Sie sind hier: Startseite Veranstaltungs-, Publikations- und News Archiv Gender Lectures Dr. Regina Frey: „Von Gender (Mainstreaming) zu Diversity ( Management)? Theoretische Fundierung – praktische Implikationen“

Dr. Regina Frey: „Von Gender (Mainstreaming) zu Diversity ( Management)? Theoretische Fundierung – praktische Implikationen“

 

Ist Gender Mainstreaming veraltet? Ist Diversity Management viel umfassender, weil es über Gender hinausgeht? Nicht zuletzt auf diese Fragen ging Dr. Regina Frey am 29. Oktober 2007 in der ersten „Gender Lecture“ im Wintersemester 2007/2008 ein. Ihr Vortrag beschäftigte sich mit der konzeptionellen Frage, ob die Konzepte von Gender und Diversity in einem Atemzug genannt werden können, und inwiefern die darauf basierenden gleichstellungspolitischen Strategien Gender Mainstreaming und Diversity Management verglichen werden können. Liegen sie auf der gleichen Ebene und unterscheiden sich nur nach ihren Anwendungsbereichen? Oder liegt ihr Unterschied schon in den theoretischen Fundierungen?

Ausgangspunkt dieses Versuchs zu strukturieren und zu systematisieren war die Verschiebung von „Gender” zu „Diversity”, die laut Frey aktuell häufig zu beobachten ist. Das ist besonders bedeutsam, da mit diesen Begriffen unterschiedliche Strategien und nicht zuletzt die Verteilung von Ressourcen zusammenhängen. Der Vortrag bestand aus drei Teilen.

Der erste Teil stellt die theoretischen Konzepte von Gender und Diversity vor und betrachtet die Art und Weise, wie sie in der Praxis weiter getragen werden. In der Praxis ist der Trend auszumachen, beide in einem Atemzug zu nennen, beispielsweise als „GenderDiversity” oder als „Gender & Diversity”. Dabei werde meist der Vorwurf formuliert, der Bezug auf Gender allein blende weitere Dimensionen aus. Gleichzeitig wird in den Gender-Studies eine differenzierte theoretische Debatte zu Intersektionalität und den Interdependenzen zwischen den einzelnen Dimensionen geführt, die im Bezug auf „Diversity” meist nicht berücksichtigt wird. Somit kann davon gesprochen werden, dass die beiden Konzepte auf unterschiedlichen Ebenen liegen und verhandelt werden, was Frey detailliert erläuterte.

Gender kann nicht nur verstanden werden als ein Konzept, das die Geschlechterverhältnisse einfach abbildet, sondern – folgt man Judith Lorber, Professorin der Soziologie und der Gender Studies - ist eine Institution, die eine Ungleichheitsordnung markiert. Die Vision läge dann entsprechend in der Überwindung von „Gender“ als existierender Geschlechterordnung. In dieser Doppelung liege ein „Gender-Paradox”, das eine reflexive Praxis z.B. im Gender Mainstreaming nötig macht: Alle, die in Geschlechterpolitik etwas bewirken möchten, müssen sich über die schon in der Benennung liegende Reproduktion von Gender in der eigenen Arbeit bewusst sein.

Diversity ist demgegenüber ein Konzept, das zwei unverbundene Ebenen bezeichnet: Zum einen wird es häufig empirisch-deskriptiv verwendet im Sinne einer existierenden Vielfalt in Organisationen oder der Gesellschaft, zum anderen aber auch im normativ-präskriptiven Sinne, wenn die Anerkennung und Nutzung von Vielfalt als gesellschaftspolitische Zielvorstellung herausgestellt wird. So ist Diversity gleichzeitig Zustands- wie auch Zielbeschreibung, was ein Spannungsverhältnis in dem Konzept selbst erzeugt. Hier zeigt sich, dass Diversity bislang untertheoretisiert ist ( Allerdings gibt es derzeit eine Reihe an Wissensproduktionen, die Diversity theoretisieren – vor allem aus der Tradition der Geschlechterforschung kommend. Hierfür steht zum Beispiel der systemtheoretische Ansatz von Iris Koall und Verena Bruchhagen). Von Seiten der Geschlechterforschung wird zudem kritisiert, dass auf der empirisch-deskriptiven Ebene Gruppen stereotypisiert und homogenisiert werden und auf der normativ-präskriptiven Differenz dramatisiert wird.

Wenn nun beide Konzepte als „Gender & Diversity” parallelisiert werden, verliert Gender in dieser Mischung seinen politischen Gehalt als Bezeichnung von zu verändernden Machtverhältnissen und geht auf in einer Beschreibung eines Soll-Zustands.

Um den Vergleich zu systematisieren, betrachtete Frey zum einen die (implizite) Konzeptualisierung von Gender im Diversity-Diskurs und zum anderen die „Diversity” von Gender. Dabei zeigt sich, dass Gender im Diversity-Diskurs häufig – in einem additiven Verständnis, das schon im „Diversity ist mehr als nur Gender” anklingt - sehr reduziert, dualisierend und letztlich unterkomplex verstanden wird. Demgegenüber haben die Gender Studien einen großen Fundus an theoretischen Konzeptionalisierungen und Ursachenanalysen entwickelt oder aufgegriffen: beispielsweise die postkoloniale feministische Kritik mit Analysen zu Ethnizität, „Rasse“, Kultur und Herkunft oder die queere Theorie mit Analysen zu sexueller „Identität“ oder „Orientierung“ im Zusammenhang mit Geschlechterordnungen. Auch die Herstellung und Wirkungsmodi von Differenzen sind beispielsweise im Streit um Gleichheit und Differenz verhandelt worden. Schließlich wird auch das Verhältnis der Kategorien untereinander als Intersektionalität und Interdependenz diskutiert. Pointiert könnte man deshalb folgern, dass Gender eine „Anreicherung“ durch Diversity nicht unbedingt nötig hat, sondern Gender als Konzept „Diversity“ bereits reflektiert.

Indem Frey Gender als multidimensionales Konzept vorstellte, untermauerte sie diese Behauptung. So könne Gender in vier Bedeutungsdimensionen betrachtet werden, deren Ausprägungen sich jeweils zwischen zwei Polen bewegten:

Bedeutungsdimension Pole
Konkretion materiell konstitutiert:
über Verteilung von Ressourcen etc.
symbolisch konstituiert:
über Normen, Werte etc.
Relationalität geschlossen:
gender steht für sich, weitere Kategorien werden ggf. „addiert“, isoliert betrachtbar
offen:
prinzipiell verwoben mit andern Kategorien, immer interdependent
Situativität / Variabilität stabil:
Struktur, die immer wirkt
dynamisch:
sich permanent verändernde Praxis
Transformativität separativ:
dual, zwei klar getrennte genders
transitiv:
männlich und weiblich in verschiedensten Spielarten zwischen den Polen
multipel:
so viele genders wie Individuen

(Die Tabelle stellt eine stark zusammenfassende Übersicht über verschiedene Stränge der Gendertheorien bzw. –debatten dar. Ausführlich hergeleitet wird sie in Frey 2003: 25ff.).

Bisher ist im Diskurs des Managing Diversity noch wenig darüber nachgedacht worden, welcher theoretische Subtext in der jeweiligen Praxis transportiert wird – aus gendertheoretischer Sicht sind allerdings an bestimmten Konzeptualisierungen von Diversity essentialisierende und dualisierende Effekte kritisiert worden. Statt also pauschal Diversity als „weitergehendes“ Konzept darzustellen, könne der Blick auf Gender-Theorien zur Politisierung, zur Entnaturalisierung und Differenzierung des Konzepts Diversity beitragen, bilanzierte Frey.

In einem zweiten Teil ging Frey den Strategien nach, die auf den beiden Konzepten fußen: Gender Mainstreaming und Diversity Management. Sie skizzierte die Herkunft und historische Entwicklung beider Strategien. Während Diversity Management aus der Antidiskriminierungspolitik im Einwanderungsland USA stamme, sich gewissermaßen als Prophylaxe gegen Schadensersatzklagen in Unternehmen durchgesetzt habe und vor allem über US-Unternehmen seinen Weg nach Deutschland gefunden habe, stamme Gender Mainstreaming aus der feministischen Entwicklungskritik und sei über UN-Institutionen und die Europäische Union nach Deutschland gekommen. Aus der unterschiedlichen Entwicklung resultieren unterschiedliche Reichweiten: Managing Diversity wird in der Regel als Aufgabe des Personalmanagements betrachtet und ist entprechend in den Personal bzw. Human Ressource-Abteilungen der Unternehmen angesiedelt. Gender Mainstreaming hingegen stellt sich in erster Linie als Aufgabe dar, die in allen Sachbereichen relevant ist und verstärkt eine Wirkung nach außen, also in die Produkte einer Institution entfaltet. Personalentwicklung ist im Gender Mainstreaming nur eines von verschiedensten Handlungsfeldern. Dies sei z.B. so auch auf dem Internetportal des GenderKompetenzZentrum abgebildet, das zudem einen Eindruck von den vielfältigen Themenbezügen gibt.

Auch die zur Verfügung stehenden Wissensressourcen der beiden Strategien sind sehr verschieden. So steht Gender Mainstreaming mit Definitionen, Arbeitshilfen, Leitfäden und besonders dem Rückgriff auf die Geschlechterforschung mitsamt ihrer erkenntnistheoretischen Dimension eine Wissensbasis zur Verfügung, der auf Seiten des Diversity Management bislang nichts Vergleichbares gegenübersteht. Durch diese Untertheoretisierung der Grundkonzepte von Diversity Management, so betonte Frey nochmals, bestehe die Gefahr der Stereotypisierung und der Essentialisierung von Identitätskategorien.

Der dritte Teil des Vortrags beschäftigte sich mit den Schlussfolgerungen für die Praxis: Kann ein so genanntes „Diversity Mainstreaming”, wie Judith Squires es vorschlägt, die Lösung sein? Trotz aller berechtigter Kritik, die an Gender Mainstreaming zu üben ist: Aufgrund der konzeptionellen Lücken von Diversity wäre dies bislang nicht wünschenswert. Allerdings ginge es darum, die Akteure und Akteurinnen der beiden Diskurse verstärkt in einen Dialog zu bringen und ein Nachdenken über die Qualität von Managing Diversity und Gender Mainstreaming anzuregen. So wurde eine Debatte über „besseres” und „schlechteres” Gender Mainstreaming beispielsweise durch das Gender-Manifest angestoßen. Entsprechende Impulse wären an die verschiedenen Praktiken des Managing Diversity heranzutragen. Auch ginge es um einen genauen Blick auf die Rahmenbedingungen und Wirkungen der Gender Mainstreaming-Praxis. Denn sowohl Managing Diversity als auch Gender Mainstreaming müssten sich in erster Linie an den von ihnen selbst gesteckten Zielen messen lassen, so Frey.

In der nachfolgenden regen Diskussion ging es unter anderem darum, woher die beschriebenen Defizite des Diversity Management stammen – Warum werden darin Kategorien weniger intensiv reflektiert? Handelt es sich tatsächlich um prinzipielle Unterschiede zwischen den Strategien oder aber um empirische Fragen der Praxis, die auch mit der unterschiedlichen Etabliertheit zu tun haben? Zudem wurde die These in den Raum geworfen, dass die aktuelle Beliebtheit von Diversity Management gerade aus dessen geringer Reichweite, fehlender Transformationsperspektive und harmlos-nettem Klang resultiere. Gleichzeitig wurde jedoch auch hinterfragt, ob die dargestellte Kontrastierung der beiden Strategien tatsächlich zutrifft und letztlich die Qualität der konkreten Praxis viel entscheidender sei als der Begriff, unter der sie auftritt. Einigkeit schien jedenfalls darüber zu herrschen, dass im aktuellen Prozess der Begriffsbildung eine systematisierende Debatte wie diese äußerst hilfreich und anregend ist.


Zur Referentin:

Dr. Regina Frey führt das genderbüro in Berlin. Sie führte und führt Lehraufträge an der Bauhaus-Universität Weimar, der Freien Universität Berlin sowie der Technischen Universität Berlin durch.
Ihre Arbeitsschwerpunkte sind zum einen Forschung, Beratung und Training zur Umsetzung von Gender Mainstreaming und Gender Budgeting als auch die theoretische und wissenschaftliche Fundierung von Gender-Praxis, zu der sie mit ihrer Dissertation „Gender im Mainstreaming - Geschlechtertheorie- und praxis im internationalen Diskurs” (2003) sowie als eine Verfasserin des Gender Manifests Maßgebliches beigetragen hat.
Forschungsprojekte sind zum Beispiel die Studie zu Gender Budgeting in fünf Forschungsprogrammen des Landes Österreich, die Erstellung einer Arbeitshilfe Gender Budgeting für das Bundeskanzleramt Österreich sowie die Studie Gender Mainstreaming in der Regionalentwicklung im Auftrag des Landes Bremen (zusammen mit dem Gender-Institut Sachen-Anhalt).

Initiativen und Mitgliedschaften:
Zum Weiterlesen:
  • Frey, Regina: Zur Kategorie Gender im Managing Diversity. Anforderungen aus Sicht des Genderdiskurses, in: Koall, Iris / Bruchhagen, Verena / Höher, Friederike (Hg.): DIVERSITY OUTLOOKS - Managing Diversity zwischen Ethik, Profit und Antidiskriminierung (Reihe: Managing Diversity, Bd. 6), LIT-Verlag: Münster 2007, S. 128-139.

  • Frey, Regina: Wer hat Angst vor Gender Mainstreaming? Zum transformativen Gehalt einer systemimmanenten Strategie, in: Pates, Rebecca/ Froböse, Ulrike/ Donat, Esther (Hg.): Nie wieder Sex - Geschlechterforschung am Ende von Geschlecht (in Erscheinung).

  • Frey, Regina: Gender im Mainstreaming - Geschlechtertheorie und -praxis im internationalen Diskurs. Königstein/Taunus 2003.
SeSch
erstellt von Administrator zuletzt verändert: 05.08.2010 11:39