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„Wie Vorurteile unsere Leistung verbessern und verschlechtern können: Eine sozialpsychologische Perspektive“

Gender Lecture des GenderKompetenzZentrums mit Prof. Dr. Jens Förster, Universiteit van Amsterdam, 19. November 2007 zum Schwerpunktthema „Geschlechterstereotype in Wissenschaft und Gesellschaft“ an der Humboldt-Universität zu Berlin

„Frauen haben bessere verbale Fähigkeiten“ - so lautet eine These, mit der in der sozialpsychologischen Stereotypenforschung die Wirkung von Stereotypen auf die Leistung von Frauen und Männer untersucht wird. In seinem Vortrag „Wie Vorurteile unsere Leistung verbessern und verschlechtern können: Eine sozialpsychologische Perspektive“ ging Prof. Dr. Jens Förster Formen und Funktionen von Geschlechterstereotypen nach und fragte, inwiefern Stereotype die Leistung verbessern und verschlechtern.
 
 

Er analysierte im ersten Teil die Bedeutung von Stereotypen im Zusammenhang mit Leistungsunterschieden zwischen Gruppen, stellte zweitens die Theorie der Bedrohung durch Stereotype („Stereotype Threat“) dar und präsentierte drittens Ergebnisse aus Experimenten zur Testung des Regulationsmodells.

 

Nach Förster bedeutet „Stereotyp“ einen „erwarteten Zusammenhang zwischen bestimmten Eigenschaften und der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe“. Stereotype gelten als kulturell konnotierte Vorannahmen, an die nicht geglaubt werden muss. Vorurteile hingegen sind „geglaubte“ Vorstellungen über eine Gruppe, die meist emotionale Reaktionen auslösen. Die aus Stereotypen resultierenden Vorurteile gegenüber einer gesellschaftlichen Gruppe spiegeln sich in Leistungsunterschieden zwischen Gruppen, so die zentrale These von Förster. Z.B. seien in der Grundschule noch keine geschlechterdifferenzierten Unterschiede in der Leistung zu vermerken, später studierten jedoch bekanntlich Männer häufiger Mathematik und Naturwissenschaften als Frauen. Dieses Phänomen der „Des-Identifizierung“ von Mädchen mit Mathematik kann auf die Wirkungsweise von Geschlechtsstereotypen zurückgeführt werden. Sie besagen, dass Frauen in ihrem Verhalten eher verbal und emotional als analytisch orientiert seien. Solche Stereotype können von einzelnen Menschen als „wahr“ oder „falsch“ wahrgenommen werden, wissenschaftlich gesehen sind sie jedoch immer als falsch zu deuten, weil sie immer generalisierend wirken.

 

Wie entstehen nun Stereotype? Stereotype werden über bestimmte gesellschaftliche Gruppen, Medien, Eltern, Freundschaften, Lehrerinnen und Lehrer und durch Beobachtungen etc. erlernt. Sie werden im Gedächtnis abgespeichert, so dass diese als (Pseudo-)Wissensstrukturen immer wieder aktiviert werden können. Es bilden sich so genannte „Gedächtnisknoten“, die eine spezifische Netzwerkstruktur z.B. für „Frau“ herstellen. Stereotype wirken daher auch „automatisch“, d.h. sie wirken auch, wenn ihnen nicht geglaubt wird.

 

Wie wirken sich nun Stereotype auf Leistungen aus?

 

Förster stellt im zweiten Teil seines Vortrages Studien vor, die untersuchen, wie gesellschaftlich geprägte Vorurteile Leistungsunterschiede zwischen Gruppen beeinflussen und wie sie als eine „selbst erfüllende Prophezeiung“ funktionieren. Forschungen aus dem angloamerikanischen Raum beschäftigen sich in diesem Zusammenhang mit der Bedrohung durch Stereotype, dem so genannten „Stereotype Threat“ (Steele & Aronson, 1995). Diesen Studien untersuchen, inwiefern die Angst, ein negatives Stereotyp über die eigene Gruppe durch persönliches Versagen bei einer schwierigen Aufgabe zu bestätigen, die Leistungen der einzelnen Mitglieder dieser Gruppe beeinflusst. Aus den Forschungsergebnissen wurde die „Stereotyp–Bedrohungs-Theorie“ entwickelt. Diese Theorie besagt, dass bei Aktivierung von negativen und für die einzelne Person selbst relevanten Stereotypen in einer Leistungssituation „Bedrohung“ empfunden werden kann, die zu Leistungseinbußen führen kann. Psychologische Prozesse, die durch geringere Erfolgserwartung bei der Aktivierung von negativen Stereotypen bei einer Person eintreten können, sind z.B. Angst und Stress oder vorgreifende Entschuldigungen. Bei der Aktivierung von negativen oder positiven selbst relevanten Stereotypen verändert sich der „regulatorische Fokus“ zu einem „Vermeidungsfokus“ bzw. zu einem „Annäherungsfokus“. Diese Foki führen zu unterschiedlichen Verhaltensstrategien bei der Bearbeitung von Aufgaben. Laut Studien (Förster/Higgins/Bianco 2003) führt der Vermeidungsfokus zu einer Konzentration auf den Verlust, was zu Genauigkeit bei der Aufgabenbearbeitung, aber auch zu Langsamkeit führt; die Leistung ist eher eine „analytische“ statt eine kreative. Im Annäherungsfokus hingegen richtet sich die Konzentration auf den Gewinn, was zu Schnelligkeit, aber Ungenauigkeit führt; hierbei ist die Aufgabenbearbeitung eher „kreativ“ statt analytisch.

 

Förster hat den Wirkungszusammenhang von Leistungseinbußen bzw. -verbeserungen anhand mehrerer experimenteller Untersuchungen erforscht und ist u.a. zu folgenden Ergebnissen gekommen:

 

1) Durch die Aktivierung negativer Stereotype ist die Erinnerung an Vermeidungsinformationen stärker; umgekehrt ist bei der Aktivierung eines positiven Stereotyps die Erinnerung an Annäherungsinformationen besser.

 

2) Die Schnelligkeit und Genauigkeit bei der Aufgabenerfüllung von Männern und Frauen variiert, wenn positive oder negative Stereotype aktiviert werden. Untersucht wurde dies anhand der Effekte des Stereotyps „Frauen haben bessere verbale Fähigkeiten“. Bei dem nicht aktiviertem Stereotyp schließen Männer im Bereich Schnelligkeit und Genauigkeit besser als Frauen ab; bei dem aktivierten Stereotyp schneiden hingegen Frauen besser als Männer ab.

 

3) Durch die Aktivierung negativer Stereotype arbeiten die untersuchten Personen analytischer und wenig kreativ; bei der Aktivierung positiver Stereotype wird die Aufgabe kreativer und weniger analytisch erledigt.

 

4) Bei einem aktivierten negativem Stereotyp „Blondinen sind dumm“ arbeiten die untersuchten blonden Frauen langsamer als die Frauen mit dem nicht aktiviertem Stereotyp. Genau umgekehrt verhält es sich bei der Genauigkeit: Frauen mit aktiviertem Stereotyp machten weniger Fehler als Frauen mit dem nicht aktiviertem negativem Stereotyp.

 

Zusammenfassend stellte Förster fest, dass die Aktivierung von Stereotypen also zu einem Annäherungs- oder Vermeidungsfokus führen kann. Dieser daraus resultierende regulatorische Fokus beeinflusst die Aufgabenbearbeitung dadurch, dass positive oder negative Selbst-Stereotyp eine Verbesserung oder Verschlechterung der Leistung herbeirufen können. Ob es jedoch zu einer tatsächlichen Leistungsverbesserung oder -beeinträchtigung kommt, hängt von den aktivierten bzw. nicht aktivierten Stereotypen und der Aufgabe ab: Schnelligkeit und Kreativität werden durch negative Stereotype verschlechtert, dafür steigen Genauigkeit und analytisches Denken. Umgekehrt verbessern sich bei einem aktivierten positiven Stereotyp Schnelligkeit und Kreativität auf Kosten von Genauigkeit und analytischem Denken.

 

Die anschließende Diskussion beschäftigte sich u.a. mit der Frage, wie aufgrund dieser Erkenntnisse Diskriminierung abgebaut werden kann. Diskutiert wurde die Möglichkeit, negative Stereotype zu verändern und „Gegenbilder“ zu schaffen oder stigmatisierte Gruppen zu schützen und deren „Selbstwirksamkeit“ zu erhöhen. Grundsätzlich wurde auch auf die Gefahr einer Reproduktion der Stereotype durch wissenschaftliche Forschung hingewiesen und erläutert, dass es hier einer hohen Sensibilität bedarf. Fest steht jedoch, das hat der Vortrag gezeigt, dass Stereotype als „gleichstellungspolitische Dauerherausforderung“ gelten, da sie immer funktionieren. Hinzufügen ließe sich auch die Frage, inwieweit in der sozialpsychologischen Stereotypenforschung der unterschiedliche Status bestimmter Kategorisierungen – Geschlecht, „Rasse“, Alter usw. – kritisch, also auch mit Blick auf Benachteiligungswirkungen, reflektiert wird.

 

 

 

Steele, C. M., & Aronson, J. (1995): Stereotype threat and the intellectual test performance of African-Americans. Journal of Personality and Social Psychology, 69, 797-811.

 

Förster, J., Higgins, E.T. & Taylor Bianco, A. (2003): Speed/accuracy in performance: Tradeoff in decision making or separate strategic concerns? Organizational Behavior and Human Decision Processes, 90 (1), 148-164.

 

 

 

Zum Referenten:

 

Prof. Dr. Jens Förster ist seit September 2007 Professor für Sozialpsychologie an der Universiteit van Amsterdam. Seine Forschungsschwerpunkte sind: Ursache und Wirkung von Vorurteilen, Soziale Wahrnehmung und Motivation, menschliches Gedächtnis, Entscheidungsfindung, Unterdrückung von Gedanken sowie Gefühle und Körpersprache.

 

Wichtigste Publikationen zum Thema:

 

Förster, J., Higgins, E.T. & Strack, F. (2000): When stereotype disconfirmation is personal threat: How prejudice and prevention focus moderates incongruency effects. Social Cognition, 18, 178-197.

 

Förster, J. (2007): „Kleine Einführung in das Schubladendenken. Über Nutzen und Nachteil des Vorurteils“, 2007, München: DVA.

 
Forschungsprojekte:
 
  • DFG – Projekt „Perseveranzeffekte bei Kreativität und analytischem Denken“ und „Motivational Influences on Construct Accessibility“

  •  

    DFG – Projekt „Der Einfluss des regulatorischen Fokus auf Leistungseinbußen und Leistungszuwächse durch positive und negative Selbst-Stereotype“

erstellt von Administrator zuletzt verändert: 10.08.2010 10:05