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GM und/oder Familienpolitik

Die Familienpolitik unterscheidet sich in den unterschiedlichen Sozialstaaten sehr deutlich von einander. Während in den nordischen Ländern die Familien durch öffentliche Dienstleistungen insbesondere bei der Kinderbetreuung und der Pflege älterer Menschen entlastet werden, setzen die meisten kontinentaleuropäischen Länder auf die finanzielle Unterstützung der Familien.

Auch die Bundesregierung hat vor allem den letztgenannten Weg beschritten. Auf den Internetseiten des BMFSFJ werden folgende Leistungen für Familien genannt:

  • Kindergeld, Erziehungsgeld, Elternzeit, Mutterschaftsgeld, Elterngeld, Unterhaltsvorschuss, Kinderzuschlag, Ausbildungsförderung, Berufsausbildungsbeihilfe nach dem SGB III, Wohngeld, Kinderzulage nach dem Eigenheimzulagengesetz, gesetzliche Rentenversicherung, gesetzliche Krankenversicherung.

Zusätzlich werden folgende Elemente für den Familienleistungsausgleich bei der Besteuerung aufgeführt:

  • Kinderfreibetrag und Betreuungsfreibetrag, Kinderbetreuungskosten, Minijobs und Dienstleistungen in Privathaushalten, Ausbildungsfreibetrag, Entlastung für Alleinerziehende, Unterhaltsleistungen, Beihilfen für Eheschließung und Geburt, Ehegattensplitting, staatlich geförderte kapitalgedeckte Altersvorsorge.

Seit Januar 2005 wurde mit dem Gesetz zum Ausbau der Tagesbetreuung ein zusätzlicher Schwerpunkt gesetzt. Bis zum Jahr 2010 sollen 230.000 neue Betreuungsplätze geschaffen werden. Damit soll ebenfalls die Qualität der Betreuung steigen und die Wahlmöglichkeiten für Eltern bezüglich der Kinderbetreuung erhöht werden. Diese Initiative wird von den Sozialpartner unterstützt.

Die Entlastung der Familien und die Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Mütter und Väter wird somit ein weiteres Element der Familienpolitik. Zudem setzt die Politik seit zwei Jahren mit den lokalen Bündnissen für Familie zunehmend auf zivilgesellschaftliches Engagement. Die aktuelle Bundesregierung möchte mit Mehrgenerationenhäusern den Zusammenhalt der Generationen stärken.

Trotz der Erweiterung der Familienpolitik in Richtung der Entlastung von Familien insbesondere von Frauen, die nach der Zeitbudgetstudie der Bundesregierung weiterhin die Hauptlast der Familienarbeit tragen, bleibt die Politik schwerpunktmäßig auf monetäre Transferleistungen fokussiert. Diese Ausrichtung ist unter Gender-Aspekten für die Modernisierung des Sozialstaats nicht unproblematisch. Es besteht die Gefahr, dass Geschlechterrollen in den Familien festgeschrieben und Wahlmöglichkeiten von Frauen und Männern bezüglich Beruf und Familie eingeschränkt werden.

Im internationalen Vergleich zeigt sich, dass eine auf Hausfrauen und Mütter gerichtete Familienpolitik den aktuellen Lebenslagen von Frauen und Männern nur unzureichend entspricht. Dies zeigt sich u.a. in der Bereitschaft eine Familie zu gründen. Länder die Pflege- und Betreuungsarbeiten vorwiegend in die Familie verlagern, haben eine geringere Geburtenrate. Länder die Betreuung und Pflege vorwiegend als staatliche Aufgabe betrachten, haben überwiegend eine höhere Erwerbsbeteiligung (von Frauen und Männern) und mehr Kinder. Das wirkt sich in der Regel auch auf das wirtschaftliche Wachstum positiv aus.

Neben der geringen Geburtenrate haben Länder mit ausgeprägtem Familialismus grundlegende Schwierigkeiten mit der sozialen Absicherung ihrer Bürgerinnen und Bürger. Das durchschnittliche Haushaltseinkommen ist geringer und das Armutsrisiko für Alleinerziehende und Familien höher. Länder wie Schweden oder Dänemark, die Frauen in den Arbeitsmarkt integrieren und Familienarbeiten professionalisieren, konnten hingegen ihre sozialen Sicherungsleistungen in den zurückliegenden Jahren stabilisieren. Damit kehrt sich das noch in den 50er Jahren gültige Verhältnis von niedriger Frauenerwerbsarbeit und hoher Geburtenrate um. Nicht die Orientierung auf die Familie (Deutschland, Spanien) sondern die Erhöhung der Wahlmöglichkeiten von Frauen und Männern (Schweden, Dänemark) bewirkt unter den veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen eine Zunahme der Geburten.

Eine einseitige Orientierung auf die bloße finanzielle Unterstützung der Familie hat folglich erhebliche negative Konsequenzen. Geringere Beschäftigung von Frauen verkleinert die Steuerbasis und eine niedrige Geburtenrate bedroht das sozialstaatliche Gleichgewicht der Generationen. Gleichstellung und Gender Mainstreaming erweisen sich vor dem Hintergrund internationaler Erfahrungen folglich nicht als Widerpart sondern als Schlüssel für eine moderne Familienpolitik.

Die aktuelle Regierungskoalition beabsichtigt Hemmnisse für die Erwerbsintegration von Frauen zu beseitigen und Rollenmuster von Männern zu verändern. So soll u.a. Kinderbetreuung steuerlich gefördert werden und ein Elterngeld wurde eingeführt. Gleichzeitig ist beabsichtigt, Betreuungsangebote für etwa ein Drittel der Kinder unter drei Jahren bis 2013 auszubauen und neue Modelle der Altenpflege zu erproben. Darüber hinaus sieht der Koalitionsvertrag vor, Benachteiligung von verheirateten Frauen in der Lohnsteuerbelastung abzubauen.

Diese Ansätze zeigen Konturen einer Familienpolitik, die einen deutlichen Schwerpunkt auf die Erhöhung der individuellen Wahlfreiheit, den Abbau von Diskriminierungen und die gleiche Teilhabe von Frauen und Männern an Erwerbs- und Familienarbeit legt. Mit Blick auf internationale Erfahrungen ist die Archillesferse hierbei die Bereitstellung von qualitativ hochwertiger und flächendeckender Kinderbetreuung. In der Umsetzung wird sich zeigen, ob die anvisierten Ziele erreicht werden und ob gegebenenfalls nachgesteuert wird. Eine systematische Erfassung der Folgen politischer Maßnahmen auf Familienkonstellationen wird z.B. unter dem Begriff Family Mainstreaming

diskutiert.

Literatur

  • Baer, Susanne / Lepperhoff, Julia: Gleichberechtigte Familien? Wissenschaftliche Diagnosen und politische Perspektiven, Band 3 der Schriftenreihe "Gender kompetent. Beiträge aus dem GenderKompetenzZentrum", Bielefeld 2007.

  • BMFSFJ: Das neue Kinderbetreuungsgesetz: Kinder kriegen mehr, Broschüre, 2005.

  • Esping-Andersen, Gosta: Social Foundation of Postindustrial Economics, 1999.

  • Gemeinsam für Deutschland – mit Mut und Menschlichkeit, Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD.

  • Hank, Karsten/Tölke, Angelika (Hg.): Männer – Das „vernachlässigte“ Geschlecht in der Familienforschung, ZfF Sonderheft 4, Wiesbaden, 2005.

  • Sainsbury, Diane: Gender and Welfare State Regimes, 1999.

  • Scharpf,Fritz/Schmidt, Vivien: Welfare and Work in the Open Economy. Volume I: From Vulnerability to Competitiveness, Oxford University Press, 2000

  • Statistisches Bundesamt: Wo bleibt die Zeit, 2003.

  • Statistisches Bundesamt: Alltag in Deutschland, Forum der Bundesstatistik, Bd. 43/2004.

erstellt von Administrator zuletzt verändert: 23.04.2010 07:59