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"Steuern steuern"

Gender Lecture mit Prof. Dr. Ulrich Mückenberger:

Die Gender Lecture am 17. Januar 2005 hielt Prof. Dr. Ulrich Mückenberger, Professor für Rechtswissenschaft an der Hamburger Universität für Wirtschaft und Politik. Er referierte zum Thema "Steuern steuern". Im Mittelpunkt stand die These, dass Steuerrecht Auswirkungen auf die Geschlechtergerechtigkeit hat und deshalb bewusst gesteuert werden sollte. Mückenberger verdeutlichte das anhand des 2. Familienförderungsgesetzes, das er im Rahmen des Forschungsprojekts "Familienförderung und Gender Mainstreaming" für das Bundesministerium der Finanzen genauer untersucht hat.

 

 

Gender Mainstreaming bedeutet, die Auswirkungen einer Maßnahme auf das Geschlechterverhältnis zu prüfen und dann praktisch die gerechteste Option auszuwählen. Das gilt auch im Zusammenhang mit Steuerrecht. Es ist zudem rechtlich vorgegeben, denn die tatsächliche Orientierung auf Gleichstellung ist in der Verfassung verankert, seit 1994 in Artikel 3 Absatz 2 Grundgesetz.

 

An diese rechtliche Grundlage ist auch die politische Lenkungsfunktion gebunden, die Steuern neben ihrer Einkommensfunktion ausüben: Das Verhalten potentiell Steuerpflichtiger wird beeinflusst, "Steuern steuern".

 

Besonders die Familienförderung stellt das steuerrechtliche Gebiet dar, das zur Zeit am meisten diskutiert wird und in dem erstaunliche Wandlungen geschehen. Die Debatte ist stark von ökonomischen Motiven bestimmt, kann aber gleichstellungspolitischen Anliegen entgegen kommen, z.B. wenn die Vereinbarkeit von Familie und Beruf aus ökonomischen Gründen gefördert wird und dies gleichzeitig der Wahlfreiheit von Frauen entgegenkommt. Drei konkrete Herausforderungen stehen im Zentrum:
  • Die Erwerbsbeteiligung von Frauen, die entsprechend der Lissabon-Ziele bis 2010 eine Erwerbsquote von 60% erreichen soll. Auf dem Niveau hochaggregierter Daten scheint das Ziel recht nah, was sich nach Aufschlüsselung der Daten jedoch als Täuschung erweist: So ist z.B. die Gruppe der Frauen mit mehreren kleinen Kindern weit entfernt von dieser Zielquote.
  • Aus volkswirtschaftlicher Perspektive erscheint der demografische Wandel bedrohlich. Um ihm entgegenzuwirken und die Fertilität zu erhöhen, wird die Elternschaft gefördert. Ziel sollte es dabei allerdings nur sein, Elternschaft zu ermöglichen, nicht sie zu erzwingen.
  • Die Notwendigkeit, diese beiden Ziele geschlechtergerecht zu gestalten.
Ob die Gender-Mainstreaming-Strategie diesen Herausforderungen gerecht wird, wird sich besonders an der Situation von zwei Gruppen ablesen lassen:
  • Mütter mehrerer kleiner Kinder, die zu 50-80% nicht erwerbstätig sind
  • Hochqualifizierte Frauen, die zu 41-44% keine Kinder haben (während z.B. in Frankreich diese Quote 10% beträgt, was einmal mehr verdeutlicht, dass es sich um ein gesellschaftlich beeinflussbares, machbares Ziel handelt.)
Vor diesem Hintergrund analysierte Mückenbergers Projekt das Zweite Familienförderungsgesetz. Mit diesem Gesetz kam der Gesetzgeber einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts nach, das ihn verpflichtet hatte, den Betreuungs- und Erziehungsbedarf bei allen Eltern unabhängig vom Familienstand neu zu regeln. Mit dem Gesetz wurden drei Maßnahmen getroffen:
  • Erhöhung von Kinderfreibeträgen und Kindergeld
  • Erwerbsbedingte Kinderbetreuungskosten können geltend gemacht werden (die nachgewiesen werden müssen, es ist also nur bezahlte Arbeit absetzbar)
  • Abschmelzung des Haushaltsfreibetrags Alleinerziehender

Das Gesetz wurde am 16. August 2001 verabschiedet. Mückenberger und seine Mitarbeiter/innen untersuchten nachträglich den Gesetzgebungsprozess in Bezug auf die Repräsentation der Geschlechter in den beteiligten Gremien und auf die dem Gesetz zugrundeliegenden Wirkungsannahmen. Allerdings gab es im Verlauf des Gesetzgebungsprozesses noch keine Instanz, die diesen Fragen systematisch hätte nachgehen können. Daraus ergibt sich schon ein Erfordernis für ein geschlechtergerechtes Gesetzgebungsverfahren: eine systematische Gesetzesfolgenabschätzung (Gender Impact Assessment – GIA) muss wissenschaftlich bewerten, welche Auswirkungen auf das Geschlechterverhältnis zu erwarten sind. Auf dieser Basis kann dann die Lösung gewählt werden, die - unter Wahrung des Prinzips der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit – der Geschlechtergerechtigkeit am nächsten kommt.

 

Auf das Zweite Familienförderungsgesetz angewendet kommen vor allem Einkommenseffekte zum Vorschein: wer bekommt weniger, wer bekommt mehr? (Die detaillierte Darstellung der direkten und indirekten Effekte der einzelnen Regelungen findet sich im Skript des Vortrags.)

 

Folgende Schlüsse für eine geschlechtergerechte Familienförderung konnten unter anderem gezogen werden:
  • Freibeträge kommen nur Erwerbstätigen zugute: Je mehr Erwerbseinkommen, desto mehr Fördereffekt. Darin liegt eine negative Gleichstellungswirkung. Deshalb wären vom Erwerbseinkommen unabhängige Transferleistungen (wie z.B. das Wohngeld) wünschenswert.
  • Das Elternschaftsgeld sollte nicht als ein "flatrate"-Betrag gegeben werden. Besser wären lohnbezogene Beträge wie bei Krankheit oder Rente (wie die Lohnersatzleistung in Schweden).
Über diesen konkreten Rechtsbereich hinaus empfahl Mückenberger für ein geschlechtergerechtes Gesetzgebungsverfahren: Genderkompetenz in den beteiligten Gremien sollte systematisch gesteigert und institutionalisiert werden, z.B. auch durch Ansprechpartner für gender-Fragen.
  • Strukturen und Ressourcen müssen geschaffen und bereitgestellt werden, z.B. ein Pool von Sachverständigen.
  • Die Datengrundlagen müssen genauer werden, da die bestehenden Daten oft zu wenig aussagekräftig sind (z.B. kann "ein Steuerpflichtiger" im Steuerrecht nein Ehepaar umfassen).
  • Instrumente, die ein systematisches gender-screening ermöglichen, müssen entwickelt werden.
  • GIA als Sonderform der ohnehin obligatorischen Gesetzesfolgenabschätzung sollte systematisch z.B. mit der durchgeführt werden.
  • Die Gremien müssen geschlechterparitätisch besetzt sein.
  • Die Ressorts sollten untereinander kooperieren, um Leitsätze für die Gesetzgebung auszuhandeln (wie z.B. in Schweden zwischen Ministerien und Reichstag).
  • Der politische Wille muss vorhanden sein, die Ressortspitze muss Geschlechtergerechtigkeit zu ihrem Thema machen.

An den Vortrag schloss sich eine Debatte an über den Status von Gender Mainstreaming im Gesetzgebungsverfahren, über Gründe für dessen Scheitern oder Erfolg und über die Bewertung einzelner Maßnahmen der Familienförderung.

 

 

Zum Vortragenden:

 

Prof. Dr. Ulrich Mückenberger ist Professor für Rechtswissenschaft an der Hamburger Universität für Wirtschaft und Politik. Seine Schwerpunkte liegen im Arbeits- und Sozialrecht sowie im Europarecht. Er hat zahlreiche Buch- und Zeitschriftenpublikationen und Forschungsprojekte zu diesen Gebieten, den Industriellen Beziehungen, den "Zeiten der Stadt" und sozialem Europa bearbeitet.

Von 2001-2003 erstellte er für das Bundesministerium der Finanzen das Gutachten "Familienförderung und Gender Mainstreaming".

 

 

Weiterführende Informationen:

 

Hier können Sie das Skript des Vortrags

im PDF-Format herunterladen.

 

Der Bericht des Forschungsprojekts erscheint dieses Jahr als Buch voraussichtlich in der Reihe „Schriften zur Gleichstellung der Frau“ (hg. v. J. Limbach et al.), Nomos-Verlag, Baden-Baden.
erstellt von Administrator zuletzt verändert: 05.08.2010 16:05