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Bevölkerungspolitik als Geschlechterpolitik

Gender Lecture mit Prof. Dr. Shalini Randeria:

"Bevölkerungspolitik muss viele Bedingungen berücksichtigen und einbeziehen, die Einfluss auf die reproduktive Gesundheit und Rechte von Frauen und Männern haben."
Women's Declaration on Population Policies, New York, März 1993

"Es kann keine feministische Bevölkerungspolitik geben, da Bevölkerungspolitik feministische Grundprämissen verletzt und ihnen widerspricht."
Declaration of People's Perspectives on Population Symposium, Comilla, Bangladesh, Dezember 1993

Diese beiden Äußerungen stehen stellvertretend für die Pole einer internationalen Diskussion zum Thema Bevölkerungspolitik als Geschlechterpolitik und dies war zugleich das Thema von Prof. Dr. Shalini Randeria der dritten Gender Lecture des GenderKompetenzZentrums an der Humboldt Universität zu Berlin am 21. April 2004.


In der Bevölkerungspolitik gibt es zwei grundlegende Weichenstellungen: Zwang versus freier Wille. Beide haben ihren historischen Ursprung bei Malthus. Seine Bevölkerungstheorie findet sich 1798 in „Essay on the Principle of Population". Im Zentrum der Überlegungen von Malthus stand die sogenannte „Überbevölkerung" als Problem einer sich entwickelnden Ökonomie und Gesellschaft: Durch wirtschaftliches Wachstum und dem daraus resultierenden Wohlstand der Bevölkerung könne diese schneller wachsen als die Produktivität in der Landwirtschaft. Malthus sah den Kinderreichtum als irrational und als Ursache für Verelendung an, sprach sich als Liberaler aber gegen bevölkerungspolitische Zwangsmaßnahmen des Staates aus. In der Folge wurde die auf Geburtensteuerung setzende Gegenposition entwickelt.

Randeria zeigt anhand zahlreicher Beispiele aus Ländern der sogenannten Dritten Welt, wie sich eine Politik mit dem Ziel der Geburtenreduzierung auf die Praxis der Frauen auswirkt. Antinatalistische bevölkerungspolitische Programme, so zeigte Randeria, führen nicht zum angestrebten Erfolg. Das gilt im Fall der staatlichen Zwangsmaßnahmen gegen den Willen der Frauen und im Fall isolierter Programme zur Verteilung von Verhütungsmitteln und im Fall der Anreize und Versprechungen von materiellen Wohlstand durch Geburtenkontrolle. Alle Programme vernachlässigten die Ansprüche und Bedürfnisse von Frauen. Randeria schließt daraus, dass jegliche staatliche Bevölkerungspolitik, die isoliert auf eine Senkung der Fertilitätsrate zielt, keinen oder nur unter Inkaufnahme von Zwang und Menschenrechtsverletzungen Erfolg haben kann.

Wer nicht auf Zwang setzt, setzt auf Selbstbestimmung insbesondere von Frauen in der Reproduktion. Dabei wird Emanzipation häufig mit einer möglichst großen Planbarkeit von Zahl und Zeitpunkt der Geburten gleichgesetzt - eine Vorstellung, die in vielen Ländern und Kulturen für die Lebensentwürfe vieler Frauen irrelevant ist, so Randeria. Es gibt zudem eine Vielzahl von vornehmlich westlich geprägten Erklärungsmustern, die Kinderreichtum armer Frauen oft allein damit erklären, dass die Kinder zur Altersversorgung und zur Unterstützung als Arbeitskräfte benötigen und so außerdem der hohen Kindersterblichkeit vorbeugen würden. Dadurch wird einem problematischen Bild Vorschub geleistet: dem homogenisierten Frauentyp in Entwicklungsländern, der einzig und allein auf der Basis einer ökonomischen Kosten-Nutzen-Rechnung über die Anzahl der Kinder entscheidet. Randeria kritisiert diese Haltung als utilitaristische Doppelmoral, die bei Frauen aus "Entwicklungsländern" andere Maßstäbe setzt als hinsichtlich des eigenen Kinderwunsches.

Im Rahmen bevölkerungspolitischer Debatten wird immer wieder die mangelnde Bildung als zentraler Grund für den Kinderreichtum armer Frauen bezeichnet. Auch empirisch ist ein Zusammenhang oft nachweisbar. Dennoch befürchtet Randeria eine Rücknahme der erweiterten Bildungschancen für Frauen, wenn sich staatliche Bevölkerungspolitik ändert. Zudem fordert sie zu einem differenzierten Blick auf und zeigt, dass insbesondere diejenigen Programme erfolgversprechend sind, die auch Genderaspekte einbeziehen und beispielsweise gezielt an der Veränderung von Geschlechterbildern arbeiten.

Randeria wehrt sich gegen einfache, monokausale Erklärungsmuster zu der Frage, warum Frauen wie viele Kinder bekommen, und bezieht stattdessen eine Vielzahl von Faktoren in ihre Überlegungen mit ein: Verwandtschafts- und Haushaltsstrukturen, Vererbungssysteme, ökonomische Bedingungen, die Organisation von Kinderbetreuung, Bildungs- und Gesundheitssysteme ebenso wie kulturelle Aspekte von Körperlichkeit, Sexualität, Fruchtbarkeit sowie die gesellschaftlichen Zuschreibungen von Mutterschaft etc.

Integrierte Programme zur Gleichstellungsförderung müssten im Sinne eines umfassenden Empowerments folglich auf mehreren Ebenen ansetzen. Es reicht nicht aus, nur das Einkommen, die Bildung, die Altersversorgung und insgesamt den sozialen Status der Frauen zu verbessern. Es müssen auch kulturelle Begebenheiten wie traditionelle familiale Versorgungsmuster, Heiratsregeln oder die Bedeutung der Frauen- und Mutterrollen in ihren jeweiligen regionale Ausprägungen berücksichtigt werden. Zudem ist es dringend geboten, sozialpolitische Maßnahmen von bevölkerungspolitischen Zielsetzungen zu entkoppeln, um so den Frauen eine größtmögliche Wahlfreiheit einzuräumen.


Zur Vortragenden:

Prof. Dr. Shalini Randeria ist Soziologin und Ethnologin mit den Schwerpunkten Bevölkerungspolitik, Globalisierung und koloniale Studien derzeit am Ethnologischen Seminar der Universität Zürich.

erstellt von Administrator zuletzt verändert: 05.08.2010 13:50