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Die prekäre politische Repräsentation von Migrantinnen in der Europäischen Union

Gender Lecture mit Dr. Helen Schwenken am 06.07.2009 im Rahmen des Schwerpunktthemas "Mehr als Köpfe zählen? Politische Beteiligung und Gender"


Wie können Migrantinnen die institutionellen Möglichkeiten der EU nutzen, um eine höhere politische Repräsentation zu erreichen? Was bringen die Politiken und rechtlichen Ansätze von 'Gender Mainstreaming’, 'Managing Diversity’ und 'Antidiskriminierung’ Migrantinnen? Welche Dimensionen von Identität und Diskriminierung werden von diesen Konzepten angesprochen? Können multidimensionale Formen der Diskriminierung adäquat bekämpft werden? Arbeiten Migrantinnen-, Frauen- und Homosexuellenorganisationen zusammen oder entsteht eine Konkurrenzsituation? Das waren die Fragen, auf die Frau Dr. Helen Schwenken von der Universität Kassel in ihrem Vortrag „Die prekäre politische Repräsentation von Migrantinnen in der EU“ eingegangen ist. Dabei richtete sich der Schwerpunkt der Betrachtung auf die Drittstaatsangehörigen sowie Personen ohne sicheren oder legalen Aufenthaltsstatus. Genau in der Beteiligung bzw. Nichtbeteiligung dieser Personengruppen spiegelt sich die Problematik der Ein- und Ausschlussmechanismen der politischen Partizipation, die durch die wahlpolitischen Mechanismen und sozialen Bewegungen unterstützt bzw. beeinflusst werden, wider. Die Vertreterinnen dieser Gruppen sind am häufigsten vor die Entscheidung gestellt, welches Diskriminierungsmerkmal sie einbringen: 'Frau oder Migrantin'.

Politische Repräsentation von Migrantinnen in der EU
Die vorhandene politische Repräsentation von Migrantinnen in der EU wird von drei strukturellen Mechanismen beeinflusst: die Repräsentations- und Organisationsmodi der EU-Mitgliedstaaten, die EU-Gleichstellungsprogramme sowie die Anerkennung und Sichtbarkeit von Migrantinnen.

Die vorhandenen Repräsentations- und Organisationsmodi in den EU-Mitgliedstaaten kennzeichnen sich durch ihre Vielseitigkeit. Insbesondere drei der Modi sind besonderes präsent und wirksam. Die Selbstorganisierung von Migranten_innen, die auf lokalen, nationalen und EU Ebenen zu finden ist und die Interessen von Migrant_innen insgesamt vertritt. Dabei findet die Vertretung von Fraueninteressen in diesem Organisationsmodi nur in Untergruppen statt. Unter Mitvertretung werden die Interessensorganisationen der Mehrheitsgesellschaft verstanden, die sich als eine Stimme für die Interessen von Migrant_innen verstehen. Als Beispiel kann die Europäische Frauen Lobby erwähnt werden, bei der relativ wenige Migrantinnenorganisationen präsent sind, aber relativ viel für ihre Interessen getan wird.
Eine direkte oder indirekte Vertretung impliziert der Repräsentationsauftrag öffentlicher Verwaltungen und spezifischen Gremien.

Die Repräsentations- und Organisationsmodi von Migrantinnen und Migranten sind insbesondere von den Zielkonzepten der Staaten beeinflusst worden, die gleichzeitig mit der Hilfekultur des Staats in Verbindung stehen. So zum Beispiel ist in Frankreich Selbstorganisation von Migrantinnen und Migranten nicht gern gesehen, da hier das Zielkonzept 'Inklusion' und die Hilfekultur zu einer Assimilierung ausgerichtet ist. Anders in den Niederlanden, wo von einer Inklusion auf ethnischer Basis bzw. Minorisierung gesprochen werden kann und die Selbstorganisation ethnischer Gruppen sowie die Entstehung von Netzwerken gefördert werden. In Deutschland kann von einer hoheitlich-paternalistischen Exklusionskultur gesprochen werden, bei der Wohlfahrtsverbände ein wichtiges Organisationsmoment darstellen.

Für die politische Repräsentation von Migrantinnen spielen auch die verschiedenen EU - Frauen- bzw. Gleichstellungsprogramme eine Rolle. In allen 6 Aktionsprogrammen der EU (1982-1985, 1986-1990, 1991-1995, 1996-2001, 2001-2005, 2006-2010) wurden die politische und gesellschaftliche Teilhabe von Migranten_innen mal mehr mal weniger mit gedacht und gefördert, trotz einiger Widerstände seitens weniger Staaten. Von enormer Wichtigkeit ist auch der Amsterdamer Vertrag 1997/1999 und hier insbesondere Art.13. Er besagt, dass die Diskriminierungen aus Gründen des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung zu bekämpfen ist und der als Ergänzung zum Art. 12 eingeführt wurde, der bereits die Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verbietet. Im Amsterdamer Vertrag wurde auch die Wettbewerbsfähigkeit von Frauen gefordert. Somit kann von einem Nützlichkeitsanspruch bzw. von einem Marktfeminismus gesprochen werden, bei denen der Markt mit seinen Angeboten als Platz für die Selbstverwirklichung auch von Frauen zu verstehen ist. Und obwohl das Konzept der Marktfeminismus die Möglichkeiten für politische und gesellschaftliche Partizipation von Frauen positiv beeinflussen kann, bleibt immer noch die Frage: welche Konsequenzen es für Migrantinnen haben kann?

Eine dritte Komponente, die auch die Partizipation von Migrantinnen beeinflusst, ist das feministische/frauenpolitische advocacy-Netzwerk bzw. soziale Bewegung in der EU. Das Netzwerk kann mithilfe des 'samtenen Dreiecks' von Woodward beschrieben werden. Dieses ergibt sich aus der Zusammenarbeit von: feministischen Bürokratinnen und Politikerinnen in den Institutionen, die das prozedurale Wissen haben und als Vorreiterinnen des Staatsfeminismus zu verstehen sind; feministischen Wissenschaftlerinnen und Gender-Expertinnen, die das technokratische Wissen und die Expertise liefern; die Frauenbewegungen, Frauen-NGOs und -Netzwerke von denen das 'Zeuginnenwissen' zur Verfügung gestellt und somit die Glaubwürdigkeit der Politiken und Expertisen unterstützt. Fest zu stellen ist, dass es zu einer Verschiebung der Verhältnisse kommt, bei denen die Gender-Expertinnen und somit die Expertisen und das technokratische Wissen immer mehr an Bedeutung gewinnen, und im Gegensatz dazu die Präsenz von Frauenbewegungen und Frauen-NGOs immer weiter sinkt.

Politische und rechtliche Ansätze der Anerkennung von Mehrfachdiskriminierung
Wie kann der oben vorgestellte politische Rahmen genutzt werden und über welche politischen und rechtlichen Ansätze verfügen die EU und die Mitgliedstaaten, um Mehrfachdiskriminierung entgegen zu wirken? Um diese Frage zu beantworten, ist Dr. Helen Schwenken dem Intersektionalitätansatz nachgegangen. Sie hat das Konzept der Operationalisierung der Intersektionalität von Leslie McCall (2005) vorgestellt, das drei mögliche Zugänge zu Intersektionalität bietet. Der erste, der intra-kategoriale Zugang, macht die Unterschiede und Ungleichheiten innerhalb einer sozialen Gruppe sichtbar. Der zweite, der inter-kategoriale Zugang, macht die Unterschiede und Ungleichheiten zwischen sozialen Gruppen sichtbar und ist die dominanteste Herangehensweise der Betrachtung der Intersektionalität in der EU. Diese beiden Zugänge kennzeichnen sich durch starke essenzialistische Ansichten von Geschlecht und Ethniezität aus. Der dritte Zugang, der sich deutlich von den anderen zwei unterscheidet, ist der anti-kategoriale Zugang, dessen Ziel die Dekonstruktion von Kategorien ist. Dieser Zugang zur Intersektionalität wird aber nicht in der EU reflektiert.

Diese unterschiedlichen Zugänge zu Intersektionalität spiegeln sich auch in den politischen Instrumenten und Ansätzen wider, mit dessen Hilfe die Mehrfachdiskriminierung erkannt und entgegengewirkt werden kann. Der erste diskutierte Ansatz von Dr. Schwenken ist Gender Mainstreaming (GM), dessen Prinzip das Einbeziehen beider Geschlechter in allen Politiken ist. Trotz zahlreicher Kritiken und Schwächen, die dem Ansatz zugesprochen werden, wie die mangelnde Verpflichtung und Bindung oder der Beitrag zur Essentialisierung von Differenzen , kann GM auch für die Berücksichtigung von Mehrfachdiskriminierung von Migrantinnen beitragen, indem auch die intra-kategorialen Aspekte erfasst werden und somit GM komplexer gedacht wird. Solch ein komplexes Denken kommt in einzelnen wenigen NGO Projekten zum Vorschein.

Ein anderer Ansatz ist der des Diversity Managements, bei dem es um Anerkennung von Differenzen und Steigerung der Ressourcenkapazität geht. Der Multikulturalismusdiskurs, der sich in dem Diversity - Konzept spiegelt, wird oft in der Lokalpolitik für eine 'neue Verpackung' der Integrationspolitik gebraucht. Somit kann es auf lokalen Ebenen, die sich an der Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit orientieren, von einer Verschiebung von Integrationspolitik zu Diversitypolitik kommen, was dazu führen kann, dass die Genderkomponente dabei verloren geht. Infolgedessen wird an diesem Ansatz kritisiert, dass er die strukturellen Gründe der Ungleichheiten nicht bekämpft, die Differenzen essentialisiert und an Profitmaximierung orientiert ist. Dieser Ansatz kann für die Migrantinnen nur dann von Relevanz sein, wenn er inklusiv ausgericchtet und mit der Antidiskriminierung kombiniert ist; ergänzend mit der Anerkennung der rechtlichen Benachteiligung, der aus dem StaatsbürgerInnenstatus reflektiert.

Der dritte Ansatz, der Anti-Diskriminierung Ansatz, ist aus dem Staatsfeminismus hervorgegangen und richtet sich explizit an den Schutz vor (in-)direkter Diskriminierung und Ungleichbehandlung. Seine Relevanz für Migrantinnen ist jedoch noch unklar, da es bis jetzt keine ausreichenden Erfahrungen mit Mehrfachdiskriminierung gibt. Diesem Ansatz unterliegt auch die Kritik, dass es Ausnahmen und Bereiche gibt, wie z.B. Religionsgemeinschaften, die aus dem Antidiskriminierungskonzept ausgenommen bleiben. Gleichzeitig werden auch die Ursachen der Diskriminierung nicht bekämpft und das Konzept richtet sich ausschließlich an Individualfälle.

Konkurrenz oder Kooperation
Nachdem die politischen Rahmenbedingungen und die Ansätze diskutiert worden sind, stellt sich die Frage der möglichen Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Frauen-, Migrations- und Antidiskriminierungsorganisationen für die Bekämpfung von Diskriminierung. Geht es bei dieser Zusammenarbeit um eine Kooperation oder mehr um eine Konkurrenz? Die politischen Entwicklungen zeigen deutlich, dass es zu einer fortschreitenden Tendenz der Entstehung von „single equality bodies“ kommt, die die Anerkennung und Bekämpfung von Diskriminierungen in einem Gremium zusammenfassen. Diese Tendenz ist aber in Hinsicht auf die Position von Migrantinnen kritikbedürftig, da sie Mehrfachdiskriminierungen nicht berücksichtigen bzw. Konkurrenz zwischen den Diskriminierungsmerkmalen herstellen kann und zu Kürzungen von Ressourcen beiträgt. Eine andere alternative Entwicklung kann die Förderung von Allianzen sein. Die Schwierigkeit solch einer Allianzbildung besteht aber in der Heterogenität der Interessen und politischen Positionen innerhalb der Gruppe der Migrantinnen selbst bzw. zwischen verschiedenen Personengruppen mit unterschiedlichen Diskriminationsmerkmalen und kann auch hier zur Konkurrenz um Ressourcen führen. Infolgedessen kann für die Zusammenarbeit der Organisationen gesagt werden, dass es im Moment um einen 'Konkurrenzkampf um Ressourcen und Hervorhebung einiger Diskriminationsmerkmale zuungunsten anderer' geht.

Zusammenfassend kann für die politische Partizipation von Migrantinnen gesagt werden, dass die in der EU vorhandenen politischen Rahmen sowie Ansätze, wie Gender Mainstreaming, Anti-Diskriminierung und Diversity Management, die politische und gesellschaftliche Teilhabe fördern können. Sie stoßen aber an die Grenzen der hegemonialen Diskurse und repressive Grenz- und Migrationspolitiken in den einzelnen Ländern. Der Erfolg oder Misserfolg der Ansätze ist von der Implementierung, dem Zusammenspiel mit anderen rechtlichen Vorgaben sowie von der Einbettung in politischen Kulturen und Praktiken und nicht zu guter letzt von den vorhandenen Machtverhältnissen in dem jeweiligen Staat abhängig. Schwierigkeiten für eine Zusammenarbeit zwischen Organisationen und für die Bildung von Allianzen zeigt die Vielfalt von Interessen sowie politische Positionen innerhalb der Gruppe der Migrantinnen. Trotz dessen kann die Gender-Komponente als Ressource in institutionellen Kontexte genutzt werden. Um eine adäquate politische und gesellschaftliche Partizipation für Migrantinnen garantieren zu können, soll eine Anerkennung der Relevanz der Selbstorganisierung sowie Beteiligung von Migrantinnen in der Politik gewährleisten werden.


In der abschließenden Diskussion wurde das Konzept des Marktfeminismus diskutiert und die Möglichkeiten, die so ein Konzept für die Partizipation von Migrantinnen eröffnet. Der Referentin nach sind die Selbstorganisationen von Migrantinnen, die sich als progressiv und produktiv erweisen, da sie zu Anerkennung und Umverteilung von Ressourcen beitragen. Es wurden auch die Fragen des Verhältnisses zwischen den Merkmalen soziale Schicht, Gender und Migration diskutiert sowie die Frage der Bürgerschaftsstatus und damit verbundene politische Partizipation. Zum Schluss hat Frau Dr. Helen Schwenken noch Erfahrungen von Migrantinnen aus dem Projekt „migrantas – die visuelle Sprache der Migration“ präsentiert und kommentiert, die davon berichten, das ihre private und politische Repräsentation durch das Gefühl „auf dem gepackten Koffer zu sitzen“ immer wieder gehemmt wird.


Zur Vortragenden:

Dr. Helen Schwenken ist Akademische Rätin im Bereich „Globalisierung und Politik” am FB - Gesellschaftswissenschaften und Mitglied der interdisziplinären Arbeitsgruppe “Frauen- und Geschlechterforschung” an der Universität Kassel. Ihre Arbeits- und Forschungsschwerpunkte liegen in den Gebieten (Arbeits-)Migration, Europäische Union, internationale Geschlechterforschung und soziale Bewegungen. Sie hat 2006 ihre Promotionsschrift zum Thema „Rechtlos, aber nicht ohne Stimme. Politische Mobilisierungen um irreguläre Migration in die Europäische Union” veröffentlicht. Seit dem selben Jahr ist sie im Managementkomitee des „Network of Excellence on Global Governance, Regionalisation and Regulation: The Role of the EU (GARNET)”. Schwenken ist Redaktionsmitglied der Zeitschrift „Peripherie: Zeitschrift für Politik und Ökonomie der Dritten Welt“.

Veröffentlichungen:
  • Schwenken, Helen: Leben in der Illegalität. Band 5 der Reihe „Demokratie“ der Heinrich-Böll-Stiftung. Berlin, 2008.
  • Schwenken, Helen / Basten, Ana: Gender in International Political Economy. Bibliography. GARNET Network of Excellence 2007.
  • Schwenken, Hellen: Rechtlos, aber nicht ohne Stimme Politische Mobilisierungen um irreguläre Migration in die Europäische Union, Bielefeld: Transcript Verlag 2006.

Weiterführende Literatur:

  • Leslie McCall: The Complexity of Intersectionality, in: Signs. Journal of Women in Culture and Society, vol. 30, no. 3, Chicago 2005, S. 1771-1800.

P.D.
erstellt von Administrator zuletzt verändert: 10.08.2010 11:13