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"Auf dem Weg zum Zweiverdienermodell? Rechtliche und politische Grundlagen des männlichen Ernährermodells"

PD Dr. Sabine Berghahn und Maria Wersig

Im Rahmen der Veranstaltungsreihe des GenderKompetenzZentrums Gender Lectures stellten am 15.11.2004 die Juristin und Politikwissenschaftlerin PD Dr. Sabine Berghahn und die Juristin Maria Wersig (FU Berlin) das Forschungsprojekt „Ehegattenunterhalt und Ehegattensubsidiarität als Gleichstellungshindernisse“ vor. Es wird von der Hans-Böckler-Stiftung bis 2006 gefördert und ist am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft angesiedelt. Gegenstand ist eine Studie zu rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen des "männlichen Ernährermodells" in der deutschen Existenzsicherungspolitik, die auch Wege zur Überwindung der asymmetrischen Einkommenssituation im Hinblick auf das Geschlecht aufzeigen soll.

Berghahn und Wersig begannen mit den drei Säulen der Existenzsicherung in Deutschland (Erwerbsarbeit, Sozialversicherungsleistungen und subsidiäre steuerfinanzierte Sozialleistungen/Unterhalt) und zeigten, dass die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung trotz bisheriger Reformen weiter existiert.

Detailliertes Datenmaterial u.a. zu Erwerbsquoten und Unterhaltsquellen von Männern und Frauen untermauerte die Thesen, dass Frauen in Deutschland noch weit von einer gleichberechtigten Integration ins Erwerbsleben entfernt sind. Deutlich wird, dass das "Ernährermodell" bzw. die "Hausfrauenehe" weiter lebt: So bestreiten z.B. verheiratete Frauen seltener als der Durchschnitt der Gesamtbevölkerung ihren Lebensunterhalt durch eigenes Erwerbseinkommen oder durch Sozial(versicherungs)leistungen und sind häufiger auf Unterstützung durch Angehörigen angewiesen.

Das Ernährermodell wird in Deutschland durch eine starke "Ehezentrierung" in der Existenzsicherung konserviert, also an den Schnittstellen des Unterhaltsrechts zu Steuer-, Arbeits- und Sozialrecht, auch wenn diese Rechtsgebiete formal geschlechtsneutral erscheinen. Das lässt sich historisch nachvollziehen, weil im 19. Jahrhundert die Rollen der Ehegatten in patriarchaler und geschlechtspolarer Weise festgelegt waren und die Ehe als einzige legitime Form des Zusammenlebens der Geschlechter und der Sexualität galt. Die heutige Rechtsordnung schleppt diese Geschlechtsspezifik noch immer mit sich herum. Inzwischen hat sich das normative Tauschverhältnis in der Ehe verändert, beide Ehegatten sind zur Erwerbsarbeit berechtigt und bei Bedarf verpflichtet ebenso wie zur Sorge für ihre gemeinsamen Kinder. Dennoch ist der Anspruch auf Gleichberechtigung in den Gesamtstrukturen von Ehe und Partnerschaft nicht umgesetzt, wenn und weil die Schnittstellen zum Arbeits-, Steuer- und Sozialrecht weiter das Ernährermodell fördern, heute in Form der Zuverdienstkonstellation.

Daraus folgt: Zur Umsetzung der Gleichberechtigung ist die Überwindung des Ernährermodells nötig, wozu das Forschungsprojekt mit seiner Studie beitragen möchte.

Wo genau liegen nun die Schnittstellen des Ehegattenunterhalts mit Steuer-, Sozial- und Arbeitsrecht?
  • Im Steuerrecht besteht eine Hierarchie der steuerlichen Berücksichtigung von Unterhaltspflichten; durch das Ehegattensplitting wird die Hausfrauenehe bei Einkommensdiskrepanz lukrativ gemacht (Vergemeinschaftung) und ein negativer Anreiz für die Frau gesetzt, erwerbstätig zu sein oder bleiben (Lohnsteuerklassen).

  • Das Sozialversicherungssystem orientiert sich am männlichen Normalarbeitnehmer, weshalb Frauen häufig nur die abgeleitete Sicherung zusteht, so dass sie auf den Unterhalt des Ehegatten angewiesen sind. Während die intergenerationelle Subsidiarität als "nicht mehr vermittelbar" abgebaut wird, wird die eheliche Einstandspflicht erweitert – und im Einklang damit die Einstandspflicht unter „eheähnlich“ Zusammenlebenden, obwohl hier keine Unterhaltspflicht besteht.

  • Im Arbeitsrecht soll durch eine Reihe von Vorschriften das eheliche "Familieneinkommen" z.B. als Kriterium bei Einstellungen, Kündigungen oder in Tarifverträgen geschützt werden ("Familienernährervorrang").

Verfassungsrechtlich stellt sich hier die Frage, ob die erwähnten Schnittstellen und das Regelungsgeflecht zur Existenzsicherung einer Prüfung am verfassungs- und europarechtlichen Maßstab der mittelbaren Diskriminierung standhalten. Zudem ist zu fragen, ob Reformen mit den konservativen Auslegungen von Art. 6 Abs. 1 GG zum Schutz der Institution Ehe in Konflikt kommen oder ob die Kritik an der strukturellen Konservierung des Ernährermodells nicht sogar zu einer anderen Auslegung des verfassungsrechtlichen Schutzes der Ehe führen müsste.

Die Studie von Berghahn und Wersig wird im empirischen Teil versuchen, herauszufinden, wie sich Regeln auf Menschen auswirken. Dazu sollen u.a. qualitative Interviews mit Ehepaaren geführt werden, die von den verschärften Anrechnungsregelungen durch Hartz IV betroffen sind.

Über drei Viertel derjenigen, deren Antrag auf Arbeitslosenhilfe wegen der Anrechnung von (Partner)Einkommen abgelehnt wurde, sind Frauen. Das gilt bereits jetzt. Durch die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe und die Anpassung der neuen Berechnungsverfahren für das Arbeitslosengeld II an die Regeln der Sozialhilfe verschärft sich die „Ehegattensubsidiarität“, d.h. die Heranziehung des Partners zur Finanzierung der Dauerarbeitslosigkeit der Partnerin. Insofern wird das (in der Regel männliche) Ernährermodell durch Hartz IV noch verstärkt. Wie aber wirkt sich das auf Beziehungen aus? Lässt sich die Ehe oder Partnerschaft gleichberechtigt gestalten, wenn derartige Anreize gesetzt und Abhängigkeiten erzwungen werden? Wie arrangieren sich die Paare mit den neuen Bedingungen? Wie wird Unterhalt und finanzielle Abhängigkeit in Paarbeziehungen subjektiv wahrgenommen?

Abschließend präsentierten die Referentinnen Überlegungen zu wünschenswerten Reformen, die das männliche Ernährermodell in Richtung Gleichberechtigung überwinden könnten.

Geeignet wäre z.B.
  • eine Einschränkung der Unterhaltspflichten,
  • eine Reduzierung der Ehegattensubsidiarität,
  • eine individuelle Besteuerung,

flankiert durch Maßnahmen zur Unterstützung der Vereinbarkeit von Erwerbs- und Familienarbeit sowie zur Erleichterung und Absicherung von Statusveränderungen (Stichworte: „Übergangsarbeitsmärkte“ und „Flexicurity“).

Weiter müsste geklärt werden, welche Arten von Solidarität der Staat voraussetzen darf: Ist das Subsidiaritätsprinzip der Katholischen Soziallehre noch aktuell, wenn in der Ehe Gleichberechtigung und Chancengleichheit herrschen soll und die primären StaatsbürgerInnenrechte der Partizipation am Erwerbsleben und der Sozialversicherung bereits individualisiert sind?

 

Auch aus politisch-feministischer Perspektive müsste diskutiert werden, wie das Zweiverdienermodell und Reformen, die dorthin führen, zu bewerten sind. Bedeutet es einen Autonomiegewinn oder -verlust, wenn von Frauen, auch als Mütter, grundsätzlich Erwerbsarbeit erwartet wird?

An die Präsentation schloss sich eine spannende Debatte darüber an, ob und wie eine konsequente Gleichstellung von Frauen und Männern in der Transformation des Sozialstaats überhaupt möglich ist.

 

Zu den Vortragenden:

PD Dr. jur. Sabine Berghahn ist Juristin und Politikwissenschaftlerin und lehrt am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin. Sie ist Leiterin des Forschungsprojekts „Ehegattenunterhalt und Ehegattensubsidiarität als Gleichstellungshindernisse“ (Kurztitel). Weitere Informationen vgl. http://userpage.fu-berlin.de/~berghahn.

Maria Wersig ist Juristin und Wissenschaftliche Mitarbeiterin bei diesem Forschungsprojekt.

 

Weiterführende Informationen und Kontakt zum Projekt:

http://www.fu-berlin.de/ernaehrermodell

 Email: ermodell@zedat.fu-berlin.de

 Tel. 030 - 8385-7030

Anschrift: Ihnestr. 22, 14195 Berlin

 

Hier können Sie das Skript des Vortrags als PDF-Datei herunterladen.

 

 

Weitere Veröffentlichungen zum Thema:

 

Berghahn, Sabine: Ehegattensubsidiarität und Gleichberechtigung. In: STREIT – feministische Rechtszeitschrift, 18. Jg. (2000), Heft 4, S. 152-159.

 

Berghahn, Sabine: Ehe als Übergangsarbeitsmarkt? (Zum Umbau des Erwerbs- und Sozialsystems) WZB-Discussion Paper FS I 01-207 (Wissenschaftszentrum für Sozialforschung Berlin), Berlin 2001.

 

Berghahn, Sabine: Ist die Institution Ehe eine Gleichstellungsbarriere im Geschlechterverhältnis in Deutschland?, in: Oppen, Maria / Simon, Dagmar (Hg.): Verharrender Wandel. Institutionen und Geschlechterverhältnisse, Edition Sigma, Berlin 2004, S. 99-138.

 

Berghahn, Sabine: Der Ehegattenunterhalt und seine Überwindung auf dem Weg zur individualisierten Existenzsicherung, in: Leitner, Sigrid / Ostner, Ilona / Schratzenstaller, Margit (Hg.): Wohlfahrtsstaat und Geschlechterverhältnis im Umbruch. Was kommt nach dem Ernährermodell? Jahrbuch für Europa- und Nordamerika-Studien 2003, VS-Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2004, S. 105-131.
erstellt von Administrator zuletzt verändert: 09.11.2010 15:57