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"Abgefederte Risiken und erstrebte Nebenwirkungen. Gleichstellungspolitik, die Differenz befördert – ein Paradox?"

Gender Lecture mit Dr. Antke Engel am 7.12.2009 im Rahmen der Schwerpunktreihe "Risiken und Nebenwirkungen von Gleichstellungspolitik. Zur Herausforderung, Ungleichheiten nicht gegeneinander auszuspielen"


Verschiedene Ungleichheiten zu beachten und der Komplexität von Ungleichheitslagen und Diskriminierungserfahrungen gerecht zu werden, ist immer auch mit einer Darstellungsproblematik verknüpft. Deshalb analysierte Engel im Vortrag konkrete Beispiele textueller und visueller Repräsentation von Webseiten gleichstellungspolitischer Institutionen. Wie wird „Differenz“ zum Ausdruck gebracht? Was wird unter „Diversity“ verstanden? Wie wird mit Machtverhältnissen und Ungleichheiten umgegangen?

Zum Einstieg präsentierte Engel Bilder gleichgeschlechtlicher Lebensformen, und arbeitete zwei verschiedene Modelle heraus: Zum einen eine Minderheiten- oder multikulturelle Politik, zum anderen Diversity-Politik. Ersteres zeichnet sich durch klare Differenzmarkierungen distinkter Gruppen (z.B. über das „Anderssein“ von homosexuellen Jugendlichen) sowie durch die additive Reihung verschiedener Ungleichheitsmerkmale aus. Dies sei in den Darstellungen der Münchner Koordinierungsstelle für gleichgeschlechtliche Lebensweisen und dem Berliner Fachbereich Gleichgeschlechtliche Lebensweisen der Landesstelle für Gleichbehandlung – gegen Diskriminierung erkennbar.

Die Diversity-Politik demgegenüber erläuterte Engel anhand des Beispiels des Ministerium für Generationen, Frauen, Familie und Integration (MGFFI) des Landes Nordrhein-Westfalen. Das Bild einer harmonischen, intimen Verbindung einer Schwarzen und einer weißen Frau, das dort den Themenpunkt „Integration“ illustriert, leiste verschiedene Adressierungen gleichzeitig: es könne sich an Lesben richten als Repräsentation eines Frauenpaares gelesen werden, sowie auch an ein migrantisches Publikum, das sich aufgefordert sehe, seine Toleranz gegenüber Homosexuellen zu beweisen. Gleichzeitig vermeide das Bild Stereotypen und Provokationen, und stelle homosexuelle Intimität „schön kuschelig und nicht zu explizit“ dar. So werde zwar einerseits eine Komplexität von Differenzen sichtbar, jedoch werden gleichzeitig Ungleichheitsverhältnisse entnannt und eine Integration in eine „tolerante, pluralistische“ Mehrheitsgesellschaft gefordert.

Auf der Textebene wird Bezug genommen auf Diskriminierungs- und Gewalterfahrungen und entsprechend höheren psychosozialen Beratungsbedarf, was im Bild so nicht repräsentiert wird. Der viel stimmigere mögliche Bezug des Bildes auf gleichgeschlechtliche Familien wird jedoch im Text nicht aufgegriffen. Dadurch werden LGBTI-Lebensformen (lesbisch, schwul, bisexuell, transgender, intersexuell) nicht als gleichwertige Alternativen zu heteronormativen Familien dargestellt. Migrantische Communities werden gleichzeitig unterschieden in diejenigen, die sich einem toleranten Integrationsparadigma verschreiben und diejenigen, die sich verweigern. Dadurch werden verschiedene minorisierte Communities auf ein Differenzverständnis eingeschworen, das die Partizipation in gesellschaftliche Verhältnisse verspricht, sofern der normative Rahmen der Mehrheitsgesellschaft anerkannt wird.
Dazu gehört, dass Diversity verstanden wird als individuelle Verschiedenheit, als „kulturelles Kapital“, dessen Potenziale für Leistung und Verwertung genutzt werden sollen. So werden zwar Differenzen anerkannt und einige Ausschlüsse abgebaut, jedoch werden zugleich Ungleichheitsverhältnisse abgesichert.

In einem zweiten Teil untersuchte Engel diese Form von Integration genauer, die sie „projektive Integration“ nennt. Im beschriebenen Diversity-Politik-Modell werden Individuen angerufen, sich flexibel in neoliberale Arbeits- und Konsumverhältnisse zu integrieren, statt sie auf vorgegebene soziale Orte und Nischen festzulegen, wie es eher dem Minderheiten-Politik-Modell entspräche. Interessant ist daran nicht nur, welche Anpassungsleistungen von den zu Integrierenden gefordert werden, sondern auch, wie dadurch die Position der Mehrheitsgesellschaft bestärkt wird. Indem sie die Bedingungen der Integration definiert, und Anerkennung verleihen oder verweigern kann, kann sie sich ihrer „Normalität“ versichern.

Projektion im psychischen und sozialen Sinn kann neben der Abwehr von Differenz auch eine Idealisierung oder positive Besetzung von Differenz meinen. In jedem Fall erfüllt sie für die Projizierenden bestimmte Funktionen. Die beschriebenen Repräsentationen bestimmter Bevölkerungsgruppen dienen als Projektionsflächen, und werden als Inbegriff erfolgreicher, flexibler Individualität aufgeladen. Dadurch wird auch das, was als latent bedrohlich erlebt wird, kontrollierbar und handhabbar. Dies erkläre auch die Beliebtheit bestimmter (stereotyper) Bilder von Schwulen: Sie seien Vorbilder dafür, wie Differenz als kulturelles Kapital zum Einsatz gebracht werden kann, wie Differenz als „bewunderte Besonderheit“ den Zugang zu Integration ermöglichen kann. Vorbildhaft sei gerade, wie dadurch die weiter bestehende Gefahr von Diskriminierung und Gewalt ausbalanciert werden – jeder Einzelne als eigenverantwortlicher Manager von Prekarität. Das neoliberale Versprechen besteht darin, dass Prekarisierungs- und Risikoerfahrungen durch individuelle Praxen zu überwinden seien: sei es durch mehr Leistung, mehr Bildung oder durch Entspannungstechniken.
Durch die projektive Integration entstehen widersprüchliche Verortungen, die auch Individuen aus der Mehrheitsgesellschaft erfassen, Ungleichheitsverhältnisse und Hierarchien werden komplexer und individualisierter. Der Prozess ist dennoch nicht symmetrisch, da die Ressourcen beispielsweise zum Umgang mit Prekarität unterschiedlich verteilt sind.
Mehrfach addressierende Bilder sind geeignet, in diesem Sinne Allianzen zwischen unterschiedlichen sozialen Gruppen zu bilden, und so zu einem breiten Konsens, einer neoliberalen Hegemonie beizutragen.

Diversity-Politik trägt also einerseits zur Wahrnehmung komplexer sozialer Differenzen bei, die jedoch andererseits essentialisiert oder als Effekt individueller Praxen verstanden werden. Damit verbinden sie sich mit einer Politik der Aktivierung der Individuen. Das multikulturalistische Modell, in dem Bevölkerungsgruppen kategorisiert und in Nischen zugeordnet werden, steht dabei als bedrohliche Kontrastfolie bereit: Wenn die Integrationsgeschichte nicht gelingt, wenn das Individuum seine Differenz nicht geschickt genug zum Überwinden von Ungleichheitserfahrungen nutzt, wird Differenz wieder zum Stigma.
Dies gilt auch für die Dominanzsubjekte – was als relativer Begriff verstanden werden muss, besonders da heute im Postfordismus Diskriminierungserfahrungen und hybride Positioniertheiten eher die Regel als die Ausnahme sind. Sich beispielsweise auf dem Arbeitsmarkt als „Träger von Alleinstellungsmerkmalen“ zu positionieren, heisst virtuos Differenz als kulturelles Kapital einzusetzen und die Besonderheit nicht ins Stigma kippen zu lassen.

Diese Diversity-Politik ist besser mit Gleichstellungspolitik vereinbar als das multikulturelle Modell – jedoch unterläuft sie letztlich gleichstellungspolitische Ziele. Und zwar dann, wenn sie soziale Ungleichheit als individuelle Differenz rechtfertigt. Als Beispiel dafür analysierte Engel die Animation, die auf der Seite www.gender-mainstreaming.net die Strategie Gender Mainstreaming erklären soll. Dort werde die Berücksichtigung „unterschiedlicher Lebenssituationen und Interessen“ von Frauen und Männern“ symbolisiert durch Vogelarten und ihre unterschiedlichen Bedürfnissen an Nester. Dadurch wird biologische Geschlechterdifferenz naturalisiert, und der Abbau von Ungleichheit findet keine Erwähnung. Zudem wird die Vogelwelt anthropomorphisiert, und Gleichstellungspolitik aussschließlich mit Familienpolitik und der Gestaltung von „schönen“, „bequemen“, paradiesischen Nestern des Aufgehobenseins assoziert. Dieses Verständnis von Gleichstellungspolitik und Gender Mainstreaming habe wenig mit dem zu tun, was beispielsweise im AGG oder im GenderKompetenzZentrum unter Gleichstellung verstanden wird, nämlich dem Abbau von Benachteiligungen und dem Ziel substantieller Gleichstellung.
In der Animation werde ausgeblendet, dass Differenzen ein Produkt von Machtverhältnissen sind. Die Herausforderung einer anspruchsvoll verstandenen Gleichstellungspolitik sei es demgegenüber, mit der Untrennbarkeit von zwei Aspekten von Differenzen umzugehen: dass sie eben zum einen auf Ungleichheiten basieren, zum anderen Teil individueller Subjektivität sind. Substantielle Gleichstellungspolitik beruht auf dem Recht, nicht diskriminiert zu werden, also eine Differenz leben zu können, ohne dass daraus Nachteile entstehen. Dies bedeute positiv gesprochen die Anerkennung von Differenz. Diese Anerkennung ist eine gesamtgesellschaftliche Frage ist und lässt sich nicht individualisieren.

Abschließend fasste Engel zusammen, was eine substantielle Gleichstellungspolitik umfassen sollte. Erstens müssten in allen gesellschaftlichen Bereichen Ungleichheiten und Hierarchien abgebaut werden. Zweitens müsste dies mit einer Stärkung persönlicher Freiheitsrechte verknüpft werden, und drittens mit einer gerechteren Verteilung von Entscheidungs- und Gestaltungsmacht. Gerade dieser dritte Aspekt gehe über Antidiskriminierungspolitik hinaus, da er eine Verhandlung über die verfolgten Ziele, Grundannahmen und impliziten Definitionen ermöglicht. Beispielsweise könne jenseits der Forderung nach gleichem Zugang zu Bildung thematisiert werden, welches Ziel Bildung verfolgen solle. Für eins so verstandene Gleichstellungspolitik stellen sich insbesondere zwei Herausforderungen: Von Seiten der hegemonialen Politik muss Politik so gestaltet werden, dass die Artikulation von bisher ausgeschlossenen Positionen möglich ist. Von Seiten der Minorisierten muss gleichzeitig politische Entscheidungsmacht reklamiert werden, die über eine lediglich als Integration zu den gegebenen Bedingungen und als Zuwachs an individueller Freiheit verstandene Gleichstellung hinausgeht.

In der Diskussion ging es unter anderem um die Frage, was es heisst, aus einer Minderheitenposition zu sprechen. Dies bedeute nicht unbedingt als Vertreter_in einer Minderheit zu sprechen, sondern stelle eine politische Position dar, die bislang keine Artikulation habe, indem sie beispielsweise als „künstlerisch“, „verrückt“, auf jeden Fall als „unpolitisch“ verstanden werde. Zudem wurden Strategien der Bildpolitik debattiert. So wurde vorschlagen, eher zu versuchen Praxen des Ausschlusses darzustellen, als Vielfalt zu repräsentieren.

Zur Vortragenden

Antke Engel ist promovierte Philosophin, feministische Queer Theoretikerin und freiberuflich in Wissenschaft und Kulturproduktion tätig. Sie leitet das „Institut für Queer Theory“ (Berlin/Hamburg). Zwischen 2003 und 2005 war sie Gastprofessorin für Queer Studies an der Universität Hamburg; von 2007-2009 war sie Research Fellow am „Institute for Cultural Inquiry“ (ICI-Berlin). Jüngste Veröffentlichung: „Bilder von Sexualität und Ökonomie. Queere kulturelle Politiken im Neoliberalismus“ (Bielefeld 2009).

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erstellt von Administrator zuletzt verändert: 10.08.2010 11:10