogenheit an Informationen der Öffentlich-Rechtlichen, die mit dem bestehenden Programm nicht alle gesellschaftlich relevanten Gruppen repräsentieren.

Im Mittelpunkt der Fußball-WM 2006 stehen nicht nur die Länderspiele, sondern es wird für einen Monat lang ein deutschlandweites Großevent geplant, bei dem insbesondere das Thema Sicherheit verhandelt wird. Nach der Erstellung eines nationalen Sicherheitskonzepts des Bundesministeriums des Inneren und einer Sicherheitskonferenz für internationale Zusammenarbeit steht dabei die Prävention von Terror, Fußball-Hooliganismus und Kriminalität im Zentrum. Doch für wessen Sicherheit wird da gesorgt und welche Formen von Gewalt und Bedrohung werden überhaupt wahrgenommen?
Durch einen starken Anstieg der Nachfrage nach sexuellen Dienstleistungen zur WM wird nach Schätzungen des Deutschen Städtetages und anderen Verbänden auch die Zwangsprostitution und der Menschenhandel steigen. Schätzungsweise 40.000 Frauen sollen vorrangig aus Ost- und Mitteleuropa nach Deutschland gebracht werden. Prostitution ist zwar ein umstrittenes Feld, da es auch als selbstbestimmter Weg gewählt werden kann, aber verschiedene Verbände nutzen nun die WM, um auf Probleme wie Zwangsprostitution hinzuweisen. Aktiv sind bspw. der Deutsche Frauenrat mit dem Kampagnenmotto „Abpfiff – Schluss mit Zwangsprostitution“ und das BMI, das gemeinsam mit dem BMFSFJ eine Informationsveranstaltung zu Menschenhandel und Zwangsprostitution veranstaltete. Trotz dessen sehen die Hauptveranstalter DFB und FIFA sowie auch viele Medien keinen Handlungsbedarf, dieses Problem publik zu machen und ihm präventiv entgegenzuwirken. Einflussreiche Institutionen, wie die FIFA oder Fernsehanstalten haben dem bundesweiten Netzwerk und der internen Arbeitsgruppe der Abpfiff-Kampagne, zu dem bspw. auch amnesty international oder die Gewerkschaft der Polizei angehören, bisher noch keine Unterstützung angeboten, um öffentlich Signale zu setzten.


Was wird vermittelt?
Durch Sport, insbesondere Fußballsport, werden gesellschaftliche Leitbilder, Normen und Werte konstruiert. Es werden Praktiken eingeübt, die z.T. im gesellschaftlichen Leben von Bedeutung sind, es widerspiegeln und mitgestalten. Bestimmte Sportarten aktivieren auch Stereotype wie Aggressivität, Durchsetzungsfähigkeit und Kraft als typisch männliche Eigenschaften, so dass Sport immer wieder traditionelle Geschlechterstereotype bestätigen und reproduzieren kann. Fußball als Zuschauersport gilt in Deutschland wie in vielen anderen Ländern auch als Domäne heterosexueller, monokultureller Männlichkeit – es wird auch als eines der letzen Schutzräume und als Stilisierung traditioneller Männlichkeit beschrieben. Sexismus und Homophobie in Stadien sind dabei keine Seltenheit. Diesem Männlichkeitsbild wird zur Fußballweltmeisterschaft eine große Plattform geschaffen.
Wie Fußball und Mann zusammengedacht wird, bringt die Eigenwerbung der Sportschau „Die Pille für den Mann“ zum Saisonstart 2005/2006 auf den Punkt. Und die Diskussion um Frauen als Sportschaumoderatorinnen macht deutlich, dass Frauen im Zusammenhang mit Sport und Fußball bisher noch Irritationen hervor rufen. Vielmehr werden immer wieder ihre Kompetenzen in Frage gestellt und Aussehen und Privatleben diskutiert.
Beim Frauenfußball selbst schlug der FIFA-Präsidenten Sepp Blatter noch vor zwei Jahren vor, die Kleidung von Fußballerinnen zu verändern, um mit knapperen Shorts mehr Sponsoren anzulocken.


Die Wirkungsmacht von Fußball in der Gesellschaft ist nicht zu verleugnen. Fußball ist zu einem großen Wirtschaftsfaktor und einem prägenden Teil der Unterhaltungsindustrie geworden. Er ist nicht nur bei Vielen ein Bestandteil der Populär- und Alltagskultur, sondern dient als nationale Projektionsfläche mit kultureller Wertigkeit auch zur kollektiven Stütze für die nationale Identität. Problematisch ist nun, wenn durch Massenmedien und permanente Informationsbelieferung ein gesellschaftliches Gedächtnis entsteht, bei dem nur ein bestimmter gesellschaftlicher Teil repräsentiert wird. Fußball ist mitnichten das Abbild des gesellschaftlichen Ganzen, es ist nicht Spiegel der Gesellschaft.




Literatur:

Hagel, Antje/Selmer, Nicole/Sülzle, Almut (Red.): gender kicks, Texte zu Fußball und Geschlecht, Koordinationsstelle Fanprojekte bei der Deutschen Sportjugend (Hg.), KOS-Schriften 10, 2005

Hartmann-Tews, Ilse/Gieß-Stüber, Petra/Klein, Marie-Luise: Soziale Konstruktion von Geschlecht im Sport, Leske + Budrich, 2003

Kreisky, Eva/Spittaler, Georg (Hg.): Arena der Männlichkeit, Über das Verhältnis von Fussball und Geschlecht, Campus Verlag, 2006

Offener Brief von Helke Sander zur Gebührenkürzung bei GEZ wegen Überhang an Fußballsendung in Öffentlich-Rechtlichen Anstalten

Goethe Institut Deutschland, Sprechen Sie Fußball?, Online-Heft 02/2004


Zur Zwangsprostitution im Kontext der WM:

Kampagne des Deutschen Frauenrats zur Fußball-WM 2006: „abpfiff – Schluss mit Zwangsprostitution“

Pressemitteilung des BMI zum Runden Tisch zum Thema Menschenhandel und Zwangsprostitution im Zusammenhang mit der Fußball-WM 2006

Schuster, Martina / Sülzle, Almut / Zimowska, Agnieszka: Zu Gast bei Freunden - Die WM und das Bedrohungsszenario "Zwangsprostitution", in: informationszentrum 3. welt (iz3w) Nr 293, Juni 2006, S.4.

Mitrovic, Emilija: Zwangsprostitution? Eine Aufhellung begrifflicher Verwirrungen, in: FORUM Wissenschaft, 2/2006.

Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement EJPD, Koordinationsstelle gegen Menschenhandel und Menschenschmuggel: Auswertung: Zwangsprostitution und Menschenhandel anlässlich der WM 2006 und Empfehlungen für öffentliche Präventionskampagnen vor und während der UEFA EURO 2008 in der Schweiz, 2007.

Weitere Link- und Literaturlisten zu Fußball und Geschlecht finden Sie hier:
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erstellt von Administrator zuletzt verändert: 02.01.2010 20:06