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Methodische Diskussion des Global Gender Gap Report

Methodische Diskussion des Global Gender Gap Report

Am Global Gender Gap Report des Weltwirtschaftsforums (WEF) hat auch einige methodische Kritik hervorgerufen. Die zentralen Kritikpunkte werden im Folgenden zusammengestellt und eingeschätzt.

Manche Probleme resultieren aus dem Anspruch, tatsächlich global und umfassend zu berichten. Denn nicht zuletzt die vielfach fehlenden Daten begrenzen ihn nicht nur regional (für 128 Ländern waren ausreichend Daten vorhanden), sondern auch inhaltlich: beispielsweise wird Gewalt gegen Frauen nicht berücksichtigt, weil dazu keine vergleichbaren Daten verfügbar seien - dies ist bemerkenswert angesichts der jährlichen Berichterstattung der UN-Sonderberichterstatterin über Gewalt gegen Frauen, deren Gründe und Auswirkungen. Jedenfalls unterstreichen die Einschränkungen die Notwendigkeit, noch existierende Datenlücken genderkompetent zu füllen.

Andere Probleme sind konzeptioneller Art. So wird häufig kritisiert, dass das Ranking auf relativen Werten beruht. Der damit verbundene Anspruch des Berichts ist, eine Aussage über den Grad der Gleichstellung „unabhängig vom Grad der Entwicklung” (vgl. S. 3) zu machen. Es ist fraglich, wie aussagekräftig ein relativer Wert angesichts ungleicher Ausgangsbasis aufgrund großer absoluter Unterschiede ist, und ob somit nicht unzulässig von den äußerst verschiedenen Umständen abstrahiert wird. Generell lehnen sich die einbezogenen Indikatoren an die des Human Development Index der UNDP (HDI) an, wobei fraglich ist, ob diese außerhalb des entwicklungspolitischen Einsatzbereichs und mit dem Fokus auf Gleichstellung aussagekräftig sind. Auf diese Einschränkung des HDI in der Anwendung auf hochentwickelte Länder weist auch die UNDP selbst hin (Human Development Report 2007/2008, S. 227). Sinnvoller ist auf jeden Fall der Vergleich innerhalb von nach Staatseinkommen gruppierten Ländern (vgl. S.12).

Diese Unterscheidung zwischen relativen und absoluten Werten wird nicht zuletzt beim Subindex zu Gesundheit wichtig, der nur aus zwei Indikatoren besteht, die beide für einen internationalen Vergleich relativ problematisch sind: Gesunde Lebenserwartung und Verhältnis von Jungen und Mädchen bei Neugeborenen (sex ratio at birth).
Der Gender Gap der gesunden Lebenserwartung ist beispielsweise in den westlichen Industrieländern größer (beispielsweise in Deutschland 70 Jahre bei den Männern zu 74 Jahren bei den Frauen im Vergleich zu Nigeria mit 41 bzw. 42 Jahren) – aber kann daraus umstandslos auf eine größere oder geringere Gleichstellungsproblematik gewertet werden? Eine These in der Forschung ist, dass sich der Gender-Effekt in der Lebenserwartung erst in „postmaterialistischen” Gesellschaften zeigt; ganz allgemein gelte: Je höher das Lebenserwartungsniveau ist, desto höher ist die Differenz zwischen den Geschlechtern. Es muss davon ausgegangen werden, dass aufgrund der äußerst unterschiedlichen absoluten Lebenserwartungsniveaus auch die Ursachen für die Lebenserwartungsdifferenzen äußerst unterschiedlich sind (z.B. haben Säuglingssterblichkeit oder „Wohlstandskrankheiten” Gender-Effekte), so dass fraglich ist, wie sinnvoll ein direkter globaler Vergleich und ein derartiges Eingehen in einen Gleichstellungsindex ist.
Der Lebenserwartungsindikator ist zudem mit weiteren Tücken im Detail geschlagen: In der Berechnung wird von um 5 Jahre unterschiedlichen erreichbaren Lebensaltern von Frauen und Männern ausgegangen (vgl. S. 22, Fn 3, vgl. Berechnung des Life Expectancy Index der UNDP). Da es sich dabei, wie die Forschung zeigt (vgl. Fachtagung Gender und Lebenserwartung), mitnichten im einfach hinzunehmende biologische Umstände handelt, stellt dies eine problematische Grundlage für den Indikator dar.
Der Gesundheits-Subindex variiert im globalen Vergleich nur sehr wenig, was auf den geringen Standardabweichungen von sowohl Lebenserwartungs-Gap als auch Geschlechterverhältnis bei Neugeborenen basiert: Spitzenreiter im Gesundheits-Ranking ist Angola mit fast 98% Schließung des Gender Gap, den letzten Platz nimmt Armenien mit immer noch 92% ein (vgl. S.11). Ob dadurch Gleichstellungsprobleme sichtbar werden, ist zweifelhaft. Dennoch gehen diese Werte als ein Viertel in den gesamten Gender Gap Index ein.

Auch aus dem Bereich der ökonomischen Partizipation lassen einzelne Indikatoren Zweifel aufkommen; die beispielsweise für Deutschland angegebenen hohen Werte sind überraschend bzw. positiver als die Ergebnisse verschiedenster nationaler Studien: So wird für die Teilhabe in „Professional and technicals workers” mit dem Bestwert 1.00, also 100% gleiche Repräsentation, angegeben. Dies geht darauf zurück, dass die Gruppierung der Berufe sehr ungenau ist – so umfasst diese Gruppe beispielsweise sowohl Bereiche wie Universitätsprofessorinnen und -professoren mit bekanntermaßen starker Männer-Überrepräsentation als auch Beschäftigte in der Krankenpflege mit starker Frauenüberrepräsentation (vgl. International Standard Classification of Occupations). Werden diese Daten dermaßen aggregiert, sind kaum Aussagen über zentrale Bereiche horizontaler und vertikaler Segregation auf den Arbeitsmärkten mehr möglich.

Ein weiterer konzeptioneller Kritikpunkt ist die Auswahl der Indikatoren, die sich laut WEF an Ergebnissen („outcome variables”), nicht Mitteln und Einflüssen („input variables”, vgl. S.3f) orientiert. Allerdings steht im Hintergrund dieser Unterscheidung die Frage, welches Ziel gemessen werden soll, d.h. konkret: wie eng das Ziel Gleichstellung mit dem Ziel der Wettbewerbsfähigkeit und der Nutzung von Humankapital zusammengezogen wird. Schließlich steht der Global Gender Gap Report im Rahmen der WEF-Beschäftigung mit „Global Competitiveness”. So könnte die als Beispiel für eine Input-Variable genannte und somit nicht berücksichtigte Länge von bezahlten Mutterschaftsurlauben (vgl. S.4) in einer anderen Operationalisierung von Gleichstellung durchaus ein relevanter Indikator sein.
In diese Richtung gehen auch die Zweifel an der Aussagekraft des Indikators zu Lohngleichheit: Ihm liegt eine vom Weltwirtschaftsforum als private Stiftung von über 1000 internationalen Wirtschaftsunternehmen durchgeführte Einstellungsstudie unter Führungskräften der Wirtschaft („Executive Opinion Survey”) zugrunde, obwohl doch weltweit zahlreiche harte Daten zu diesem Thema vorliegen.

Sicherlich ist es sehr anspruchsvoll, einen Index zu entwickeln, der global für alle Länder gleichermaßen aussagekräftig ist. Dennoch ist - wie dargestellt - der Einbezug einzelner Indikatoren kritikabel, während gleichzeitig Indikatoren zu anderen zentralen gleichstellungspolitischen Herausforderungen fehlen. Beispielsweise wurden zur Teilhabe von Frauen und Männern an Bildung, die über die Einschreibung an Hochschulen hinausgeht, keine Daten aufgenommen – das international diskutierte Phänomen der „leaky pipeline”, d.h. des „versickernden” Frauenanteils auf den wissenschaftlichen Qualifikationsniveaus vom Studienabschluss bis zur Professur, wird somit nicht abgebildet. Dies ist besonders bemerkenswert, da gleichzeitig die Indikatoren zur politischen Partizipation – mangels verfügbarer Daten - erst auf sehr hochrangiger Ebene ansetzen (Parlamentsabgeordnete, Minister und Ministerinnen, Staatsoberhäupter).

Fazit

Ein Gender-Index wie der „Global Gender Gap” kann ein sinnvolles Instrument sein, Gleichstellungserfolge und -defizite zu benennen. Auch können durchaus „Role Models” identifiziert werden, wenn einzelne Indikatoren oder zusätzliche Angaben detailliert betrachtet werden. Die Qualität des Index wird jedoch immer bestimmt über die Methodik und die Indikatorenbildung; die Herausforderung liegt also im Detail.

SeSch

 
erstellt von Administrator zuletzt verändert: 02.01.2010 20:06