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Politiken sexueller Belästigung: Eine vergleichende Studie der Vereinigten Staaten, der Europäischen Union und Deutschland

Gender Lecture mit Prof. Dr. Kathrin Zippel am 23.04.2007:

Rechtspolitisch wird mit sexueller Belästigung weltweit sehr unterschiedlich umgegangen. Prof. Dr. Kathrin Zippel beschrieb diese Situation aus politikwissenschaftlich vergleichender Perspektive. Während in den USA ein starkes Problembewusstsein nicht zuletzt unter Arbeitgebern und in der Rechtsprechung herrscht, sind Gesetze gegen sexuelle Belästigung in Europa noch relativ neu und werden nur zögerlich umgesetzt. Zudem wird das Problem unterschiedlich gewichtet: Schon der Vergleich der Begriffe „sexual harassment” und „sexuelle Belästigung” illustriert, wie trivialisierend und verharmlosend in Deutschland mit dem Thema umgegangen wird. Woher kommen die Unterschiede? Handelt es sich, wie häufig in der Öffentlichkeit behauptet wird, um einen Effekt protestantischer Prüderie, mithin ein amerikanisches Problem? Wird diesseits des Atlantiks, wie es Arbeitgeber gern sehen, einfach seltener belästigt? Diese Erklärungen greifen nicht, wie Zippel in ihren Studien nachweist. Vielmehr liegt die Ursache für rechtspolitische Unterschiede in verschiedenen institutionellen Rahmen, die sich aus jeweils spezifischen Entstehungsgeschichten und Akteurskonstellationen ergeben.

Die Hauptunterschiede zwischen dem US-amerikanischen und der europäischen Herangehensweise lassen sich kurz zusammenfassen: In den USA ist seit den 1970er Jahren ein ausdifferenziertes Recht der Gerichte (case law) entstanden, da schon mit dem Civil Rights Act von 1964 ein – anfangs auf rassistische Diskriminierung abzielendes – Antidiskriminierungsgesetz existierte. Sexuelle Belästigung wurde in dieser Tradition als Geschlechterdiskriminierung verstanden. In den 1990er Jahren erhöhten Fälle mit hohem Bekanntheitsgrad und ausführlicher Medienberichterstattung das Problembewusstsein. Durch diesen Hintergrund sind Arbeitgeber sehr empfänglich für das Thema und haben Vorgehensweise und Fortbildungsprogramme entwickelt.

 

Demgegenüber besteht in Europa ein geringes Problembewusstsein, besonders auch in den neuen Beitrittsstaaten der EU. Arbeitgeber und Gewerkschaften zögern, das Thema anzugehen. Regierungen und Gerichte reagieren langsam; und auch dort, wo mittlerweile Gesetze existieren, werden sie, das hat eine Implementierungsstudie zum Beschäftigtenschutzgesetz für die Bundesregierung gezeigt, nur träge und wenig entschlossen umgesetzt.
Wie aber können die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den europäischen Ländern erklärt werden? Sowohl die Hypothese, dass die Regierungsbeteiligung linker Parteien die Politik gegen sexuellen Belästigung vorantreibe, als auch diejenige, dass eine hohe Frauenerwerbsbeteiligung dafür vorteilhaft sei, erweisen sich als falsch. Vielmehr müssen die politischen Gelegenheiten, die „windows of opportunity“ beleuchtet werden, in denen Soziale Bewegungen Einfluss gewinnen, sowie die institutionellen Arrangements in Form des Rechtssystems, der Arbeitgeber-Arbeitnehmenden-Beziehungen und der institutionalisierten Gleichstellungspolitik. Mit dieser Perspektive lassen sich - so die zentrale Argumentation Zippels – die Unterschiede in den Regelungen und Rechtspraxen analysieren.

Zippel unterscheidet zwischen einem „amerikanischen” und einem „europäischen Modell” der Umgangsweise mit sexueller Belästigung. In Europa fungiert die EU als Katalysator für die Bekämpfung sexueller Belästigung. Sie veröffentlichte in den frühen 1990er Jahren Empfehlungen und Berichte, der eine erste Welle nationaler Gesetzgebung folgte. 2002 trat dann verbindliches Recht in Form der Gleichbehandlungsrichtlinie 2002/73/EG hinzu, womit in den Mitgliedsstaaten eine zweite Welle ausgelöst wurde. Zippel fasst diese Interaktion als „Ping-Pong-Effekt” zusammen, bei dem die EU und die Mitgliedsstaaten jeweils aufeinander reagieren. Treibende Kräfte in diesem Spiel sind transnationale Netzwerke der Zivilgesellschaft, die Debatten anstoßen, Druck aufbauen und Expertise bereithalten. Im „europäischen Modell” wird sexuelle Belästigung als eine Verletzung der Würde definiert. Das erste deutsche Gesetz gegen sexuelle Belästigung (Beschäftigtenschutzgesetz 1994) bestimmte sie zudem als „vorsätzliches, sexuell bestimmtes Verhalten”, womit der Gesetzgeber die Perspektive des Täters übernahm und nicht die des Opfers. Dies wurde erst 2006 mit §3 Abs. 3 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes korrigiert, einem Gesetz, das wiederum erst durch Druck der Europäischen Union zustande kam. Korporatistische Strukturen sowie Partei- und Gewerkschaftspolitik ohne feministische Perspektive standen in Deutschland der gesetzlichen Bekämpfung sexueller Belästigung im Wege. Währenddessen wurde auf europäischer Ebene ein bürokratischer Veränderungsweg begangen. Da schon in den Römischen Verträgen Gleichstellung enthalten ist, hatten transnationale Netzwerke der Zivilgesellschaft mit ihrer Expertise die Möglichkeit, sexuelle Belästigung in die Politik der entstehenden EU einzubringen. So stellten z.B. seit Mitte der 1980er Jahre die britische Organisation „Women Against Sexual Harassment”, die französische AVFT oder die niederländische „Handen Thus” die Expertise bereit, die zum Rubenstein-Report der Europäischen Kommission 1987 führte, was die weitere Rechtsentwicklung der EU mit erklärt.

In den USA hingegen wurde die Veränderung der Rechtslage von den Gerichten und der Equal Employment Opportunity Commission (EEOC) vorangetrieben; das „amerikanische Modell” kann also als rechtlich-anordnend beschrieben werden. Durch das System der gerichtlichen Rechtsgewinnung eröffneten Gerichtsverfahren die Möglichkeit, kontroverse, aber immer auch konkret ge- und erlebte Erfahrungen von Menschen zu artikulieren. Da jeweils nur Richter und Richterinnen, nicht aber ganze politische Parteien überzeugt werden müssen, entstand wesentlich schneller eine Rechtslage gegen sexuelle Belästigung. Zudem wurden nicht die Täter verklagt, sondern die Arbeitgeber, die keine Arbeitsumgebung bereitgestellt hatten, in der sexuelle Belästigung nicht vorkommt. Damit fiel es Gerichten leichter, die betroffenen Frauen zu schützen, da niemand individuell beschuldigt oder gar bestraft werden musste. Somit wurde sexuelle Belästigung zu einem Thema, mit dem sich Arbeitgeber und Personalmanagement beschäftigen müssen.

Während der Kampf gegen sexuelle Belästigung in den USA also auf dem individuellen, wenn auch oft strategisch geplanten und politisierten Rechtsbehelf beruht, sind in Europa - wie in allen Fragen, die den Arbeitsplatz betreffen - die Sozialpartner die zentralen Akteure. Dieses korporatistische „bottom up”-Prinzip impliziert jedoch, dass der Staat relativ untätig bleibt, solange Arbeitgeber und Gewerkschaften ein Thema nicht aufgreifen. Zudem ist auch dann, wenn Gesetze existieren, die Rechtsdurchsetzung auf die Kanäle der Arbeitnehmervertretung angewiesen. Die Dynamik der Implementierung basiert demnach auf dem politischen Willen z.B. der Betriebsräte sowie auf der Konsensbildung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Frauen als mehrheitliche Opfer sexueller Belästigung am Arbeitsplatz sind in diesen Prozessen deutlich unterrepräsentiert; die Kultur gilt als männlich geprägt. In diesem Prozess zeichnet sich eine thematische Verschiebung von sexueller Belästigung zum geschlechterneutralen Mobbing ab.

Abschließend fasste Zippel zusammen, dass institutionelle Arrangements die Möglichkeiten zivilgesellschaftlicher Partizipation wie auch die Wege der Veränderung formen. Erkennbar ist dieser Mechanismus besonders gut an den mehr oder weniger feministischen Definitionen sexueller Belästigung. Aus den bisherigen europäischen Erfahrungen bei der Bekämpfung sexueller Belästigung kann für die Zukunft gefolgert werden, dass beim Vertrauen auf die Sozialpartner allein eine defizitäre Implementierung zu erwarten ist. Staatliche Gleichstellungsgremien könnten – je nach Befugnissen und Ausstattung – ebenso wie individuelle, aber durchsetzbare Rechtspositionen für die Betroffenen eine Verbesserung bewirken.


Die anschließende Diskussion drehte sich um die für Deutschland statistisch dokumentierte hohe Zahl von Frauen, die sexuelle Belästigung erfahren haben. Von Interesse war auch der Unterschied zwischen individueller und kollektiver Artikulation politischer Forderungen in USA bzw. EU. Wenn Kolleginnen sexuell belästigt werden, ist das europäische korporatistische Modell ein Problem für die Konfliktlösung. Zudem wurde der Umgang mit Schadensersatz angesprochen: Auf deutscher Seite werden „immaterielle” Schäden kaum anerkannt, während in den USA der Schadensersatz explizit auch eine strafende Funktion erfüllen soll. Des weiteren ging es um die Implementierung von Maßnahmen gegen sexuelle Belästigung in US-Unternehmen, die Frage der Intersektionalität, also dem Zusammenspiel zwischen geschlechtsbezogener und z.B. rassistischer Belästigung, und um die Vor- und Nachteile der unterschiedlichen juristischen Tatbestandsmerkmale sexueller Belästigung. Auch die Rolle der jüngst eingerichteten deutschen Antidiskriminierungsstelle wurde diskutiert: Damit sie lerne, ihre Funktion zu erfüllen, müsse sie mit Fällen befasst werden.


Zur Vortragenden:

Kathrin S. Zippel ist Assistenzprofessorin für Soziologie an der Northeastern University sowie Affiliate am Minda de Gunzburg Center for European Studies an der Harvard University.

Sie studierte Mathematik und Politikwissenschaft in Hamburg und Soziologie in Ohio, ihren Soziologie-Ph.D. erwarb sie an der Universität von Wisconsin in Madison. Ihre Forschungsgebiete sind unter anderem Sozialpolitik, Geschlechterpolitik, Soziale Bewegungen und Recht. Sie hat zu zum Vergleich von Elternurlaubspolitiken publiziert und beschäftigt sich in einem neuen Projekt mit der Internationalisierung von Wissenschaft und der Mobilität von Forscherinnen und Forschern. Weitere Informationen finden Sie auf ihrer Homepage.

Von ihren zahlreichen Publikationen sei die als Buch veröffentlichte Studie hervorgehoben, auf der der Vortrag basierte:

Zippel, Kathrin S.: The Politics of Sexual Harassment: A Comparative Study of the United States, the European Union, and Germany, Cambridge University Press 2006.


SeSch
erstellt von Administrator zuletzt verändert: 05.08.2010 11:52