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"Die kulturelle Politik von Hass und Gewalt"

Gender Lecture mit Dr. Jin Haritaworn am 14.12.2009 im Rahmen der Schwerpunktreihe "Risiken und Nebenwirkungen von Gleichstellungspolitik – Zur Herausforderung, Ungleichheiten nicht gegeneinander auszuspielen"

Haritaworn untersuchte in seiner Gender Lecture die Debatte um Hassgewalt, Hassverbrechen und Hasskriminalität. Dieser Diskurs gehe über einfache Fragen von Ein- und Ausschluss hinaus: Er erfindet Probleme von Differenz neu, erzeugt neue Subjektivitäten und Populationen, problematisiert bestimmte Körper, Gruppen und Kieze. Es geht dabei um Bilder und Fantasien von Liebe und Intimität, Vielfalt, und Zivilisation.

Ausgangspunkt ist die Beobachtung, dass ehemals privatisierte und pathologisierte Intimitäten von schwulen, queeren, sexarbeitenden, transgender Körpern mittlerweile verstärkt öffentlich sichtbar sind. Diese Sichtbarkeit erlangen sie oft im Zuge von Gewalt-Kontexten, im Kontext von Hass-Kriminalität; einem Begriff, der sich in Deutschland erst in den letzten Jahren verbreitet hat. Es handelt sich also um die Sichtbarkeit von verwundeten Intimitäten. Diese Fixierung auf Gewalterfahrungen ist verständlich – sie steht im Zusammenhang mit einer unaufgearbeiteten und unbetrauerten Geschichte, in der sexuell und geschlechtlich Unkonforme gewaltsam normalisiert wurden. In schwullesbischen, queeren und Transgender Bewegungen gibt es deshalb das Bedürfnis, diesem Schmerz Ausdruck zu verleihen. Eine „Politik der Wunde“ soll dem durch Hassgewalt erfahrenen Schmerz Anerkennung verleihen. Indem die eigene Verwundung und Verwundbarkeit herausgestellt wird, soll Schmerz in Handlungsfähigkeit und Handlung umgewandelt werden.

Dadurch wird der verwundete Körper dem Anderen, dem Nichtverwundeten näher gebracht, jedoch zugleich distanziert: die mitfühlende Ebene ermöglicht es, sich ausserhalb des Schmerzes zu positionieren, und etabliert einen hierarchisierenden Blick. Es besteht die Gefahr, dass die anscheinend „Nicht-Betroffenen“ sich als stark und souverän verstehen und für die Verwundeten sprechen, weil diese angeblich zu traumatisiert seien, selbst zu sprechen. In der Thematisierung von Verwundungen in den Medien liegt zudem die Gefahr, dass die öffentliche Sichtbarkeit mit geringerer Handlungsfähigkeit einhergeht – wenn beispielsweise sensationalisierend berichtet wird, oder die Opfer selbst in der historischen Tradition von medizinischen oder kriminologischen Blicken in den Bereich des Monströsen gerückt werden. Stereotype Geschlechterbilder besonders von Frauen als passiv und schutzbedürftig und von (oft rassifizierten) Männern als Aggressoren können bestärkt werden, und zu in einer Art „patriarchalem Protektionismus“ führen. Die Quelle der Gewalt wird woanders verortet, und die eigene Rolle in seiner Produktion gerät aus dem Blick. Dies führte teils zu einer Komplizinnenschaft von Feminismen mit der Kriminalisierung von Schwarzen und anderen Männern of Colour.

In Analyse der Hassgewalt-Debatte helfen einige dieser Überlegungen weiter. Zur Verdeutlichung zog Haritaworn Bildbeispiele aus überregionalen Tageszeitungen und Nachrichtenmagazingen sowie schwullesbischen Magazinen aus Hamburg und Berlin heran.

Als Opfer von Hassgewalt werden vor allem schwule Männer dargestellt. In diesem Kontext werden auch unverwundete, glückliche schwule Körper so oft abgebildet wie noch nie. Es sind junge, weiße, schöne, nicht-behinderte und geschlechtskonforme Körper, die abgebildet werden, oft auch in Paaren. Besonders schwule Küsse sind verbreitet als Motiv und auch als politische Aktionsform Kiss-In in sogenannten Problemkiezen. Der schwule verwundbare Körper wird hier zum Symbol einer freien Liebe und Sexualität, mit der sich auch Heterosexuelle identifizieren können. Insofern handelt es sich um eine Ent-Pathologisierung gleichgeschlechtlicher Intimitäten.

Dafür finden sich in den Darstellungen der Täter von Hassgewalt Pathologisierungen migrantischer Intimitäten und Geschlechtsidentitäten. Der homophobe Täter wird stereotyp als jugendlich, männlich, muslimisch, patriarchal, wenig gebildet, unzureichend integriert verortet. Haritaworn analysierte auch einen Videospot, der Bewusstsein über Hassgewalt schaffen soll, und sich dafür der Identifikation mit dem polizeilich-forensischen Blick einer Überwachungskamera bedient. Dadurch trägt er bei zu einer Kriminalisierung der rassifizierten Bevölkerung. Die Darstellung des homophoben Täters greift auf das verbreitete Stereotyp des kriminellen Migranten zurück. Er steht im Zentrum eines wachsenden Wissenskorpus' unter Rückgriff auf Expert_innen und psychologische Erklärungen. Haritaworn bezog sich auf Nikolas Rose's Argument, dass psychologische Diskurse im Neoliberalismus an Bedeutung gewinnen, und dass Persönlichkeitsentwicklung und emotionale Kompetenz Anforderungen an den selbstverantwortlichen Bürger darstellen. Dies stellt die Kontrastfolie dar, vor der dem homophoben Täter „emotionaler Analphabetismus“ oder „Affektverflachung“ diagnostiziert wird. Damit sind die Grenzen für das Verständnis der Gewalt erreicht – sie wird als hasserfüllt verstanden, Homophobie wird zu einem grundauf defizitären Affekt. Damit wird der hasserfüllte Täter zum Gegenstück der liebenden schwulen Körper, die Freiheit und Offenheit symbolisieren. So gerät Homophobie in der Mehrheitsgesellschaft aus dem Blick, mehr noch: sie kann sich den (beispielsweise schwulen) unkonformen Körpern schützend nähern, und sich so als tolerant imaginieren. Toleranz wird hier, unter Rückgriff auf einen Begriff Wendy Browns, zum zivilisatorischen Diskurs. Die Unfähigkeit des migrantischen Täters zur Toleranz bringt „uns“ an die Grenze unserer Toleranz.

Eine wichtige Rolle in der Hassgewaltsdebatte spielt auch der Tatort. Zeitungsartikel, Aktionspläne etc. beginnen oft mit einer Beschreibung der Vielfältigkeit und Weltoffenheit der jeweiligen Metropole oder des Kiezes: Hier dürfte Hassgewalt eigentlich nicht stattfinden. Dadurch wird Sexualität als Zeichen von Vielfalt mobilisiert, und löst Ethnizität als älteres Symbol eines „bunten“ Kiezes ab. Klasse wird jeweils nicht direkt benannt, wobei jedoch besonders Kieze im Fokus stehen, die sich gentrifizieren. Es wird eine Frontstellung konstruiert zwischen kosmopoliten Zugezogenen, die sich eine farbenfrohe Gegend wünschen, und rückwärtsgewandten Alteingesessenen eines „Problemkiezes“, die diese Vielfalt nicht ertragen können. Solche Debatten wurden beispielsweise in Berlin über Kreuzberg und Schöneberg und in Hamburg über St. Georg geführt. Dabei wurden Strategien zur Steigerung der „Attraktivität des Kiezes“ vorgeschlagen. Die Gewalt-Erzählung schreibt sich somit in Narrative der Kiez-Verschönerung ein, der Migranten im Weg ständen. Gleichzeitig werden ehemals perverse Intimitäten respektabel – im Zuge der Forderung nach verstärkter Polizeipräsenz im Kiez und nach Verteidigung durch die Politik, wie auch im Zuge der Forderung nach selbstbewusster Militarisierung und danach, „auch mal zurückzuschlagen“. Wenn dabei militärische Bilder und Gesten genutzt werden, wie jüngst in einem Fotoshooting eines Berliner schwullesbischen Magazins, kann es nicht einfach als subversiv oder ironisch verstanden werden. Denn es steht in einem problematischen Kontext der Unterstützung von „Muslim-Tests“ und des „Kriegs gegen den Terror“ durch schwullesbische Organisationen. Dies wird in Großbritannien, den USA, aber auch in Deutschland als Homonationalismus und „gay imperialism“ kritisiert. Angst und Gefahr wird in Verbindung mit ethnifizierten Körpern gebracht. Indem Ressentiments auf Migrant_innen projiziert werden, gelingt schwullesbischen Subjekten die Integration in die Nation. Auf diese Art, bilanzierte Haritaworn, hat die dargestellte „Politik der Verwundung“ Teil an hegemonialen Machtprozessen wie Heteronormativität, Rassismus , Überwachung von Innenstädten, Verdrängung armer und ethnisierter Bewohner_innen.

In der lebhaften Diskussion ging es unter anderem um die Interpretationen des vorgestellten Bildmaterials. Ist die Nutzung militärischer oder militanter Gesten nicht ambivalenter zu bewerten? In ihnen stecke schließlich auch Handlungsfähigkeit; Bilder seien meist komplex und selbstwidersprüchlich. Zudem wurde diskutiert, wie der Toleranz-Diskurs migrantische Communities teile. Es werde immer eine Positionierung des entweder/oder verlangt, und am meisten Gehör fänden diejenigen migrantischen Organisationen, die sich identisch zum rassistischen Diskurs positionieren, jedoch als „authentische“ Stimme. Gefragt wurde, welche Schlussfolgerungen für politische Strategien aus der Analyse gezogen werden können. Wie ist beispielsweise der Begriff der „milieubedingten“ Homophobie zu verstehen – vermeidet er die problematische Ethnisierung, oder ist er nur eine ausweichende Umschreibung dafür? Ebenfalls Thema war, wie sich zum einen Diskurse wie der um Hassgewalt, zum anderen kritische Diagnosen wie „gay imperialism“ transnational verbreiten. Inwiefern sie jeweils übertragbar sind, ist immer auch eine Frage der spezifischen nationalen Geschichte und Kontexte. So sind durchaus unterschiedliche Verknüpfungen feststellbar zwischen den Ethnisierungen beispielsweise von Sexismus, Homophobie und Antisemitismus.


Zum Vortragenden

Dr. Jin Haritaworn ist LSE Fellow in Transnational Studies am Gender Institute der London School of Economics and Political Science und promovierte zum Thema „Thai Multiracialities in Britain and Germany: An Intersectional Study”. Seine Forschungsschwerpunkte liegen zwischen Soziologie, Cultural Studies, Gender, Sexuality und Critical Race Studies.
erstellt von Administrator zuletzt verändert: 05.08.2010 10:37