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Gender Lectures Schwerpunktthema Stereotype

Schwerpunktthema „Schema F“: Geschlechterstereotype in Wissenschaft und Gesellschaft – ungebrochen?

In Deutschland ist rechtlich die Gleichheit von Frauen und Männern garantiert; es gibt vielfältige Aktivitäten zur tatsächlichen Durchsetzung von Gleichstellung in allen gesellschaftlichen Bereichen. Dennoch bestehen zahlreiche Diskriminierungen aufgrund von Geschlecht fort. Gründe hierfür sind struktureller Art, liegen also z.B. in der Grundstruktur eines Regelungssystems oder der Organisation einer Branche. Ein wichtiger weiterer Grund sind jedoch Geschlechterstereotype, die sich mit großer Hartnäckigkeit halten. Die Europäische Union greift diese Tatsache in ihrem „Fahrplan zur Gleichstellung von Frauen und Männern im Zeitraum 2006 bis 2010“ auf. Sie legt die Beseitigung von Geschlechterstereotypen als einen von sechs Schwerpunkten für die aktuelle EU-Politik fest (EU-Roadmap 2006). Besonders hervorgehoben werden der Abbau von Stereotypen

  • in Ausbildung, Bildung und Kultur,

  • auf dem Arbeitsmarkt und

  • in den Medien.

Auch die bundesdeutsche Gleichstellungspolitik behandelt die Überwindung von Stereotypen als einen Aspekt der Gleichstellung als Querschnittsaufgabe: Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen, Jugend (BMFSFJ) fördert ein Projekt „Neue Wege für Jungs“ und damit die Modernisierung von Männlichkeitsvorstellungen. Das Elterngeld setzt neue Anreize für „Familienväter“. Daneben steht die Förderung von Maßnahmen zu Frauen in Führungspositionen.

Dennoch besteht im Bildungs- und Erwerbsarbeitsbereich weiterhin Handlungsbedarf. Das zeigen z.B. aktuelle Zahlen aus dem OECD-Bildungsbericht: Die Erwerbstätigenquote der 25- bis 64-jährigen Männer mit einem Hochschul- oder vergleichbaren Abschluss lag in Deutschland 2005 bei 86 %, für Frauen bei 78 % (OECD-Mittel: Männer 89 %, Frauen 79 %). Deutlich niedriger liegen die Beschäftigungsquoten bei Personen, die einen beruflichen Abschluss im Sekundarbereich II absolviert haben (z.B. im dualen System der beruflichen Bildung); hier sind in Deutschland 76 % der Männer und 65 % der Frauen beschäftigt. Bei Personen, die höchstens einen Abschluss unterhalb des Sekundarbereichs II haben, beträgt die Beschäftigungsquote bei Männern 62 % und bei Frauen 45 %.

Auch in den Medien wurden in jüngster Zeit wieder viele Negativ-Beispiele geliefert, die nicht nur aktuelle Gleichstellungspolitik und Gender Studies diskreditieren, sondern auch auf überholte Geschlechterbilder setzen, wie z.B. das traditionelle Hausfrau und Mutter-Bild (Eva Hermann), das Alleinernährermodell (Bischof Mixa) (vgl. dazu die Gender Lecture vom 05.02.07). Hier wird mit Stereotypen gearbeitet, um Vorurteile zu aktivieren.

Nicht zuletzt tauchen Stereotype auch im Alltag auf: Wer kennt sie nicht, die Aussprüche über „Hippies“, „Yuppies“, „Nerd“, „Groupie“, „Yetties“ (steht für Young, entrepreneurial, tech-based, twentysomething, zu deutsch: ein junger, unternehmerisch, technikbegeisterter Zwanzigirgendwas)? Stereotype typisieren Personengruppen. Problematisch werden sie insbesondere, wenn Menschen dabei auf ein „Merkmal“ reduziert werden. Das geschieht, wenn Menschen nur aufgrund ihrer Geschlechterzugehörigkeit „typische“ Eigenschaften und Verhaltensweisen zugewiesen werden – noch harmlos klingen da „Ottonormalverbaucher“, „Lieschen Müller“, „Femme fatal“ oder „Don Juan“, deutlicher wird es immer, wenn Stereotype gerade für Frauen sexualisiert und abwertend ausfallen. Dasselbe gilt für Stereotype, in denen rassistische, homophobe oder antireligiöse Vorstellungen aktiviert werden.

Was bedeutet eigentlich 'Stereotyp'?

Der Begriff Stereotyp [griech. stereos: starr, unbeweglich/ griech. typos, latein. typus: Muster] stammt ursprünglich aus dem Bereich der Buchdruckpresse und bezeichnet dort Metallformen, die dazu benutzt wurden, eine Vielzahl von exakten Kopien für den Druck zu erstellen. Vor dem digitalen Zeitalter wurden beispielsweise sämtliche Zeitungen mittels Stereotypen produziert und gedruckt. Der Ursprung des Begriffs verweist anschaulich auf das, was damit gemeint ist, wenn in Bezug auf Personen von Stereotypen gesprochen wird: Ein Stereotyp ist fest, kann nicht verändert werden und reproduziert die gleiche Sache immer und immer wieder. Abzugrenzen ist ein Stereotyp von einem Klischee (v. französ.: cliché Abklatsch, billige Nachahmung) oder einem Vorurteil. Ein Vorurteil ist eine Meinung, die unentbehrlich für den/die Träger/-in des Vorurteils geworden ist. Diese Meinung muss zwar nicht notwendigerweise abwertend sein, sie spiegelt jedoch oft negative oder ablehnende Einstellungen einem Menschen, einer Gruppe oder eines Sachverhaltes gegenüber.

Die Orientierung der aktuellen Politik auf den Abbau von Stereotypen ist der bisherigen Erfahrung mit der Umsetzung von Gleichstellungspolitik geschuldet. Die Praxis zeigt, dass Geschlechterstereotype als relativ verfestigte Muster gesellschaftliche Strukturen mit individuellen Einstellungen verknüpfen. Im täglichen „doing gender“ (West/Zimmerman 1989) spielen Stereotype daher eine entscheidende Rolle bei der Legitimierung von Ungleichbehandlungen – und werden zum täglichen „doing difference“ (West/Fenstermaker 1995).

Geschlechterstereotype sind also als eine „politische Praxis“ der Kategorisierung und Bewertung von Menschen zu verstehen. Das Aufdecken der Praxis der Vereindeutigung, die dem Stereotyp zugrunde liegt und der Abbau stereotyper Zuschreibungen kann einen wichtigen Beitrag zur Durchsetzung der Gleichstellung von Frauen und Männern leisten.

Gender Lecture-Reihe zu Geschlechterstereotypen

In der aktuellen Reihe der Gender Lecture soll der Wirkungszusammenhang von Stereotypisierung und Ungleichbehandlung wissenschaftlich dargestellt und diskutiert werden. Ziele sind, mit Impulsen aus der Stereotypenforschung

  • die Produktion, Funktion und Formen von Geschlechterstereotype aus verschiedenen disziplinären Blickwinkeln zu analysieren,

  • die Wirkungsweisen der auf Stereotypen basierenden Diskriminierungen zu hinterfragen und

  • Ansatzpunkte für Antidiskriminierungs- und Gleichstellungspolitik zu benennen (z.B. in Bezug auf Entgeltgleichheit, Karrierechancen, vielfältige Lebensentwürfe etc.)

Im Mittelpunkt der Gender Lectures stehen u.a. folgende Fragen: Wie funktionieren Stereotype und wie können sie sinnvoll verändert werden? Wie kann der Gefahr einer Re-Stereotypisierung begegnet werden? Welche Umgangsweisen mit dem Abbau von Stereotypen gibt es: Reicht es, typische Stereotype für Frauen und Männer mit untypischen zu ersetzen? Wie ist z.B. in diesem Zusammenhang die Umgestaltung der Straßenschilder in Wien zu beurteilen – ist das Problem der Stereotypisierung nun gelöst oder nur verschoben? Warum sind Stereotype so langlebig und hartnäckig, was ist an ihnen so „praktisch“? An welche Grenzen stößt der Ansatz bei Stereotypen, d.h. mit welchen politischen, rechtlichen, ökonomischen Maßnahmen muss der Abbau von Stereotypen flankiert werden, damit Gleichstellung durchgesetzt werden kann?

Die Referierenden der Gender Lectures präsentieren uns zu diesen Fragen Antworten aus verschiedenen fachlichen Zugriffen: Sozialpsychologische (Jens Förster), medienwissenschaftliche (Sylka Scholz), arbeitssoziologische (Regine Gildemeister) und organisationstheoretische (Daniela Rastetter) Erklärungsansätze.

Literatur:
West, Candace/Zimmerman, Don (1989): Doing Gender. Gender & Society 1, 2: 125-151
West, Candace/Fenstermaker, Sarah (1995): Doing Difference. Gender & Society 9, 1: 8-37.

Gender Lecture mit Prof. Dr. Jens Förster: "Wie Vorurteile unsere Leistung verbessern und verschlechtern können: Eine sozialpsychologische Perspektive"

Gender Lecture mit Dr. Sylka Scholz: "Von „Rüpeln“ und „Testosteronbomben“ und einem „Engel...der über Leichen geht“. Geschlechterstereotype im Bundeswahlkampf 2005"

Gender Lecture mit Prof. Dr. Regine Gildemeister: "Geschlechterdifferenzierung und Gleichheitssnorm: Tücken der Gleichzeitigkeit"

Gender Lecture mit Prof. Dr. Daniela Rastetter: "Weibliche Führungskräfte"

Gender Lecture mit Dr. Maureen Maisha Eggers: "Wissenschaftlerinnen mit Migrationshintergrund"

Gender Lecture mit Prof. Dr. Nina Degele: "Ich sehe was, was du auch siehst." - Stereotypisieren, reifizieren und intersektionalisieren in der Geschlechterforschung

Gender Lecture mit PD Dr. Waltraud Cornelißen: "Die Relevanz von Geschlechterstereotypen für Berufsentscheidungen"

erstellt von Administrator zuletzt verändert: 05.08.2010 15:34