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"Die widersprüchliche Modernisierung von Männlichkeit - Kontinuitäten und Veränderungen im Geschlechterverhältnis"

Gender Lecture mit PD Dr. Michael Meuser:

 

Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Gender Lectures“ des GenderKompetenzZentrums an der Humboldt-Universität zu Berlin sprach Prof. Dr. Michael Meuser am 23.05.2005 über „Die widersprüchliche Modernisierung von Männlichkeit - Kontinuitäten und Veränderungen im Geschlechterverhältnis“. In seinem Vortrag ging es nicht zuletzt um die Herausforderungen, mit denen Männer gegenwärtig konfrontiert sind. Am Ende standen Überlegungen zu geschlechterpolitischen Interventionen, die Strukturen und Kulturen in Geschlechterverhältnissen verändern können.

 

 

Derzeit lassen sich, so der erste Teil des Vortrags, „Gender Troubles“ beobachten. Tradierte Muster der Geschlechterverhältnisse brechen au

f; Vieles gerät in Bewegung. Veränderungen zeigen sich in vier Dimensionen.

  • Berufswelt: Es gibt Entgrenzungen, da sich Frauen in den letzten 30 Jahren neue Berufsfelder erobert haben, die z.T. ausschließlich von Männern besetzt waren. Jedoch korrespondiert dieser „Eroberung“ seitens der Frauen keine Bewegung seitens der  Männer in die umgekehrte Richtung, und auch in Führungsetagen bleiben Männern weitestgehend unter sich.
  • Familie: Es gibt eine Erosion des bürgerlichen Familienmodells, da besonders Frauen pro-aktiv einen Wandel von Familienformen und eine Auflösung des traditionellen normativen Ideals herbeiführen.
  • Bildung: Wachsende Bildungserfolge von Mädchen gefährden das Leitbild der hegemonialen Männlichkeit.
  • Wertesystem: Eine Rhetorik der Gleichheit ist auch unter Männern zu verzeichnen, also eine größere Orientierung an egalitären Werten. Jedoch ist keine korrespondierende Praxis zu erkennen. Nach einer Formulierung von Beck steht einer rhetorischen Aufgeschlossenheit auf der Ebene der Einstellung eine weit reichende Verhaltensstarre gegenüber.
Insgesamt ist die gesellschaftliche Dominanz der Männer nicht ernsthaft ins Wanken geraten

. So besetzen sie in Wirtschaft, Wissenschaft und Politik die meisten Führungspositionen. Jedoch kann konstatiert werden, dass die Herrschaft der Männer unter einen wachsenden Legitimationsdruck gerät.

 

Durch Entgrenzungen sind formale polare Eindeutigkeiten von Weiblichkeit und Männlichkeit verloren gegangen. Insbesondere in den Massenmedien ist auch Männlichkeit „ins Gerede gekommen“. Dies zeigt sich in zwei verschiedenen Diskursen: Auf der einen Seite wird von einer Krise der Männlichkei

t gesprochen, da die erwartete Perpetuierung einer hegemonialen Männlichkeit in homosozialen Männergemeinschaften im Konflikt steht mit den Egalitätserwartungen besonders von Frauen. Meuser meint, diese spannungsreiche Ambivalenz sei nicht notwendigerweise eine Krise.

Auf der anderen Seite gibt es einen „Optionalitätsdiskurs“

, bei dem mit der Befreiung aus traditionellen Rollen auch die Wahl zwischen Optionen von Männlichkeitsentwürfen möglich scheint. Meuser meint dazu, dass dies die Standortgebundenheit des Mannes in jeweiligen sozialen Lagen verkennt. Die Intersektionalität von class/ race/ gender schaffe zwar Varianten und differente Ausdrucksformen von Männlichkeiten, aber weniger Multioptionalitäten.

 

Des weiteren bewirke der Strukturwandel der Erwerbsarbeit

neue Herausforderungen für Männlichkeit. Der Wandel von der Industrie- zur Informationsgesellschaft zeigt Konsequenzen für das Geschlechterverhältnis, denn es entstehen neue Rahmenbedingungen für Männlichkeitsentwürfe. Die Normalitätsfolien für Männer, die sich durch eine Trennung in Produktionsarbeits- und Reproduktionsarbeitssphäre ergeben haben, brechen durch eine Transformation der Arbeit weg. Durch Flexibilisierung und Feminisierung der Erwerbsarbeit und einer sich daraus ergebenden zunehmenden Entgrenzung von Arbeit und Leben entstehen Diskontinuitäten männlicher Erwerbsbiographien. Homosoziale Männerwelten in der Berufssphäre zerfallen. Männlichkeit verliert so seine traditionellen Orte und wird nicht mehr institutionell vorgegeben. Es ensteht also die Herausforderung, Männlichkeit neu zu gestalten. Mit Meuser formuliert: „Eine Vorgabe wird zur Aufgabe“.

Insgesamt kommt es zu einer Diskursivierung von Männlichkei

t, denn diese unterliegt nun einem hohen Maß an Reflexivität. Schon am steigenden Interesse von Männern an Orientierungshilfen in Zeitschriften und anderen Medien ist zu erkennen, dass Männlichkeit den Status des Allgemeinen verloren hat und zu etwas Besonderem geworden ist. Es ist eine modernisierte Form hegemonialer Männlichkeit entstanden.

 

Aus der Thematisierung von Männlichkeit und Geschlechterverhältnissen ergeben sich auch Fragen nach Möglichkeiten für politische Interventionen

. Wie können Männer in Vereinbarkeitsdiskussionen von Familie und Beruf einbezogen werden, um zu verhindern, dass die Zuständigkeit für Vereinbarung nicht weiter nur bei Frauen liegt? Nach Meuser kann die Strategie Gender Mainstreaming dazu dienen, dass Strukturen und Kulturen verändert werden, also z.B. Organisationskulturen in Unternehmen nicht weiter an traditionelle Stereotype anknüpfen und auch die Interessenbekundungen von Vätern besser berücksichtigt werden; in diesem Fall würde eine win-win-Situation für alle Beteiligten resultieren.

 

An den Vortrag schloss sich eine Diskussion an. Es ging um weitere Beispiele für win-win-Situationen, um Chancen, die sich aus der Erosionsgefahr der Männlichkeitsentwürfe ergeben könnten, und um widersprüchliche und ambivalente Erwartungen von Frauen an Geschlechterverhältnisse.

 

 

Zum Vortragenden:

 

Meuser vertritt den Lehrstuhl für Allgemeine Soziologie an der Universität Siegen. Seine Arbeitsgebiete sind die Soziologie der Geschlechterverhältnisse insbesondere Methoden qualitativer Sozialforschung, Wissenssoziologie, Politische Soziologie und die Soziologie des Körpers. Für seine herausragende Forschung im Gebiet der Soziologie der Geschlechter erhielt er 2004 den Helge-Pross-Preis. Die Theoretisierung von Männlichkeit, aber auch gleichstellungspolitische Fragestellungen durchziehen viele seiner Arbeiten.

 

Hier können Sie das Vortragsskript als PDF-Datei

herunterladen.

 

 

Veröffentlichungen:

 

Meuser, Michael: Gleichstellung auf dem Prüfstand. Frauenförderung in der Verwaltungspraxis, Pfaffenweiler: Centaurus Verlag 1989.

 

Meuser, Michael: Geschlecht und Männlichkeit. Soziologische Theorie und kulturelle Deutungsmuster, Opladen: Leske und Budrich 1998.

 

Behnke, Cornelia / Meuser, Michael: Geschlechterforschung und qualitative Methoden. Qualitative Sozialforschung Bd. 1, Opladen: Leske und Budrich 1999.

 

Döge, Peter / Meuser, Michael (Hg.): Männlichkeit und soziale Ordnung. Neuere Beiträge zur Geschlechterforschung, Opladen: Leske und Budrich 2001.

 

Bohnsack, Ralf / Marotzki, Winfried / Meuser, Michael (Hg.): Hauptbegriffe qualitativer Sozialforschung, Opladen: Leske und Budrich (UTB) 2003.

 

Meuser, Michael / Neusüß, Claudia (Hg.): Gender Mainstreaming. Konzepte, Handlungsfelder, Instrumente, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung 2004.
erstellt von Administrator zuletzt verändert: 05.08.2010 16:23