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"Gleichstellungspolitik und Geschlechterwissen – Facetten schwieriger Vermittlungen"

Gender Lecture mit PD Dr. Angelika Wetterer: 

Die Gender Lecture am Montag, den 14. Februar 2005, hielt die Soziologin und feministische Theoretikerin Angelika Wetterer. Sie hat sich mit mehreren Veröffentlichungen kontrovers an der Debatte um Gender Mainstreaming beteiligt. Im Vortrag ging es um verschiedene gleichstellungspolitische Strategien, um die Ausdifferenzierung von Geschlechterwissen und um die Notwendigkeit des Dialogs von Gender-ExpertInnen und feministischen TheoretikerInnen, um die "Tücken" auch des Gender Mainstreaming zu umgehen.

 

 

Wetterer begann ihren Vortrag mit einer Bestandsaufnahme des gleichstellungspolitischen Feldes: Die Gleichstellungspolitik konzentriere sich zunehmend auf das Thema Gender Mainstreaming. In zahlreichen Veröffentlichungen erscheine – abgesehen vom manchmal auftauchendem Managing Diversity - Gleichstellungspolitik mit Gender Mainstreaming als mittlerweile deckungsgleich. Gleichzeitig spiele GM in feministisch-kritischen Kontexten aber kaum eine Rolle. Daraus ergebe sich die Einschätzung, dass sich Gender Mainstreaming weit von feministischer Theorie und Politik entfernt habe, dass es sich also um separate Diskurse handele, die sich ohne Verbindung gegenüberstehen. Die Wege von theoretisch versierten FeministInnen und praxis-orientierten Gender-ExpertInnen hätten sich getrennt und Grenzgängerinnen seien eine Ausnahme geworden.

 

Geschlechterwissen habe sich folglich auch in zwei verschiedene Spielarten verfestigt: Gender-ExpertInnen sprächen von gender gaps zwischen "den Frauen" und "den Männern" und würden so zweigeschlechtliche Deutungsmuster reaktivieren, während feministische TheoretikerInnen eben diese Dichotomien kritisieren und dekonstruieren würden, oder - wie Joan Scott – den Begriff gender nur noch für begrenzt sinnvoll hielten. Beide Bezugssysteme seien weit entfernt vom alltäglichen Geschlechterwissen. Z.B. gäben Studierende in Seminaren an, sich als gleichberechtigt zu erfahren und seien genervt, wenn die Beharrlichkeit der Geschlechterunterscheidung behauptet oder mit Statistiken belegt wird. Sie würden glauben, Gleichstellungspolitik und Gender-Wissen habe nichts mit ihnen zu tun.

 

Der anfängliche Bezugspunkt der Frauenforschung, nach den Erfahrungen von Frauen zu fragen, helfe hier nicht weiter: Es führt kein direkter Weg von den Deutungsmustern der Akteure zu den Strukturen. Damit stelle sich sowohl in den Gender Studies als auch in der Gleichstellungspolitik die Frage nach der "schwierigen Vermittlung".

 

Die Ausdifferenzierung des Geschlechterwissens lasse sich zurückführen auf die Institutionalisierung und Professionalisierung der Frauenbewegung, auf die Integration der Frauen- und Geschlechterforschung in Forschung und Lehre und letztlich auf einen Akzeptanzzuwachs. Die Frauenbewegung habe wie kaum eine andere Neue Soziale Bewegung das Alltagswissen verändert und ist insofern erfolgreich gewesen. Dieser Erfolg habe jedoch Tücken (und enge Grenzen). Die Professionalisierung der Frauenpolitik habe diese verändert, und das lässt sich historisch nachzeichnen.

 

In den 80er Jahren versuchte die Frauenförderung, Probleme abzubauen, mit denen Frauen zu kämpfen hatten. Eine Infrastruktur z.B. von Frauenbeauftragten wurde aufgebaut, die Interessenpolitik für Frauen betrieb. Die Tücken dieses Konzepts wurden in den 90er Jahren von der Frauen- und Geschlechterforschung kritisiert: Statt Strukturen in den Blick zu nehmen, würden Defizite auf Seiten der Frauen verortet, so dass z.B. die Vereinbarkeit von Familie und Beruf als "Frauenproblem" erscheine. In dieser Perspektive schien die Frauenförderung Symptome kurieren zu wollen. Stattdessen müssten mittels struktur- und handlungstheoretischer Ansätze die Geschlechterverhältnisse analysiert und verändert werden. In der Theorie hieß es: "Gleichstellung ist Strukturpolitik" (Christine Roloff 1998).

 

Ende der 90er Jahre seien diese Diskurse jedoch auseinander gelaufen. Zum einen habe sich die Gleichstellungspolitik zunehmend auf Gender Mainstreaming orientiert, zum anderen bevorzuge die Frauen- und Geschlechterforschung (de)konstruktivistische Zugangsweisen.

 

In der Praxis habe damit der Aufstieg von Ökonomie und Betriebswirtschaftslehre zur Leitdisziplin der Gleichstellungspolitik begonnen. Auch wenn auf der Ebene der politischen Rhetorik Gleichstellung Leitlinie gewesen sei, stehe in der praktischen Umsetzung die ökonomische Rationalität im Vordergrund und Frauenbenachteiligung sei nur als Standortnachteil interessant. Gender-ExpertInnen würden benötigt, um die Augen der Akteure zu öffnen nicht nur für die geschlechtlichen Disparitäten, sondern auch für die ökonomischen Vorteile.

 

Die von Wetterer derart beschriebene Reformulierung der Gleichstellung als Verwaltungsmodernisierung könne strategisch sinnvoll sein, um Gleichstellung offensiv als integralen Bestandteil gegenwärtiger Modernisierungsprozesse zu bestimmen und sie anschlussfähig zu machen. Diese Strategie habe jedoch schon heute erkennbare Tücken.
  • Erstens stehe nicht mehr soziale Gerechtigkeit im Zentrum, sondern die Ausschöpfung von human resources. Gleichstellungspolitik zähle nur, wenn sie sich bezahlt macht.
  • Zweitens forsche Gender Mainstreaming, so Wetterer, stark wie nie nach Geschlechterunterschieden und reaktiviere somit die Geschlechterdifferenz, womit es hinter die (de)konstruktivistische Wende der Gender Studies zurückfalle. Dagegen verfahre Judith Lorber's (2004) Projekt des "Degendering" zweigleisig: Die Geschlechterungleichheit wird transparent gemacht, aber gleichzeitig werden die Gemeinsamkeiten zwischen Frauen und Männern sowie die Unterschiede innerhalb der Genus-Gruppen herausgestellt. Dieser zweite Aspekt fehle beim Gender Mainstreaming, stattdessen reproduziere und redramatisiere es geschlechtsspezifische Unterschiede.

GM reaktiviere Alltagswissen über Geschlecht. In der Alltagspraxis zeigten sich latente Wissensbestände, die unter bestimmten Bedingungen reaktiviert werden. Anders als die beiden anderen Spielarten des Geschlechterwissens sei das Alltagswissen nicht systematisch, sondern widersprüchlich. Die zitierte Auffassung von Studierenden, dass Benachteiligung keine Rolle mehr spiele und Gleichberechtigung sich von selbst verstehe, sei das vorherrschende diskursfähige Geschlechterwissen. Das Reden orientiere sich an der Idee der Gleichheit. Dahinter liege aber etwas anderes. So zeige sich auch, wenn z.B. "geschlechtstypische" Berufszweige weniger geschlechtersegregiert sind, innerhalb der Erwerbsarbeit eine subtilere Version traditioneller vergeschlechtlichter Arbeitsteilung: Rechtsanwältinnen spezialisierten sich auf Familienrecht, Krankenpfleger entwickelten einen neuen coolen Pflegestil. Ebenso zeige sich in der alltäglichen Arbeitsteilung im Haushalt, dass die im Reden dominierende Idee der Gleichheit in der Praxis kaum Niederschlag finde. Vielmehr lebten besonders in Zusammenhängen, die von den traditionellen Geschlechterverhältnissen geprägt sind (z.B. die mangelnde Vereinbarkeit von Familie und Beruf), latente und inkorporierte Wissensbestände wieder auf.

 

In der Gleichzeitigkeit von kulturellem Wandel und strukturellem Beharrungsvermögen werde von den Gesellschaftsmitgliedern verlangt, diese Widersprüche individuell auszubalancieren. Wetterer folgert, wir bräuchten also weiterhin dringend Gleichstellungspolitik als Strukturpolitik. Diese Gleichstellungspolitik – und zwar unabhängig davon, ob sie Gender Mainstreaming heißt oder nicht - brauche mittel- und langfristige Perspektiven jenseits der Verwaltungsmodernisierung. Statt unvorsichtig mit bipolaren Deutungsmustern umzugehen, brauche sie ein analytisches Instrumentarium, um die vergeschlechtlichenden und Ungleichheit produzierenden Prozesse zu erkennen. Die Aufgabe von Gender-ExpertInnen sei es deshalb, die Plausibilität der Geschlechterunterscheidung zu unterminieren und jene Strukturen und Institutionen zu verändern, die diese Differenz reproduzieren.

 

An den Vortrag schloss sich eine kontroverse Debatte an. Hier finden Sie die wesentlichen Fragen.

Zunächst wurde die Reichweite und empirische Fundierung von Wetterers Kritik an Gender Mainstreaming in Zweifel gezogen. Treffen ihre Kritikpunkte auf das Konzept GM generell zu oder nur auf "schlechtes" GM, das nicht dem Stand der Frauen- und Geschlechterforschung entspricht? Sollte also von der Strategie GM Abstand genommen werden oder darauf hingewirkt werden, "schlechtes" GM zu verbessern, z.B. über das Entwickeln von Qualitätskriterien? Wo genau liegen die Tücken der Implementierung von GM? Wenn Gleichstellungspolitik heute mit Rahmenbedingungen von Neoliberalismus und Ökonomisierungsprozessen konfrontiert ist, sollte sie die Akteure an dieser Handlungsrationalität abholen? Wie kann eine Arbeitsteilung aussehen zwischen autonomer Frauenbewegung und institutionalisierter Gleichstellungspolitik?

Wie kann eine Verflachung des Konzepts Gender und ein Rückfall in zweigeschlechtliche Stereotypen verhindert werden, wenn gleichzeitig Ungerechtigkeit zwischen den Geschlechtern und die Zweigeschlechtlichkeit als Strukturprinzip aufgezeigt werden soll? Beim GM soll auch Männern aufgezeigt werden, dass sie ein Geschlecht haben – wie kann man der Gefahr der Essentialisierung entgehen? Welches Differenz-Verständnis liegt GM zugrunde: Geht es von strukturellen Konstruktionsprozessen und daraus erwachsener sozialer Ungleichheit aus, oder von der Unterschiedlichkeit von Frauen und Männern und ihren differenten Interessen?

Möglicherweise ist "Gleichstellung" schon historisch bipolar besetzt. Wieweit kann bewusst mit solchen Vereinfachungen sowie möglicherweise Redramatisierungen umgegangen werden und wo müssen Grenzen gezogen werden?

Hängt die Qualität von GM überhaupt am guten Willen und den guten Konzepten der Gender-ExpertInnen? Ist nicht vielmehr die Machtkonstellation entscheidend, die dazu führt, dass GM nach der Implementierung nicht mehr kontrollierbar ist und sogar gegen die AdressatInnen gewendet werden kann?

Wie kann die in mächtigen Institutionen verbreitete Überzeugung von der dichotomen Geschlechterordnung erschüttert werden? Wie können dort die Komplexität von weiteren Kategorisierungen und Interdependenzen vermittelt werden? Gerät dadurch möglicherweise Geschlecht als Strukturkategorie aus dem Blickfeld?

 

 

Zur Vortragenden:

 

 

Angelika Wetterer, PD Dr. phil., Soziologin, ist Privatdozentin an der Universität Kassel und zur Zeit Gastprofessorin für Feministische Theorie am Institut für Soziologie der Universität Wien; zuvor hat sie von 2000–2003 die Professur für Frauenforschung mit dem Schwerpunkt Qualifikation & Beruf am FB Erziehungswissenschaften & Soziologie der Universität Dortmund vertreten und war 2004 als Aigner-Rollett-Gastprofessorin für Frauen & Geschlechterforschung an der Universität Graz.

Ihre Forschungsschwerpunkte sind Profession & Geschlecht, Arbeitsteilung & Geschlechterkonstruktion, feministische Gesellschafts- & Wissenschaftstheorie, Konzepte der Frauen- & Gleichstellungspolitik.

 

Zu ihrem Vortrag:

 

 

Hier können Sie das Vortragsskript als pdf-Datei

herunterladen.

 

Wetterer, Angelika: Rhetorische Modernisierung: Das Verschwinden der Ungleichheit aus dem zeitgenössischen Differenzwissen, in: Knapp, Gudrun-Axeli / Wetterer, Angelika (Hg.): Achsen der Differenz. Gesellschaftstheorie & feministische Kritik 2, Münster 2003, S.286-319.

 

Wetterer, Angelika: Strategien rhetorischer Modernisierung: Gender Mainstreaming, Managing Diversity und die Professionalisierung der Gender-Expertinnen, in: Metz-Göckel, Sigrid / Wetterer, Angelika (Hg.): Hochschul- und Wissenschaftsentwicklung durch Gender Mainstreaming. Schwerpunktheft der Zeitschrift für Frauenforschung & Geschlechterstudien 20/3. Bielefeld 2002, Heft 3/2002: 129-148.

 

Wetterer, Angelika / Saupe, Angelika: „Feminist Politics“ oder „Gender Mainstreaming“: Über getrennte Diskurse und separierende Begriffe. Einleitung, in: Wetterer, Angelika / Saupe, Angelika (Hg.): Feministische Theorie und politische Praxis. Schwerpunktheft der Zeitschrift für Frauenforschung & Geschlechterstudien, 22/2+3, Bielefeld 2004, S. 3-8.

 

Lorber, Judith: Man muss bei Gender ansetzen, um Gender zu demontieren: Feministische Theorie und Degendering, in: Wetterer, Angelika / Saupe, Angelika (Hg.): Feministische Theorie und politische Praxis. Schwerpunktheft der Zeitschrift für Frauenforschung & Geschlechterstudien, 22/2+3, Bielefeld 2004, S. 9-24.

 

Roloff, Christine: Gleichstellung ist Strukturpolitik, in: Plöger, Lydia / Riegraf, Birgit (Hg): Gleichstellungspolitik als Element innovativer Hochschulreform. Bielefeld 1998: S. 125-141.

 

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