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"Demographischer Wandel: Können Frauen und Männer gesund altern?“

Gender Lecture mit Prof. Dr. Adelheid Kuhlmey:

 

Im Rahmen der Veranstaltung „Gender Lectures“ des GenderKompetenzZentrums an der Humboldt-Universität zu Berlin hielt Prof. Dr. Adelheid Kuhlmey am 12.Dezember 2005 einen Vortrag zum Thema: „Demographischer Wandel: Können Frauen und Männer gesund altern?“. Dabei thematisierte sie die Zusammenhänge von Lebensverläufen und Gesundheit in einer Zeit des demographischen Strukturwandels und erläuterte entgegen den Vorstellungen von „Anti Aging“- Debatten den Begriff „Gesund Altern“.

 

Der Demographische Wandel ist derzeit ein häufig diskutiertes Thema, dem es aber an Rollen- und Leitbildern für ältere Menschen mangelt. Die Antwort der hochtechnisierten Welt sind Anti-Aging Kampagnen, die Alter als Zumutung erscheinen lassen. Entgegen diesen Vorstellungen zeigt Adelheid Kuhlmey anhand der drei Leitbegriffe „Alter“, „Gesundheit“ und „Gesund Altern“ Entwicklungen und Thesen auf, die auch Rückschlüsse auf geschlechtsspezifische Differenzen bieten.

    Im Unterschied zum Begriff Alter, einer bestimmten Lebensphase am Ende der menschlichen Biographie, stehe Altern für einen Prozess und für physiologische Geschehen, die sowohl positive als auch negative Veränderungen beinhalten. Alt werden unterscheide sich heute mehr denn je von früher, da Altern heute zum Massenphänomen geworden sei. Demnach können bspw. nach einem Blick auf demographische Prognosen die Hälfte aller heute 60-jährigen 80 Jahre alt, die Mehrheit der heute 30-jährigen 95 Jahre alt und jedes zweite Neugeborene über 100 Jahre alt werden. Dabei beläuft sich derzeit die Lebenserwartungskluft zwischen Männern und Frauen auf sechs bis acht Jahre. Das Phänomen der Hochaltrigkeit beschreibe die massive Zunahme der mittleren Lebenserwartung, sowie der am stärksten wachsenden Alterspopulation der über 80-jährigen. Altern sei heute aber auch deshalb gänzlich anders, weil sich das soziale Alter, bspw. durch eine lange Ruhestandszeit, verändere. Die Lebensphase der älteren und hochbetagten Menschen sei sehr diversifiziert, jedoch gäbe es wenige Rollenbilder für die Zeit nach der Berufstätigkeit. Zu verzeichnen seien heute aber mehr Kompetenzen im Sinne einer besseren Fähigkeit der älteren Menschen zu einem selbstständigen, aufgabenbezogenem und sinnerfüllten Leben. Leider seien nur 39 % der 55 bis 64-jährigen noch erwerbstätig, was zur Folge habe, dass Kompetenzen von vielen Frauen und Männern dieser Altersgruppen nicht mehr abgerufen werden.

Die Frage, ob Frauen und Männer im Alter gesund bleiben können, setzte die Frage voraus, von welcher Gesundheit gesprochen wird, da diese sehr unterschiedlich definiert sein könne. Nach Kuhlmey könne es in alt werdenden Gesellschaften keine Abwesenheit von Krankheit geben, was jedoch nicht zwangsläufig bedeute, dass Lebensqualität verloren ginge. Nach einer Berliner Studie sei der Alltag der heute unter 65-jährigen kaum eingeschränkt und der biologische und funktionale Zustand eines 70-jährigen sei heute so hoch wie eines 65-jährigen vor 30 Jahren. Der Zugewinn von Lebenszeit betrage also fünf Jahre pro Generation. Allerdings sei aber trotzdem ein Ansteigen von psychischen Leiden und Pflegebedürftigkeit zu verzeichnen. Die Wissenschaft streitet hierbei zwischen zwei Thesen: der Kompressionsthese versus der Medikalisierungsthese.

Nach der Kompressionsthese, für die sich die Befunde auf Grund von Präventionspotential häuften, nehmen trotz steigender Lebenserwartung Krankheiten nicht zu. Die Gesundheitsförderung und die Prävention ließen Krankheiten erst in den letzten „Stadien“ auftreten und es werde von „komprimierter Krankheit“ gesprochen.

Dagegen spräche die Medikalisierungsthese von einem Ansteigen der Gesamtmorbidität, indem Lebensverlängerung zwar möglich sei, aber ein Vorausschreiten von Krankheiten nicht vermieden werden könne.

Generell unterschieden sich Frauen und Männer in ihren Krankheitsprofilen. Frauen würden zwar länger leben, jedoch seien Krankheiten und funktionale Einschränkungen unter Frauen deutlich verbreiteter und Männer hätten im Vergleich zu Frauen einen höhere funktionale Kompetenz und eine höhere psychologische Funktionstüchtigkeit. Männer litten insgesamt im Vergleich zu Frauen häufiger an potenziell lebensbedrohlichen Zuständen, Frauen hätten aber mehr medizinische Diagnosen.

    Aufbauend auf die vorangegangenen Informationen führte Kuhlmey den Begriff des „Gesund Alterns“ ein. Prävention im Alter spiele dabei ein zentrale Rolle, da so eine verbesserte Lebensqualität und Vitalität erreicht werden könne. Jedoch sei nach Kuhlmey Altern ohne Einbußen, Krankheit und Leiden kaum vorstellbar, denn man könne „nicht mit Fitness ins Grab“ gehen. Nach Studien über Muster von Lebensinvestitionen im Alter stehe die Gesundheit neben der Familie an oberster Stelle. Die Investition in Gesundheit und die Verhaltensprävention zeige jedoch geschlechtsspezifische Unterschiede auf. Demnach nehmen bspw. nur 14% der berechtigten Männer, aber 48% der Frauen an Krebsfüherkennungsuntersuchungen teil. Auf der anderen Seite würden Krankheiten aber auch gemacht werden, denn es besteht der Trend, dass normale biographische Ereignisse pathologisiert würden, wie z.B. die Meno- und Postmenopause bei Frauen oder das „empty- nest- Syndrom“ nach dem Auszug der Kinder.

Insgesamt sei „Gesund Altern“ abhängig von verschiedenen Faktoren: zum einen spielten das persönliche Gesundheitsverhalten, sowie die Verhältnisse eines Gesundheitssystems eine wichtige Rolle. Darüber hinaus wirkten sich auch soziale Ressourcen, die im Lebenslauf erworben wurden, auf gesundes Altern aus. Bspw. sei in Bezug auf Gesundheit und Lebenserwartung eine größer werdende Schere zwischen sozialen Schichten zu verzeichnen und auch der Bildungstand lässt Rückschlüsse auf unterschiedliche Lebenserwartungen zu. Schließlich seien auch biographische Ereignisse, die im Alter auftreten, nicht zu unterschätzen. Da Frauen mehr soziale Unterstützung leisten, seien sie auch mehr von gesundheitlichen Folgen belastet. Und auch soziale Gesundheitsressourcen fielen für Frauen geringer aus, u.a. durch Altersarmut oder einer höheren Rate der Verwitwung bei Frauen.

Insgesamt könne die Lebensqualität im gesunden Altern durch eine Reihe von Maßnahmen erhalten bleiben: Durch die Selektion von bestimmten Aktivitäten und durch das Bemühen, die darin liegenden Reserven auszuschöpfen (Optimierung), könne im Alter mit Verlusten unter Heranziehung von Hilfen und Alternativen besser umgegangen werden.

Es ginge, so Kuhlmey, also nicht darum einen gesundheitlichen Lebenszustand zu erhalten, denn es sei eine Utopie alle Leiden einschränken zu können. Vielmehr sollten bestehende Potentiale unterstützt werden, um einen Gewinn an Lebensqualität und gesundes Altern zu sichern. Dazu gehöre auch, dass Verluste bewältigt werden müssen.

 

Im Anschluss an den Vortrag schloss sich eine Diskussion an, in der u.a. auf aktuelle Entwicklungen Bezug genommen wurde, wie z.B. die diskriminierenden Beiträge der privaten Krankenkassen. Diese würden durch höhere Risiken und Lebenserwartung der Frauen gerechtfertigt werden. Weiterhin wurde auf die Problematik der demographischen Prognosen eingegangen, die sehr schwierig zu berechnen seien, weil bestimmte Lebensrealitäten schlecht abgeschätzt werden können.

 

 

Zur Vortragenden:

 

Prof. Dr. Adelheid Kuhlmey ist seit 2003 Direktorin des Instituts für Medizinische Soziologie im Zentrum für Human- und Gesundheitswissenschaften and der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Ihre Arbeits- und Forschungsschwerpunkte sind Demographischer Wandel und die Konsequenzen für die Entwicklung des Gesundheitssystems, Altern und Gesundheit im Geschlechtervergleich, Versorgungsforschung, sowie Gesundheitsförderung im Alter. Sie ist Mitglied in verschiedenen Kommissionen und Räten, z.B. der Altenberichtskommission der Bundesregierung, und ist u.a. stellvertretende Vorsitzende des Vorstands der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Soziologie (DGMS).

 

Wichtige Veröffentlichungen:

 

Kuhlmey, A. (2002): Pflege im Alter. In: Schwarzer, R.; Jerusalem, M.; Weber, H. (Hrsg.): Gesundheitspsychologie. Göttinen, Hogrefe, S. 389-391.

 

Kuhlmey, A. (2002): Soziale Risiken des hohen Alters und Lebensqualität. In: Bundesministerim für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (hrsg.): Vierter Bericht zur Lage der älteren Generation. S. 120- 136.

 

Kuhlmey, A.; Tesch-Römer, C. (2002): Familiale Ressourcen zur häuslichen Pflege Hochbetagter. In: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.): Vierter Bericht zur Lage der älteren Generation. S. 193-207.

 

Kuhlmey, A. (2002): Pflegerische Versorgung. In: Schwartz, F.V.; Badura, B.; Busse, R.; Leidl, R.; Raspe, H.; Siegrist, J. Walter, U. (Hrsg.): Das Public Health Buch. Gesundheit und Gesundheitswesen. 2. Aufl. münschen-Jena, Urban & Fischer. S. 297- 303.

 

Kuhlmey, A. (2003): Gesundheitsbiographien im Geschlechtervergleich. In: Perrig-Chiello, Pasqualina; Höpflinger, Francois (Hrsg.): Gesundheitsbiographien. Variationen und Hintergründe. Bern-Göttingen-Toronto-Seattle, Verlag Hans Huber, S. 17-33.

 

Dräger, D.; Geister, C.; Kuhlmey, A. (2003): Auswirkungen der Pflegeversicherung auf die Situation pflegender Töchter- Die Rolle der professionellen Pflegedienste. Pflege 16 (6): 342- 348.
erstellt von Administrator zuletzt verändert: 05.08.2010 13:27