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Chancengleichheit

Chancengleichheit

Beim Umgang mit dem Begriff Chancengleichheit ist es wichtig, verschiedene Bedeutungen von Chancengleichheit zu unterscheiden:

Formale Chancengleichheit zielt darauf ab, allen Personen die gleichen Ausgangsbedingungen zu ermöglichen. Es geht um den Abbau von rechtlichen Zugangshindernissen und um die Sicherstellung von fairen (Verfahrens-)Regeln für alle. Formale Chancengleichheit ist verwirklicht, wenn z.B. beim Zugang zu Bildungsinstitutionen oder bei der Vergabe von Arbeitsplätzen für alle die gleichen Zugangsvoraussetzungen bestehen. Für den Bereich der Universität bedeutet dies z.B., dass Chancengleichheit in einem formalen Verständnis erreicht ist, wenn für alle Bewerber und Bewerberinnen auf einen Studienplatz die gleichen Voraussetzungen gelten, wie beispielsweise die Hochschulreife. Formale Chancengleichheit beinhaltet nicht den Anspruch, gleiche Ausgangsbedingungen müssten sich in tatsächlichem Erfolg für alle niederschlagen. Ist aber auf lange Sicht zu beobachten, dass trotz Regelungen zur formalen Chancengleichheit eine Personengruppe unverhältnismäßig wenig Erfolg hat, sind die Auswahlverfahren zu prüfen und zu verbessern. Auswahlverfahren müssen so gestaltet sein, dass sie Personen in spezifischen Lebenslagen wie z.B. Migrationshintergrund nicht benachteiligen.
Formale Chancengleichheit adressiert aber nicht die Gründe warum bestimmte Personen gar nicht erst in Auswahlverfahren gelangen. Frühzeitige Diskriminierungen können dazu führen, dass z.B. Kinder aus bildungsfernen Schichten gar nicht erst auf eine Gymnasium gelangen und so auch nicht die Voraussetzungen erfüllen für die Aufnahme an einer Universität.

Substantielle Chancengleichheit hingegen fordert für alle gesellschaftlichen Gruppen eine Gleichverteilung der Erfolgschancen. Substantielle Chancengleichheit ist erreicht, wenn beispielsweise verschiedene Frauen und Männer, z.B. aus unterschiedlichen ethnischen Gruppen oder unterschiedlichen Alters, eine vergleichbare Erfolgsrate aufweisen. In dieser substanziellen Lesart kann sich Chancengleichheitspolitik nicht darauf beschränken, Zugangsbarrieren zu beseitigen und für alle gleiche Startbedingungen zu schaffen. Sie muss darüber hinaus neue Möglichkeiten für Benachteiligte eröffnen, um tatsächliche Gleichstellung zu erreichen. Daher gelten hier unterstützende Maßnahmen, wie beispielsweise Quotenregelungen für spezifische Gruppen als adäquate Mittel, um Benachteiligungen bestimmter Gruppen aktiv entgegen zu wirken.

Die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) zu deutschen Quotenregelungen wie z.B. des Landes Nordrhein-Westfalen zeigen, dass das Gericht von substanzieller Chancengleichheit ausgeht. Nach dem sogenannten Marschall-Urteil greift ein rein formales Verständnis von Chancengleichheit zu kurz. Die Tatsache, dass zwei Menschen gleich qualifiziert sind, also die gleichen Voraussetzungen für die in Frage stehende Beförderung erfüllen, bedeutet laut Gericht nicht, dass sie auch die gleichen Chancen auf die Beförderung haben. Das Gericht entschied, dass Quotenregelungen für Frauen zulässig sind, wenn im Rahmen einer Einzelfallprüfung auch die Kriterien, die für den gleich qualifizierten, männlichen Bewerber sprechen, berücksichtigt werden. Diese Kriterien dürfen aber gegenüber den weiblichen Bewerberinnen keine diskriminierende Wirkung entfalten, wie z.B. Dienstalter oder Unterhaltsverpflichtungen. Damit soll mittelbarer Diskriminierung ein Riegel vorgeschoben und substanzielle Chancengleichheit erreicht werden.
Bevorzugung des unterrepräsentierten Geschlechts, wie sie das Bundesgleichstellungsgesetz oder das Betriebsverfassungsgesetz bzw. das Personalvertretungsgesetz vorsehen sind bei Berücksichtigung der vom EuGH aufgestellten Bedingungen EU-rechtskonform.

Die Europäische Kommission verwendet den Begriff Chancengleichheit (equal opportunities) als Oberbegriff für Antidiskriminierung und Gleichbehandlung (Equal treatment) bzw. Gleichstellung (Gender equality). Die Kommission versteht diesen Begriff so wie der EuGH im substantiellen Sinne.

In der politischen Debatte in der Bundesrepublik ist hingegen Gleichstellung der zentrale Begriff. Das Bundesverfassungsgericht hat mit seiner Rechtsprechung zu Artikel 3 Abs. 2 Grundgesetz klargestellt, dass Gleichstellung von Frauen und Männern nicht als formales Gleichstellungsgebot zu verstehen ist, sondern sich auf die gesellschaftliche Wirklichkeit erstreckt (Bundesverfassungsgerichtsentscheidung 92, 80). Es geht folglich um die Umsetzung von tatsächlicher Gleichstellung. Um dieses Ziel zu erreichen, sind ähnlich wie bei substantieller Chancengleichheit begünstigende Regelungen zum Ausgleich von faktischen Nachteilen zulässig. In diesem Sinne entspricht das deutsche Verständnis von tatsächlichen Gleichstellung dem Gebrauch des Begriffes substantieller Chancengleichheit.

In Deutschland wird in der Privatwirtschaft zumeist auf den Begriff der Chancengleichheit rekurriert. Sie versteht darunter vor allem formale Chancengleichheit im Sinne der Gewährleistung gleicher Zugangsmöglichkeiten. Weitergehende Regelungen wie Quotierungen werden als wettbewerbsfremd abgelehnt. Die Auseinandersetzung um das Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft und um die Umsetzung der Antidiskriminierungsrichtlinien in nationales Recht, das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, zeigt, dass die Wirtschaftsakteure in der Bundesrepublik weitgehend bestrebt sind, gesetzliche Regelungen zu Gleichstellung zu vermeiden. Gesetze würden vor allem zu mehr Bürokratie führen, so auch die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände ( BDA). Während für die Bundes- und Landesverwaltungen Gleichstellungsgesetze gelten, ist statt eines entsprechenden Gesetzes für die Privatwirtschaft eine Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft zur Förderung der Chancengleichheit von Frauen und Männern in der Privatwirtschaft geschlossen worden.

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SL


Weiterführende Literatur :

Beck, Dorothee/Graef, Anne: ChancenGleich. Handbuch für eine gute betriebliche Praxis, Frankfurt a.M. 2003

BMFSFJ et al.: Bilanz 2003 der Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft zur Förderung der Chancengleichheit von Frauen und Männern in der Privatwirtschaft.

Bundesregierung: 2. Bilanz Chancengleichheit - Frauen in Führungspositionen, Zweite Bilanz der Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft zur Förderung der Chancengleichheit von Frauen und Männern in der Privatwirtschaft, Berlin 2006.

Bundesregierung: 3. Bilanz Chancengleichheit - Europa im Blick, Dritte Bilanz der Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft zur Förderung der Chancengleichheit von Frauen und Männern in der Privatwirtschaft, Berlin 2008.

Europäische Kommission: 100 Begriffe aus der Gleichstellungspolitik – Glossar der Gleichstellung zwischen Frauen und Männern.

O`Neill, Onora: Wie wir wissen, wann Chancen gleich sind?, in: Rössler, Beate (Hg.): Quotierung und Gerechtigkeit, 1993, S. 144-157.

Sacksofsky, Ute: Das Grundrecht auf Gleichberechtigung, 2. Auflage, 1996.
erstellt von Administrator zuletzt verändert: 02.01.2010 20:06